"Einer der besten Tage": Mercedes schöpft Hoffnung
So gut ist Mercedes wirklich: Valtteri Bottas war in seiner Rennsimulation auf Augenhöhe mit Ferrari - Qualifying-Simulation für den allerletzten Testtag geplant
(Motorsport-Total.com) - Das Mercedes-Team, seit Einführung der Hybrid-Ära in der Formel 1 im Jahr 2014 noch ungeschlagen, ist bisher das große Fragezeichen der Testfahrten vor der Saison 2019. Für die meisten Experten gilt Ferrari nach sieben von acht Tagen in Barcelona als der große Favorit. Aber seit Donnerstag dürfen auch die Silberpfeil-Fans wieder Hoffnung schöpfen.
Zwar belegten Lewis Hamilton (1,866 Sekunden Rückstand auf Charles Leclercs Bestzeit) und Valtteri Bottas (+2,631) nur die Plätze zehn und 13. Doch die Rennsimulation am Nachmittag macht Mut. "Heute war ein guter Tag", freut sich Hamilton. "Wir sind viele Kilometer gefahren, was super war. Alles in allem war es vielleicht einer der besten Tage für uns."
Bis Pierre Gasly mit seinem Abflug für eine Unterbrechung der Session sorgte, hatten Beobachter in diesem Winter erstmals Gelegenheit, die drei Topteams im direkten Vergleich zu studieren. Bottas war der Erste, der gleich nach der Mittagspause eine Rennsimulation in Angriff nahm. Ein paar Minuten später taten es ihm Gasly (Red Bull) und Leclerc gleich.
Für Experten eine goldene Gelegenheit: Wenn ein Fahrer eine Rennsimulation anfängt, muss er am Start mindestens jene Benzinmenge mitschleppen (maximal 110 Kilogramm), die für die 66 Runden in Barcelona erforderlich ist. Ein paar Kilogramm mehr sind theoretisch möglich, um zu täuschen und zu tarnen. Aber auch nur begrenzt, weil die Tanks nicht für große Überschussmengen gebaut sind. Ergo sind die Spritmengen bei Rennsimulationen einigermaßen zuverlässig vergleichbar.
Rennsimulation: Mit Ferrari auf Augenhöhe
Bottas vermochte auf seinen 66 Runden zu überzeugen. Seine Rundenzeiten waren nicht nur konstant, sondern über weite Strecken auch etwas schneller als die von Leclerc. Der Ferrari schaffte zwar nach seinem letzten Boxenstopp, auf frischen Reifen und mit immer weniger Benzin im Tank, als einziger Fahrer aus dem Trio ein paar 1:19er-Zeiten. Aber davor war es ein Duell auf Augenhöhe.
Mittendrin kam es sogar zu einer Situation, in der Bottas auf der Strecke von hinten auf den Ferrari aufschloss und vom Kommandostand aufgefordert werden musste, sich zurückfallen zu lassen, um wieder freie Fahrt zu haben. Demnach muss der Mercedes - in jener Phase zugegeben mit ein paar Kilogramm weniger Sprit unterwegs, weil früher gestartet - schneller gewesen sein als der Ferrari.
Teamchef Toto Wolff, der tags zuvor seine geplante Medienrunde wegen einer Grippe abgesagt hatte, beobachtete das Treiben vom Streckenrand aus. "Gegen den von Ferrari war unser Longrun nicht so super", findet er - und meint damit wohl auch das Handling auf der Strecke, denn rein optisch wirkt der Ferrari SF90 besser ausbalanciert als der Mercedes F1 W10 EQ Power+.
Das spricht auf eine schnelle Qualifying-Runde Stand heute klar für Ferrari. Im Renntrimm scheint Mercedes näher dran zu sein - wenn nicht sogar auf Augenhöhe. Und Red Bull? Gasly konnte die Bottas-Zeiten auch vor seinem Crash nicht fahren. Je länger der Testwinter dauert, desto mehr schwindet Red Bulls Optimismus, von Anfang an aus eigener Kraft siegfähig zu sein.
Aus Sicht von Mercedes-Technikchef James Allison war der Donnerstag "ein produktiver Tag. Vor und nach einer reibungslosen Renndistanz haben wir gute Ermittlungsarbeit geleistet, und natürlich auch auf der Rennsimulation selbst." Ängste, dass Mercedes im schlimmsten Fall sogar ins Mittelfeld abdriften könnte, sind jedenfalls erstmal aus der Welt.
Graining bei Mercedes doch kein Thema
Erfreulich auch, dass die Angst vor Reifenproblemen (Graining), die Allison tags zuvor in den Raum gestellt hatte, auf die gesamte Renndistanz gesehen kein Thema war: "Anders als gestern, als wir die Reifen nicht am Leben halten konnten, legten wir heute in allen drei Stints ein gutes Reifenverhalten an den Tag", berichtet er.
"Es schien, als ob das Auto besser ausgesehen hat", freut sich Hamilton nach Bottas' "Head to Head" mit Ferrari und Red Bull. "Wir lernen immer mehr über den W10 hinzu. So gesehen war es auf jeden Fall ein positiver Tag. Wir haben wirklich sehr viel gelernt und konnten unsere Lehren vom Nachmittag auch auf den Nachmittag übertragen."
Was Mercedes noch nicht aufgedeckt hat, ist der Qualifying-Speed des W10. Leclerc hat am späten Donnerstagmorgen ein paar schnelle Runs mit mutmaßlich wenig Benzin im Tank absolviert. Seine C5-Bestzeit von 1:16.231 Minuten ist beeindruckend. Aber seine Bestzeit auf dem härteren C2-Reifen von Pirelli, 1:17.253 Minuten, ist fast noch höher einzuschätzen.
Leclerc erklärte hinterher, dass er noch nicht am Limit war. Daraus schließen geschulte Beobachter: Im Ferrari-Tank befand sich mehr Sprit als nur für eine gezeitete Runde. Der Motor war möglicherweise nicht 100, sondern nur 98 Prozent aufgedreht. Und auch Leclerc selbst hatte in der einen oder anderen Kurve ein bisschen Luft. Theoretisch wäre eine 1:15er-Zeit sicher machbar.
Auch für Mercedes? Seriöse Anhaltspunkte über den Qualifying-Speed wird es wohl erst am Freitag geben. Allison kündigt nämlich an: "Dann werden wir uns das Reifensortiment ansehen und uns mehr auf die Pace auf einzelnen Runden konzentrieren." Eine Übung, auf die die Silberpfeile bisher komplett verzichtet haben.