• 09. März 2024 · 07:08 Uhr

Wie sich der FIA-Präsident die Formel 1 zum Feind gemacht hat

Vor einem Jahr hat Mohammed bin Sulayem mit drei Tweets eine Affäre ausgelöst, jetzt erklärt er erstmals, was die eigentliche Motivation hinter seinen Aussagen war

(Motorsport-Total.com) - Es ist jetzt etwas länger als ein Jahr her, dass sich FIA-Präsident Mohammed bin Sulayem den öffentlichen Zorn von Formel-1-Rechteinhaber Liberty Media zugezogen hat. Grund dafür war eine Reihe von Tweets, die bin Sulayem abgesetzt und mit denen er Medienberichte kommentiert hat, wonach die Formel-1-Rechte für kolportierte 20 Milliarden US-Dollar nach Saudi-Arabien verkauft werden könnten.

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FIA-Präsident Mohammed bin Sulayem erklärt, warum er die Tweets abgesetzt hat Zoom Download

Der FIA-Präsident hatte am 23. Januar 2023 unter anderem getwittert, dass die FIA als "Hüter des Motorsports vorsichtig" sei, "wenn es um angeblich überhöhte Preisschilder von 20 Milliarden Dollar für die Formel 1 geht". Und er forderte potenzielle Käufer dazu auf, "gesunden Menschenverstand walten zu lassen" [...].

Tweets, die von Liberty Media als geschäftsschädigend eingestuft wurden. Die FIA habe zugesagt, "dass sie nichts unternehmen wird, was [...] die kommerziellen Rechte beeinträchtigen könnte. Wir sind der Ansicht, dass diese Kommentare, die über den offiziellen Social-Media-Account des FIA-Präsidenten geäußert wurden, in diese Rechte auf inakzeptable Weise eingreifen."

Die Logik dahinter ist klar: Am 23. Januar, dem Tag der Sulayem-Tweets, schloss die Formel-1-Aktie bei einem Kurs von 70,52 US-Dollar. Tags darauf war sie nur noch 69,80 Dollar wert. Dass das eine unmittelbare Konsequenz der Tweets war, lässt sich nicht beweisen. Dass Liberty Media genau das befürchtet hat, steht jedoch außer Zweifel.

Bin Sulayem: Affäre wurde unnötig aufgebauscht

Bin Sulayem wurde in einem Brief öffentlich gerügt. Im Nachhinein findet er, dass die Affäre aufgebauscht wurde - und er missverstanden. Die Tweets seien "meine persönliche Meinung" gewesen. Und wenn man sie genau liest, habe er das Wort "alleged" ("angeblich") in Zusammenhang mit dem seiner Meinung nach überhöhten Kaufpreis verwendet. Also alles okay.

Doch vielleicht hat der 62-Jährige schon vor einem Jahr geahnt, dass die Twitter-Affäre von all seinen kleinen Reibereien mit der FOM (Formula One Management) die sein könnte, die ihn am längsten verfolgen würde.

Denn es gibt einige gut vernetzte Personen im Paddock, die der Auffassung sind: Dass ein Whistleblower bin Sulayem bei der FIA-Compliance angezeigt hat und der Verband nun gezwungen ist, das Verhalten seinen eigenen Präsidenten zu untersuchen, sei mitten in der heißen Phase der Concorde-Verhandlungen kein Zufall.

Wie Andretti die Unterschiede zwischen FIA und FOM aufzeigt

Bin Sulayem und sein Gegenüber, Formel-1-CEO Stefano Domenicali, vertreten bei den Concorde-Verhandlungen fast natürlicherweise völlig gegensätzliche Positionen. Denn während Domenicalis erster Auftrag sein muss, für die Liberty-Aktionäre die Rendite zu maximieren, ist es der Auftrag der FIA, den Sport zu regulieren, die Sicherheit zu gewährleisten und sicherzustellen, dass die Interessen des Sports gewahrt werden.

Wie unterschiedlich die Positionen der beiden Manager ist, das hat zuletzt die Andretti-Affäre bewiesen. Während die FIA den Aufnahmeantrag des nordamerikanischen Formel-1-Projekts bewilligt hat, kam von Liberty Media in letzter Instanz ein Nein zu Andretti. Eine Entscheidung, die von einer Mehrheit der Formel-1-Fans abgelehnt wird, wie das Stimmungsbarometer in verschiedenen Communitys verrät.

Spricht man mit dem FIA-Präsidenten über kommerzielle Angelegenheiten, ist er seit der Twitter-Affäre vor einem Jahr sehr zurückhaltend. Die FIA ist per EU-Richtlinie daran gebunden, zwar die regulatorischen Aspekte der Formel 1 zu verwalten, sich aber aus kommerziellen Angelegenheiten rauszuhalten.

Die Formel 1 ist in den vergangenen Jahren zu einem florierenden Milliardenbusiness geworden. Topteams wie Ferrari werden mit Bewertungen jenseits der drei Milliarden Dollar gehandelt, und für die kommerziellen Rechte an der Rennserie sollen Investoren einen Kaufpreis von bis zu 20 Milliarden Dollar in Aussicht gestellt haben.

Demgegenüber steht ein OIBDA (Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) von 551 Millionen Dollar im Jahr 2022. Oder, anders ausgedrückt: Um die Kosten für einen so hohen Kaufpreis einzuspielen, müsste ein potenzieller Investor auf Basis aktueller Zahlen mehr als 35 Jahre lang warten, um erstmals einen Return on Investment zu erzielen.

Gelingt es einem Investor, neue Umsatzquellen zu erschließen oder bestehende Umsatzquellen zu steigern, könnte das OIBDA höher ausfallen. Das allerdings könnte in der Praxis höhere Gebühren für lokale Veranstalter oder Pay-TV-Sender bedeuten, die die Kosten vermutlich an die Endkunden, also die Formel-1-Fans, weitergeben müssten, damit die Rechnung für sie weiterhin aufgeht.

Wovor bin Sulayem warnen wollte

Und genau das ist der Punkt, vor dem bin Sulayem mit seinen Tweets im Januar warnen wollte. Die FIA hat selbst kein Interesse mehr an den kommerziellen Rechten. Diese wurden per 100-Jahre-Deal bis 2110 an die FOM (Formula One Management, heute unter Kontrolle von Liberty Media) verleast. Für einen Preis von damals gerade mal gut 300 Millionen Dollar.

"Es geht mir um die Fans", stellt bin Sulayem in einem Interview mit Motorsport-Total.com klar. "Es war nicht meine Absicht, irgendwen zu verstimmen. Mein Tweet war nur eine persönliche Einschätzung. Ich habe auch 'angeblich' geschrieben. Aber da wurde mit Dreck zurückgeschossen, und das fand ich überflüssig."

"Ich verstehe nicht, warum ich so attackiert wurde. Ein Telefonat hätte die Sache erledigt. Aber es wurde ziemlich ruppig. Das hätte man vermeiden können, und das war nicht gut fürs Geschäft", sagt bin Sulayem und unterstreicht: "Ich verstecke mich nicht. Bin ich zurückgetreten? Ganz im Gegenteil. Die FIA-Mitglieder stehen hinter mir, und ich habe heute mehr Unterstützung als davor."

Und er hat aus der Affäre gelernt, kommerzielle Angelegenheiten nicht mehr zu kommentieren. Auf die Frage, ob letztendlich die Fans bezahlen müssen, wenn neue Investoren in die Formel 1 einsteigen und Milliardensummen zahlen, die sie mit höheren Preisen refinanzieren müssen, antwortet er: "Das haben jetzt Sie gesagt. Nicht ich."

FIA partizipiert nicht an Milliardendeals

Die FIA hat seinerzeit gut 300 Millionen Dollar für jenen Vertrag einkassiert, der die Formel-1-Rechte bis 2110 unter die Kontrolle der FOM stellt. 2017 wurden die gleichen Rechte für 4,4 Milliarden Dollar an Liberty Media verkauft. Jetzt sollen Investoren bereit sein, bis zu 20 Milliarden Dollar zu bezahlen. Die FIA würde daran nicht partizipieren.


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Gleichzeitig steht die FIA in der Kritik, weil die Lizenzgebühren für Teams und Fahrer in der Formel 1 zuletzt stark gestiegen sind. Max Verstappen etwa muss für seine Superlizenz, die ihn zur Teilnahme an der WM 2023 berechtigt, mehr als 1,2 Millionen Dollar bezahlen - eine Summe, die er schon bei der FIA-Gala 2022 als "absurd" bezeichnet hat.

Und auch die Teams werden kräftig zur Kasse gebeten. Red Bull zum Beispiel kostet die Lizenz mehr als 7,4 Millionen Dollar. Weil diese Gebühren auf Basis von WM-Punkten des Vorjahrs errechnet werden, müssen Verstappen und Red Bull 2024 sogar noch höhere Gebühren bezahlen als 2023, weil für 2024 die Ergebnisse der Saison 2023 als Berechnungsgrundlage herangezogen werden.

Bin Sulayem verteidigt hohe Lizenzgebühren

Doch bin Sulayem verteidigt diese Kosten. Während Liberty Media als Rechteinhaber einem Return on Investment in Milliardenhöhe entgegensteuert, profitiert die FIA als Non-Profit-Organisation nicht unmittelbar vom wirtschaftlichen Boom rund um die Formel 1. Die Aufgabe, den Sport regulatorisch zu verwalten, wird aber immer komplexer und aufwändiger.

"Wir haben Gehälter zu bezahlen. Gute Leute wachsen nicht auf Bäumen. Wir müssen unsere Ausstattung laufend verbessern, und man erwartet bessere Services von uns", sagt bin Sulayem. "Wir reden von einer Meisterschaft, die angeblich 20 Milliarden wert ist, und von Teams, die bis zu vier Milliarden wert sein sollen. Dagegen sind das, was wir für unsere Services nehmen, Peanuts."

Der Präsident verweist auf die strengen Finanzregeln der FIA, wenn er sagt: "Wir haben einen Senat, der sich ganz genau anschaut, wo das Geld hingeht. Ich werde daran gemessen, was ich ausgebe. Ich bin da sehr sorgfältig. Aber wenn man uns sagt, dass die Rennleitung nicht gut ist, nun: Die Rennleitung ist nicht gratis. Die Leute wollen bezahlt werden."

Außerdem lässt bin Sulayem durchblicken, dass er aus der Twitter-Affäre gelernt hat und er sich aus allen kommerziellen Angelegenheiten raushält. Im Gegenzug erwartet er, dass sich Liberty Media bei den regulatorischen Aspekten der Formel 1 auch nicht einmischt. Etwa, wenn es um Stefano Domenicalis jüngste Kommentare zu Strafen bei Verstößen gegen die Budgetobergrenze geht.

Doch dass es wirklich ruhiger wird im angespannten Verhältnis zwischen FIA und FOM, das ist aktuell nicht absehbar. Zumal Recherchen von Motorsport-Total.com ergeben haben, dass die Compliance-Anzeige von bin Sulayem ausgerechnet durch einen Mitarbeiter erfolgt ist, der kürzlich von der FIA zur FOM gewechselt ist.

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