• 02. Dezember 2024 · 04:15 Uhr

Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Rui Marques

Wie der FIA-Rennleiter in Katar eine alternativlose Entscheidung neun Minuten lang verschlafen hat und warum daran auch Mohammed bin Sulayem Schuld trägt

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leserinnen und Leser,

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Rui Marques ist Portugiese und Nachfolger des Deutschen Niels Wittich Zoom Download

ich dachte erst, ich höre nicht richtig, als Oliver Oakes, der Teamchef von Alpine, am späten Sonntagabend in Doha allen Ernstes meinte, FIA-Rennleiter Rui Marques habe die Sache mit dem Rückspiegel "richtig gut" gehandhabt, und dass er "einen verdammt guten Job" gemacht habe.

Herr Oakes, muss, mit Verlaub, ein anderes Rennen gesehen haben. Denn ich bewerte die Situation völlig anders. Und ich wundere mich schon sehr drüber, dass die Kritik an der Entscheidung, das Rennen trotz des herumliegenden Rückspiegels laufen zu lassen, in der deutschsprachigen TV-Nachberichterstattung und im Paddock nicht lauter war.

Warum sich der rechte Rückspiegel von Alexander Albon überhaupt selbstständig gemacht hat, ist derzeit nicht geklärt. Aber es gibt eine zulässige Spekulation: Die Randsteine des Losail International Circuit lösen feine Vibrationen aus, stärker als auf anderen Rennstrecken, und bei durchschnittlich höheren Kurvengeschwindigkeiten. Das war schon 2023 ein Problem, Stichwort Pyramidenkerbs, als Pirelli die Teams aus Angst vor Reifenschäden de facto zu mindestens drei Boxenstopps zwang.

Diese feinen Vibrationen könnten am Williams zu Materialermüdung geführt haben. Und dass es ausgerechnet einen Williams getroffen hat, ist vielleicht auch kein Zufall. Nach den vielen Crashs der vergangenen Wochen war das britische Team erstens mit Ersatzteilen am Limit und musste zweitens mehr Teile tauschen als jeder andere Rennstall. Aber das tut letztendlich auch gar nichts zur Sache.

Tatsache ist: Ab Runde 29 lag da ein Rückspiegel bei Start und Ziel rum, und das noch dazu mitten auf der Geraden. Auf einer Linie, "wo es sehr wahrscheinlich ist, dass einer drüberfährt", wie Alexander Wurz, der Vorsitzende der Fahrergewerkschaft GPDA, später im ORF analysieren sollte.

Ich war sicher nicht der einzige Zuschauer, dem sofort klar war: Das Teil muss weg! Auch Ralf Schumacher kapierte in der Live-Übertragung bei Sky in der Sekunde, als der herumliegende Rückspiegel zum ersten Mal gezeigt wurde: "Da muss jetzt eigentlich einer raus und das Teil beseitigen."

So lang brauchte die Rennleitung für die Entscheidung

Nur der Rennleiter sah das offenbar anders. Es vergingen geschlagene sechs Minuten und 14 Sekunden, bis Valtteri Bottas mit seinem Sauber bei Start und Ziel nach rechts ausscherte und das Unvermeidliche passierte, er den Rückspiegel überfuhr und dabei in unzählige Kleinteile zerfetzte. Jedes einzelne davon scharfkantig und ein potenzieller Reifenkiller.

Nochmal eine Minute und 40 Sekunden vergingen, bis die Williams-Crew, die den Zwischenfall offenbar zunächst gar nicht mitbekommen hatte (zumindest nicht laut Boxenfunk), an Albon eine Warnung absetzte: "Achte auf die Randsteine. In der letzten Runde hat es zwei Reifenschäden gegeben." Noch in der Annahme, die ruppigen Kerbs hätten die Pirellis zerfetzt, und nicht, was Stand jetzt viel wahrscheinlicher ist, die Kleinteile seines eigenen Rückspiegels.

Das war der Moment, als Lewis Hamilton und Carlos Sainz funkensprühend um die Strecke humpelten. Und es vergingen weitere 45 Sekunden, bis Marques endlich den Knopf drückte und das Safety-Car aktivierte. Geschlagene neun Minuten und 39 Sekunden (!), nachdem Albon seinen Rückspiegel verloren hatte.

Wurz: Marques hätte "sofort" handeln müssen

Für Alex Wurz steht fest, dass er in der Position des Renndirektors "sofort" das virtuelle Safety-Car aktiviert hätte, als klar war, dass da ein Spiegel liegt, denn "Debris on Track hat in den vergangenen zehn, zwölf Jahren schon für viele Reifenschäden gesorgt". Und er mutmaßt (zurecht, wie ich finde): "Vielleicht hätte ein anderer Renndirektor sehr zeitig Full-Course-Yellow gegeben, das Rennen neutralisiert, das Teil entfernt und nachher das Rennen weiterlaufen lassen."

Das wäre nicht die bessere Entscheidung gewesen. Es war die einzige Entscheidung. Alternativlos, wie Angela Merkel sagen würde (die übrigens, Achtung ANZEIGE, gerade ihre 736 Seiten starken Memoiren veröffentlicht hat, die ihr bei Amazon.de online bestellen und als Geschenk unter den Weihnachtsbaum legen könnt).


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Es fällt mir ehrlich schwer, jemanden wie Rui Marques, den ich nicht kenne, so hart zu kritisieren. Aber seine Fehleinschätzung beim Grand Prix von Katar ist eigentlich unentschuldbar. Wenn selbst TV-Experten und, noch extremer, ein Pseudo-Couch-Besserwisser wie ich gleich erahnten, wie die Situation enden würde, dann sollte der wichtigste Rennleiter der Welt mit all seinen Skills und seiner Erfahrung aus unzähligen geleiteten Autorennen das doch auch können.

Alex Wurz formuliert es etwas freundlicher als ich, meint aber das Gleiche, wenn er sagt: "Ich hoffe, dass Rui Marques, unser neuer Renndirektor, hier die Lektion lernt heute, auf Nummer sicherzugehen. Das ist für mich, als GPDA-Direktor, aber auch als Fahrer, sehr wichtig. Hier gilt Safety first. Kurz neutralisieren, das Ding wegräumen, und dann einfach weiter Rennen fahren."

So einfach hätte das sein können.

Warum auch bin Sulayem eine Verantwortung trägt

Was man Marques freilich zu seiner Verteidigung zugutehalten muss, ist: Katar war nach Las Vegas erst das zweite Formel-1-Wochenende unter seiner Verantwortung. Der Portugiese wurde vor Vegas überraschend als Nachfolger von Niels Wittich nominiert, der von FIA-Präsident Mohammed bin Sulayem höchstpersönlich gefeuert worden sein soll.

Warum, das weiß übrigens bis heute außerhalb der FIA keiner so genau, und der Präsident scheint auch wenig Drang zu verspüren, seine Entscheidung zu erklären. Die Fahrer gehe das alles nichts an, meinte er in einem lesenswerten Interview, das mein Kollege Jonathan Noble mit ihm geführt hat und das am Sonntagmorgen vor dem Rennen in Katar Schlagzeilen machte.

Ein Interview, auf das einer meiner Kollegen in der Redaktion so reagierte, als er es zum ersten Mal gelesen hatte: "Sympathisch."

Der Kollege verfügt über einen ziemlich guten Sinn für als Humor getarnten Zynismus.

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Übrigens, nur um Missverständnissen vorzubeugen: Ich glaube nicht, dass Rui Marques die Kompetenz fehlt, ein guter Formel-1-Rennleiter zu sein. Aber Tatsache ist, dass die vielen Personalrochaden hinter den Kulissen der FIA nicht dazu beigetragen haben, dass die Schiedsrichter des Sports mit ruhiger Hand und Gelassenheit arbeiten können. Aber genau das ist es, was es in der Formel 1 in einer so verantwortungsvollen Position braucht.

Wenn viele immer noch dem viel zu früh gestorbenen Charlie Whiting hinterhertrauern, halte ich dagegen: Whiting war in dem, was er tat, auch deswegen so herausragend gut, weil er jahrzehntelang den gleichen Job gemacht und aus jedem Fehler, der ihm passiert ist, gelernt hat. Ohne dass ihn gleich ein egozentrischer Präsident feuern wollte.

Euer
Christian Nimmervoll

Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem streng subjektive und manchmal durchaus bissige Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen der Formel 1.

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