Sutil-Kolumne: "Uns steht ein tolles Jahr bevor!"
Adrian Sutil berichtet auch dieses Jahr von seinen Erlebnissen in der Formel 1 - Optimismus vor dem Saisonauftakt in Bahrain ist groß
(Motorsport-Total.com) - Liebe 'Motorsport-Total.com'-Leser,
© Force India
Voll konzentriert: 2010 wird bereits meine vierte Saison in der Formel 1 sein Zoom Download
wenn ihr diese Kolumne lest, sitze ich wahrscheinlich gerade im Flieger nach Bahrain. Zum Glück geht die neue Saison jetzt los, denn ich brenne schon richtig auf das erste Rennen! Dabei konnte ich mich auch im Winter nicht über zu wenig Beschäftigung beklagen, denn seit ich mich das letzte Mal bei euch gemeldet habe, hat sich einiges getan.
Ich habe vor allem viel trainiert, um für die anstrengenden Rennen top in Form zu sein; ich war auch regelmäßig bei meinem Team in Silverstone, habe im Februar an sechs Testtagen fast 2.000 Kilometer im neuen VJM03 zurückgelegt und war eine Woche in Indien. Wir hatten dort Presse- und PR-Termine und durften unter anderem den CNBC-TV18-Overdrive-Award in der Kategorie Motorsport entgegennehmen. Das war eine große Ehre, besonders natürlich für unseren Team-Miteigentümer Vijay Mallya.
Die Aufmerksamkeit in Indien ist seit der ersten Präsentation in Mumbai im Jahr 2008 doch erheblich größer geworden. Die Leute wissen jetzt, worum es geht, kennen sich ein bisschen mehr mit der Materie aus - die Formel 1 ist für sie kein Neuland mehr. Cricket ist nach wie vor der Nationalsport und das wird wohl auch so bleiben, aber mehr und mehr Inder interessieren sich auch für die Formel 1. Mit HRT-Pilot Karun Chandhok und hoffentlich bald auch einem Grand Prix in Indien sollte dieser Trend anhalten.
Erstes Rennwochenende immer hektisch
Aber jetzt konzentriere ich mich natürlich schon voll auf das, was vor uns liegt, nämlich auf den Grand Prix von Bahrain. Das erste Rennwochenende ist mit PR- und Interviewterminen immer besonders hektisch, auch weil Fototermine für die gesamte Saison auf dem Programm stehen. Da bleibt keine Zeit, um mal einen privaten Abstecher in die Wüste zu machen. Aber das nehme ich gerne in Kauf, schließlich ist die Formel 1 längst mehr als nur noch Rennfahren.
Ich freue mich, dass es jetzt endlich losgeht! Es wird bestimmt eine spannende Saison. Im Moment ist alles noch relativ offen, denn niemand kann die Stärke der anderen Teams mit hundertprozentiger Sicherheit einschätzen. Aber für uns steht ein tolles Jahr bevor, denn wir sind voll motiviert, haben uns gut vorbereitet und hatten gute Testfahrten. Deswegen gehe ich richtig heiß auf Erfolg nach Bahrain! Erfolg wären für mich zum Beispiel Punkte - und ich schreibe das bewusst im Plural.
Es ist schwierig, das Kräfteverhältnis einzuschätzen, aber am ehesten aussagekräftig war noch der letzte Testtag in Barcelona. Ich wurde mit einer Zehntelsekunde Rückstand Vierter. Es schien mir schon so, dass da jedes Team einmal im Qualifyingtrimm gefahren ist. Natürlich weiß man nie, ob jemand ganz leicht war oder doch zehn Kilo Sprit mehr an Bord hatte, aber da reden wir von einem Fenster von drei Zehntelsekunden auf oder ab, würde ich schätzen. Ich glaube, das Bild, das wir da gesehen haben, war vielleicht noch nicht die ganze Wahrheit, aber schon nahe dran.
Ich schätze derzeit McLaren, Ferrari, Mercedes und Red Bull als stärkste Teams ein. Zu denen haben wir schon noch einen Abstand, aber der ist viel kleiner als im März 2009. Wenn man das mit den letzten Jahren vergleicht, dann hatten wir am Ende der Wintertests stets über eine Sekunde Rückstand auf Platz eins, obwohl wir damals auch jeweils schon das Limit dessen, was wir zeigen konnten, ausgereizt hatten. Insofern sollte der Saisonstart diesmal um einiges besser werden. Ich hoffe im Idealfall auf das Top-10-Qualifying. Wenn wir das schaffen, müsste es auch möglich sein, Punkte mit nach Hause zu nehmen.
Lieber konstant als ein Topspeed-Wunder
'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer meint, dass wir uns nur darauf konzentrieren hätten sollen, wie im Vorjahr mit wenig Luftwiderstand auf einen Sieg auf einer schnellen Strecke loszugehen. Das sehe ich ein bisschen anders. Wir müssen uns weiterentwickeln und versuchen, auf allen Strecken den Anschluss zu finden. Ziel muss es sein, konstant in den Top 10 zu sein. Das ist uns noch nie gelungen. Letztes Jahr waren wir mit der Präsentation ein bisschen spät dran, daher haben wir ganz hinten angefangen und sind dann nach vorne gekommen. Das hatte einen Überraschungseffekt. Jetzt wollen wir immer vorne dabei sein und uns in den Top 10 etablieren.
Was ich persönlich erreichen kann, hängt natürlich vom Auto ab. Letztes Jahr war ich in Monza schon sehr nahe an einem Podium dran. Ob wir das dieses Jahr erreichen können, weiß ich nicht, denn unser Auto war auf den schnellen Strecken wie Spa-Francorchamps oder Monza vielleicht sogar siegfähig. Das ist natürlich schwer zu toppen. Ich hoffe aber, dass wir weiterhin nahe dran sein werden. Ob es mit einem Sieg klappt? Das scheint mir ein bisschen hochgegriffen zu sein, also würde ich mich darauf nicht verlassen. Konstanz ist das A und O.
Wir sind vom Topspeed schon noch gut dabei, aber wir haben keinen so extremen Vorteil mehr wie im letzten Jahr. Dieses Jahr haben die meisten Teams an Topspeed zugelegt, besonders Williams. Da sind uns einige näher gekommen, aber umgekehrt haben wir uns dafür auf den Strecken gesteigert, auf denen man Downforce braucht, wie man beim Barcelona-Test gesehen hat. In Barcelona hatten wir früher immer zu wenig Downforce, aber darauf haben wir uns im Winter konzentriert. Insofern schätze ich unser Gesamtpaket konstanter ein.
Neu: Tankverbot und schmälere Vorderreifen
Was durch die neuen Regeln anders wird? Man kämpft jetzt am Anfang mit Untersteuern. Das heißt: Das Auto ist träge, schiebt über die Vorderreifen, fühlt sich schwerfällig an. Man muss sich als Fahrer an die Balance im Rennen sehr gut anpassen können, denn die wechselt von Untersteuern in den neutralen Bereich und im Finish sogar zu Übersteuern. Unterm Strich muss man unter allen Bedingungen schnell fahren können. Außerdem kann es sein, dass die Balance im Qualifying mal nicht ideal ist, weil man eben eine Durchschnittslösung braucht, die im Rennen auch funktioniert. Darauf kommt es an.
Wenn man eine gute Abstimmung findet, halten die Reifen länger und man kann sich eventuell einen Stopp sparen. Das wird sehr interessant und auf manchen Strecken sehr schwierig, da das optimale Setup zu finden. Mir persönlich ist Übersteuern eigentlich lieber, also wenn es vorne viel Grip hat. Aber ich kann mich auf das Untersteuern einstellen und mit Übersteuern, was auch häufig der Fall sein wird, gut umgehen. Letzteres wird zum Beispiel der Fall sein, wenn sich die Hinterreifen auflösen. Dann bewegt sich das Auto so oder so hin und her und das hohe Gewicht macht in puncto Untersteuern keinen Unterschied.
Generell sehe ich die Reifen als eines der entscheidenden Kriterien. Ganz wichtig sind die ersten ein, zwei Runden. Wenn du etwas falsch machst, ist es da schon vorbei - die Reifen beginnen zu grainen und du bekommst das nicht mehr hin. Dann musst du womöglich schon nach sechs, sieben Runden an die Box. Also musst du dich in den ersten Runden zurücknehmen und nicht zu stark pushen - einfach gesagt, wenn man den Platz verteidigen oder einen Gegner angreifen will! Kampflos agieren, nur um die Reifen zu schonen, sollte man ja auch nicht. Da wird gerade in Bahrain bei brütender Hitze Cleverness gefragt sein.
Wenn man am Anfang um die Positionen kämpft, gewinnt man vielleicht zwei, drei Plätze, aber man kann später viel mehr verlieren, wenn man es auf Kosten der Reifen übertrieben hat. Ein bisschen zu viel Wheelspin am Start, ein oder zwei Verbremser im Zweikampf - und schon kann ein Reifensatz im Eimer sein. Gerade am Anfang ist das problematisch, weil da die Strecke noch am rutschigsten ist und kein Gummiabrieb liegt. Später wird es dann immer besser, wenn das Gripniveau steigt.
Boxenstopps in 1,8 Sekunden?
Durch das Tankverbot werden an der Box nur noch die Reifen gewechselt. Red Bull soll das schon in 1,8 Sekunden bewältigt haben, wird mir gesagt. Das ist sehr schnell! Wir haben das noch nicht geschafft. Bei unseren Übungen im Winter waren wir bei zwei bis zweieinhalb Sekunden. Das sind dann aber schon sehr gute Stopps. Ich muss sagen, dass ich das neue Reglement grundsätzlich als Herausforderung empfinde, weil es so viele Faktoren gibt, die man nicht einschätzen kann. Das ist gerade für das erste Rennen und auch für die ganze Saison sehr spannend.
Was ich andererseits ein bisschen vermissen werde, ist das Fahren auf Angriff. Man muss sich jetzt eher wie in einem Langstreckenrennen einrichten, kann vielleicht die letzten zehn bis 15 Runden voll pushen und am Limit fahren. Ich bin jedoch ein Fahrer, der gerne ans Limit geht. Das macht mir Spaß, da fühle ich mich wohl. Jetzt muss man die Reifen schonen, die Bremsen schonen, Benzin sparen - und am Ende fährt man wahrscheinlich ein bisschen spazieren. Das fühlt sich nicht mehr ganz so intensiv und gut an.
Dass sich die Abgänge von Simon Roberts (Betriebsdirektor) und James Key (Technischer Direktor) bei uns groß bemerkbar machen werden, glaube ich nicht. Otmar Szafnauer hat sich gut eingearbeitet und ist ein sehr fähiger Mann mit viel Erfahrung. Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu ihm. Er wird das Team bestimmt noch weiter nach vorne bringen. James hat uns überraschend verlassen. Er war sehr lange beim Team hat sehr gute Arbeit geleistet - das Vorjahresauto war toll. Ich traue aber auch seinem Nachfolger Mark Smith zu, diese Arbeit fortzuführen. Auch er hat viel Erfahrung und die beiden haben ohnehin gut zusammengearbeitet.
Bahrain statt Australien
Dass es zum ersten Mal seit 2006 in Bahrain losgeht und nicht in Melbourne, macht für mich keinen großen Unterschied. Melbourne war von der Atmosphäre her immer ein toller Auftakt, auf den ich mich sehr gefreut habe, aber dafür ist Bahrain logistisch und von der Zeitverschiebung her einfacher. So beginnt die Saison nicht mit einem 24-Stunden-Trip nach Melbourne, sondern mit einem kürzeren Flug.
Auf die teilweise neue Streckenführung habe ich mich im Simulator vorbereitet. Ich finde den neuen Abschnitt nicht schlecht - er ist sehr langsam und sehr anspruchsvoll, die Strecke wird dadurch interessanter. Die Zeit liegt nun zwischen 1:55 und 2:00 Minuten. Dadurch ist es sehr schwierig geworden, eine ganze Runde ohne Fehler auf die Reihe zu bekommen. Bisher war Bahrain doch eher eine einfache Strecke mit Geraden und Spitzkehren - da habe ich die Herausforderung ein wenig vermisst.
Das ist besser geworden, auch wenn ich ganz klar sagen muss: Es gab immer schon Strecken, die ich noch viel weniger mochte als Bahrain. Generell mag ich neue Kurse, daher freue ich mich dieses Jahr mehr als früher auf Bahrain. Auf jeden Fall kommen wir sehr gut vorbereitet und hoch motiviert nach Bahrain.
Die Spannung ist da und ich freue mich wirklich wie nie zuvor auf das erste Rennen! Endlich werden die Karten aufgedeckt. Dieser Winter war so theoretisch und so spekulativ wie noch nie. Daher kann es keiner erwarten, endlich das Qualifying zu fahren und zu sehen, wer vorne ist!
Euer
Adrian Sutil