• 08. Juli 2024 · 08:19 Uhr

Ralf Schumacher ahnte es sofort: McLarens Call war eine Fehlentscheidung

"Das ist eine ganz böse Entscheidung": Was Ralf Schumacher sofort sehen konnte, wurde den McLaren-Strategen in Silverstone erst zu spät bewusst

(Motorsport-Total.com) - Das Rennen in Silverstone war gerade zur Hälfte vorbei, da sah es ein klein wenig nach dem ersten Grand-Prix-Sieg für Oscar Piastri aus. Der McLaren-Pilot hatte in Runde 20 von 52 den zweiten Platz vom späteren Sieger Lewis Hamilton übernommen, und er lag jetzt 1,2 Sekunden hinter seinem Teamkollegen Lando Norris.

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Hier geht die Siegchance flöten: Norris biegt an die Box ab, Piastri bleibt draußen Zoom Download

In der 27. Runde spitzte sich die Situation zu. Piastri war formatfüllend in Norris' Windschatten zu sehen, der Regen wurde stärker, und es roch nach einem Führungswechsel. Dann hatte Piastri zuerst in Brooklands und dann noch einmal in Becketts einen kleinen Rutscher. Norris hatte wieder ein paar Wagenlängen Vorsprung, und die Boxeneinfahrt kam immer näher.

"Was macht McLaren jetzt? Beide müssen rein, und Piastri ist Zweiter", beobachtete Ralf Schumacher im Live-Kommentar bei Sky. Ein paar Sekunden später bog Norris an die Box ab - und Piastri blieb auf der Strecke. Schumacher erkannte sofort: "Uh. Das ist eine ganz böse Entscheidung."

Er sollte recht behalten. Mit einem Doppelstopp hätte sich Piastri wahrscheinlich fünf, sechs Sekunden Rückstand auf Norris eingehandelt. So lag er nach dem Boxenstopp auf einmal 18,4 Sekunden hinter seinem Teamkollegen. Und hatte mit dem Kampf um den Grand-Prix-Sieg nichts mehr zu tun.

Piastri macht McLaren keinen Vorwurf

Die Entscheidung, noch eine Runde draußen zu bleiben, während Norris schon auf Intermediates umsteckte, habe man "gemeinsam" getroffen, nimmt Piastri seinen Kommandostand in Schutz und sagt: "Wir müssen das sicher analysieren. Ein Doppelstopp wäre die bessere Entscheidung gewesen. Aber das sagt sich im Nachhinein leicht."

Vorwurf macht er seinem Team keinen: "Du hast zwei Autos auf P1 und P2, getrennt durch eine halbe Sekunde, und es regnet. Schwieriger wird's nicht." Und: "Wir müssen jetzt schauen, ob wir zu dem Zeitpunkt irgendwelche Informationen vorliegen hatten, die uns signalisiert haben, dass es eine bessere Entscheidung gegeben hätte."

McLarens Problem war: Max Verstappen hatte bereits in Runde 26 Reifen gewechselt. Seine Sektorenzeiten würden Aufschluss darüber geben, ob die Zeit reif ist für Intermediates oder nicht. Aber: Als Verstappen nach dem boxenstoppgetrübten ersten Sektor mit dem bereinigten Mittelsektor die erste repräsentative Zwischenzeit ablieferte, war Piastri schon an der Boxeneinfahrt vorbei.

Ein paar Sekunden, die alles verändert haben. Hätten die McLaren-Ingenieure Verstappens Zeit im Mittelsektor rechtzeitig gesehen, hätten sie gewusst, dass es höchste Zeit ist, beide Autos möglichst rasch auf Intermediates umzustecken. Der Red-Bull-Pilot war mit seinen Intermediates im Mittelsektor um fünf Sekunden schneller als Piastri mit den Slicks.

Runde 27: Piastri wollte unbedingt an Norris vorbei

Die schlaueste Variante wäre gewesen, im Nachhinein betrachtet, wenn Piastri versucht hätte, sich zurückfallen zu lassen, um Hamilton einzubremsen und der McLaren-Crew gleichzeitig zwischen den beiden Boxenstopps Zeit zu geben. Ein schmaler Grat, rein regeltechnisch gesehen, denn Hamilton in der Boxengasse einzubremsen, ist nicht erlaubt.

Norris habe darüber ohnehin "nicht wirklich" nachgedacht, gibt er zu. Er hatte nur im Sinn, Norris zu überholen, "denn ich wusste, wenn ich an Lando vorbeigehe, dann habe ich beim Boxenstopp Priorität". Eine Konstellation, die es für die Boxencrew noch schwieriger machte, denn "das Team wusste ja nicht, welches Auto zuerst an die Box kommt".

Teamchef gibt Fehler zu: "Waren zu gierig"

Immerhin weiß man bei McLaren, wo der Fehler lag: "Wir waren zu gierig", räumt Teamchef Andrea Stella in der Analyse ein. "Wir wollten nicht akzeptieren, dass wir mit einem Doppelstopp Zeit verlieren. Aber manchmal ist es klüger, geduldig zu sein und einen Zeitverlust hinzunehmen, statt zu hoffen, dass eine Runde mehr nicht viel Zeit kostet."


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Während des Rennens mussten binnen Sekunden Entscheidungen getroffen werden. "Eine unglaublich schwierige Situation", findet Piastri. Doch Stella gibt zu: "Der Regen wurde immer stärker. Es war klar, dass die Bedingungen nicht einfacher werden." Und Piastri ärgert sich: "Ich wusste im Grunde genommen sofort, dass es die falsche Entscheidung war."

"Die letzten Kurven waren ziemlich hart, und bevor ich an die Box fuhr, konnte ich am Display sehen, dass Lando schon nur noch fünf Sekunden hinter mir war. Ich wusste, dass ich in Problemen steckte", erinnert er sich und flucht, mit einem versöhnlichen Grinsen im Gesicht: "Ist vielleicht ganz gut, dass ich da den Boxenfunk nicht aufgemacht habe!"

"Nur die Hälfte der Runde war richtig nass - bis zu der Runde, als ich draußen blieb. Danach war es überall nass. Es war für alle Beteiligten schwierig. Aber im Nachhinein betrachtet muss man schon sagen, dass wir mit einem Doppelstopp eine sehr gute Chance gehabt hätten, das Rennen zu gewinnen", glaubt Piastri.

Analyse: Hätte Piastri nach Doppelstopp gewinnen können?

Stella nickt: "Ich denke, dass Oscar in einer sehr starken Position gewesen wäre, was seine Chancen betrifft, das Rennen zu gewinnen. Mindestens so stark wie Lando." Denn: Piastris Rückstand auf Norris wuchs im Mittelstint auf den Intermediates zwar von 18,4 auf 22,3 Sekunden an - doch für den letzten Stint traf Norris die falsche Reifenwahl und er die richtige.

"Die Entscheidung auf meiner Seite, am Ende den Medium zu nehmen, war richtig. Wir waren im letzten Stint eindeutig am schnellsten", sagt Piastri. "Schade, dass wir uns zur Mitte des Rennens nicht in eine bessere Position gebracht haben. Alle anderen Entscheidungen haben wir goldrichtig getroffen. Lando und ich hatten uns in eine tolle Ausgangsposition gebracht."

Nach Norris' letztem Boxenstopp (von Intermediates auf Soft) hatte Piastri 15,1 Sekunden Rückstand auf seinen Teamkollegen, und es waren noch 13 Runden zu fahren. Bis zur Zieldurchfahrt konnte er diesen Abstand dank der besseren Reifenwahl (von Intermediates auf Medium) auf 4,9 Sekunden reduzieren.

Die größte Chance, das Rennen zu gewinnen, hätte Piastri dann gehabt, wenn er Norris in der 27. Runde überholt hätte und als Erster an die McLaren-Box gekommen wäre. Mit einem Doppelstopp und der damit verbundenen Wartezeit wäre es im Duell um die Trackposition (zu dem Zeitpunkt P3) gegen Verstappen Spitz auf Knopf gegangen.

Wäre er hinter Verstappen geblieben, hätte er keine realistische Chance auf den Sieg gehabt. Der Red Bull war mit den harten Reifen gleich schnell wie Piastri auf den Mediums. Überholen unmöglich. Wäre er vor Verstappen rausgekommen, hätte Piastri Hamilton laut Computersimulation in Runde 49 eingeholt - und dann noch drei Runden Zeit gehabt, das entscheidende Manöver zu setzen.

Piastri sicher: Der erste Sieg wird kommen

Doch der erste Sieg, da ist sich der 23-Jährige sicher, wird früher oder später kommen: "Ich bin bereit dafür. Man kann das positiv oder auch negativ sehen, aber es war nie der gleiche Grund, der uns vom Gewinnen abgehalten hat. Heute haben wir eine Fehlentscheidung getroffen. In Imola hatten wir im Qualifying ein Problem mit dem Verkehr. In Österreich ... Nun, habt ihr ja gesehen!"

"Ich denke, es ist gut, dass es nicht der gleiche Fehler ist, der sich ständig wiederholt. Aber es war jetzt ein paar Mal schon so, dass wir eine Chance hatten zu gewinnen. Den schwierigsten Teil haben wir erledigt, nämlich das mit dem guten Auto. Jetzt müssen wir nur noch Kapital draus schlagen", sagt er.

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