Formel-1-Strategieanalyse: Darum platzte Ferraris Vettel-Finte
Das Schachspiel beim zweiten Boxenstopp erklärt: Wieso Mercedes glaubt, dass die Roten ihnen etwas hätten vorgaukeln wollen und Toto Wolff lieber die Klappe hielt
(Motorsport-Total.com) - Das Duell zwischen Lewis Hamilton und Sebastian Vettel in den Startrunden des US-Grand-Prix in Austin am Sonntag hatte jeder gesehen. Der Zweikampf, der sich zwischen den Strategieingenieuren von Mercedes und Ferrari hinter den Kulissen abspielte, blieb im Verborgenen - war aber nicht weniger spannend als der Fight auf der Strecke und spitzte sich in der zweiten Rennhälfte zu, als es um die Frage ging, welcher der beiden WM-Kandidaten einen zweiten Boxenstopp einlegen würde.
Zur Ausgangslage: Hamilton hatte in Runde 19 von Ultrasoft auf Soft gewechselt und war darauf eingestellt, das Rennen auf diesem Reifensatz zu beenden. Vettel, der bereits drei Umläufe früher die identische Taktik angeschlagen hatte, plante möglicherweise anders. Ferrari, so glaubt zumindest Mercedes, hätte von Anfang an ein zweites Mal die Pneus wechseln und mit einem Schlusssprint auf Supersoft ins Ziel fahren wollen - doch das ließen die Roten die Konkurrenz nicht wissen.
"Sie haben Sebastian gesagt, er solle es nach Hause bringen", meint der Mercedes-Sportchef Toto Wolff und will die Finte der Scuderia gerochen haben "Dabei sollte er nochmal kommen." Wenn es wirklich eine Scharade war, zog Ferrari die Nummer konsequent durch. Als sich Vettels zweiter Stopp in Runde 38 von 56 andeutete, funkte der Heppenheimer sogar etwas von einem "Plan B".
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Es blieb Vettel kaum etwas anderes übrig als eine asymmetrische Strategie zu der des führenden Silberpfeils anzuschlagen. In Anbetracht seines Rückstandes in der WM-Gesamtwertung war der zweite Platz wenig hilfreich. Mit 7,3 Sekunden Rückstand war auf der Strecke gegen Hamilton nichts auszurichten. Also verließ sich Ferrari - ob von Anfang an geplant oder aus der Not heraus - auf zwei Hoffnungen: Dass dem Briten a) die Reifen eingehen, er auch noch stoppen muss und ein Undercut funktioniert oder b) ein Safety-Car Vettel mit frischen Gummis in Schlagdistanz bringt.
Zu verlieren gab es für den Deutschen wenig. Max Verstappen im Red Bull war weit genug weg, um nicht weiter als auf Platz vier zurückzufallen. Valtteri Bottas im zweiten Mercedes hatte Ferrari angesichts seiner schlechten Rundenzeiten (über seine Sekunde pro Runde langsamer als Vettel mit neuen Pneus) und der guten Überholmöglichkeiten in Austin als leichte Beute ausgemacht. Und Teamkollege Kimi Räikkönen? Es war klar, dass der Finne sofort zurückgepfiffen werden würde.
Ferrari gelang es mit dem Manöver, Unruhe bei Mercedes zu stiften. Schließlich waren sich die Silberpfeile von Anfang an nicht sicher, ob bei Hamilton der Soft durchhält. Bis Runde 31 hatte sich nicht einmal eine Tendenz abgezeichnet. Im Training war die Mischung kaum erprobt worden, belastbare Longrun-Daten lagen nicht vor. "Als sie ihren Boxenstopp gemacht haben", sagt Wolff über die Roten, "mussten wir entscheiden, ob wir es Sebastian gleichtun oder ob wir bei den Simulationen bleiben. Wir haben uns an unseren eigenen Plan gehalten."
Es blieb wenig Zeit, die Entscheidung zu treffen. Vettel fuhr nach seinem Halt bei der Crew zwischen 0,7 und 1,0 Sekunden pro Runde schneller als Hamilton. Das nötige 22-Sekunden-Fenster schloss sich im 44. Umlauf - hätte Mercedes seinen Star dann noch an die Box geholt, wäre er hinter dem WM-Rivalen zurück auf die Strecke gekommen. Also zog Hamilton, der mit seinen Reifen zufrieden war, seinen Plan A durch. Er hatte das Glück, dass es zu keiner Safety-Car-Phase kam.
Toto Wolff klopft seinem Strategiechef James Vowles auf die Schulter. "Es ist nicht immer einfach, die nötige Courage zu haben, um richtige Strategieentscheidungen zu treffen. Es steht so viel auf dem Spiel", weiß der Österreicher. Doch der 38-jährige Informatiker Vowles, der an den Rennwochenenden von einer Simulationsmannschaft in der Fabrik in Brackley unterstützt wird, blieb wieso oft cool. Für Wolff ist er einer der Schlüsselfiguren hinter dem Gewinn der Konstrukteurs-WM.
"Er war außergewöhnlich gut darin, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Nur ganz selten waren sie nicht perfekt - das war und ist eine Stärke des Teams", lobt Wolff, der Vowles gemäß des Mercedes-Protokolls bei allen Entscheidungen überstimmen könnte, es aber nur selten tut. "Es gibt teils heftige Diskussionen zwischen ihm und mir. Ich bin für die richtige Rennstrategie wohl eher abträglich denn hilfreich", schmunzelt der Sportchef, der nicht über alle Instrumente Vowles' verfügt. "Er fliegt das Flugzeug - da stelle ich mich nicht ins Cockpit und gebe meinen Senf dazu", sagt Wolff.