"Nicht verstecken": Psychotricks verhalfen Hamilton zur Pole
Nervenkrieg an der Heimatfront: Wie Lewis Hamilton es schaffte, die "leisen Stimmen" in seinem Kopf auszublenden - Streichung seiner Bestzeit korrekt
(Motorsport-Total.com) - Einmal kräftig durchpusten und die Stirn trockenwischen: Lewis Hamilton beschreibt seine Pole-Position, die er am Samstag im Qualifying zu seinem Heim-Grand-Prix in Silverstone holte, als Nervenprobe. So viel Zittern kannte der Brite nur aus seiner Jugend, als er als Dreikäsehoch vor dem Fernseher saß und seinem Idol Mansell die Daumen drückte: "Es erinnert mich daran, wie ich als Kind Nigel zugesehen habe", sagt Hamilton. Seine 55. Karriere-Pole war nicht die einfachste.
Zu Beginn des dritten Qualifyingabschnitts schon an der Spitze, wurde die Zeit des Mercedes-Stars wegen Überfahrens der Streckenbegrenzung gestrichen, sodass er plötzlich ohne gewertete Runde dastand und WM-Rivale Nico Rosberg von der Spitze grüßte. "Der Druck war riesig", erklärt er über seinen zweiten und entscheidenden Versuch. Für Hamilton nur ein Ansporn: "Ich fahre mein Heimrennen. Jeder kommt und will sehen, wie ich mich schlage. Das verschafft noch mehr Kick."
Wer sich in solchen Situationen denkt, er dürfe tunlichst keinen Fehler machen, ist schon verloren. "Diese kleinen, leisen Stimmen darfst du nicht in deinen Kopf lassen, sondern musst draufhauen", gibt Hamilton seine Psychokniffe preis. "Dann verbremst du dich auch nicht in der ersten Kurve." Wie es ist, eine Pole-Position in einer Drucksituation ohne Sicherheitsumlauf zu verlieren, erlebte er bereits am eigenen Leib - beim Österreich-Grand-Prix 2015, als er das Auto ins Kiesbett warf.
Damals allerdings hatte Hamilton zuvor keine Bestzeit in den Asphalt gebrannt. "Ich fühle mich in dieser Situation wohl. Wenn man hinten liegt, dann ist es schwieriger. Ich wusste ja, dass ich drei Zehntelsekunden schneller war", sagt der Champion. "Ich weiß nicht, warum, aber in eben diesen Momenten freue ich mich am meisten. Vor Druck sollte man sich nicht verstecken, man sollte dann richtig angreifen." Gesagt, getan. Am Ende standen wieder 0,319 Sekunden Vorsprung auf der Uhr.
Im Vergleich von Q2 zu Q3 legte Hamilton nicht mehr zu, sondern blieb 0,044 Sekunden hinter seiner eigenen Bestmarke - obwohl die Strecke im Laufe einer Session gewöhnlich schneller wird. Er bringt den Wind als Erklärung ins Spiel und sagt: "Manchmal fährst du auf eine Kurve zu und er kommt viel stärker von vorne. Wir waren schon in Q2 am Limit und nahe an unserem Maximum." Eine Zehntelsekunde sei jedoch drin gewesen: "Ein bisschen schneller hätte ich schon sein sollen."
Apropos Wind: Eine Böe ist laut Hamilton auch Schuld daran, dass es überhaupt zum Nervenkrieg kam, nachdem er in Copse die sogenannten Track Limits nicht einhielt: "Copse und Stowe sind schwierig. Einmal hat man kräftig Wind von vorne, dann plötzlich von der Seite", beschreibt er. "Jedes Mal, wenn man einlenkt, weiß man es bis zum Scheitelpunkt nicht. Ich war am Anschlag, das Auto setzte auf dem Radstein auf und sprang über die Linie. Ich wusste, was Sache ist und rechnete damit." Die Maßnahme der Stewards akzeptiert er klaglos: "Die Rennleitung arbeitet gut, kein Problem!"