Mercedes: Wie kam es zur "Katastrophe" von Barcelona?
Im Qualifying topp, im Rennen ein Flop: Mercedes geht nach dem enttäuschenden Europa-Auftakt auf Spurensuche, um das fehlende Sonntags-Tempo zu finden
(Motorsport-Total.com) - Für Mercedes-Sportchef Toto Wolff ist es eine "Katastrophe", für Nico Rosberg ist es "unerklärlich": Warum konnten die Silberpfeile am Sonntag nicht an die Geschwindigkeit vom Samstag anknüpfen? Im Qualifying hatten Rosberg und Lewis Hamilton die beiden Mercedes-Werksautos schließlich noch geschlossen in die erste Startreihe gestellt. Im Rennen fiel das Duo aber deutlich ab - und vor allem zurück.
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Irgendwo im Nirgendwo: Nico Rosberg und Lewis Hamilton stürzten regelrecht ab Zoom Download
Rosberg rettete für Silber immerhin noch den sechsten Platz und damit einige WM-Punkte, doch Hamilton kam nicht über den zwölften Rang hinaus und fuhr nichts Zählbares ein. Und so stellt sich nach dem fünften Saisonrennen nicht nur Rosberg folgende Frage: "Und wie erklärt man das?" Er selbst habe jedenfalls "keine Ahnung", was die Ursache für das Abschneiden am Sonntag sei.
Auch Wolff tappt im Dunkeln und will den Auftritt beim Großen Preis von Spanien am liebsten ganz schnell vergessen. "Eigentlich sollten wir das Rennwochenende am Samstagabend beenden", sagt er bei 'Sky' und merkt an: "Mir ist gar nicht nach Lachen zumute. Ich glaube, das ist für alle von uns frustrierend." Das Ergebnis verursache "nahezu körperliche Schmerzen", so der Mercedes-Sportchef.
Der Spaßfaktor war gering im Barcelona-Rennen...
Warum, das liegt laut Hamilton auf der Hand: "Zurückfallen macht niemals Spaß." Es ist aber vor allem die Art und Weise, wie das vonstatten ging, die einige Beobachter erstaunt. Der "Absturz" von Hamilton sei zum Beispiel einfach "unglaublich" gewesen, meint Formel-1-Experte Marc Surer im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. "Das gibt es eigentlich gar nicht." Trotzdem ist es Realität geworden.
Und nun steht Mercedes vor einem Rätsel: am Samstag superschnell, am Sonntag superlangsam. Wo also liegt das Problem? Zumindest nicht an den Reifen, betont Paul Hembery von Formel-1-Lieferant Pirelli. Er nimmt sein Unternehmen aus der Schusslinie, indem er sagt: "Die gleichen Reifen fanden sich ja auch am Auto von Alonso." Und der hat den Großen Preis von Spanien bekanntlich gewonnen.
Im Gegensatz zu Silber konnte Rot aber von Samstag auf Sonntag noch zulegen und machte keine Rückschritte. Und so klagt Hamilton nach dem fünften Saisonrennen: "Wir bekamen die Reifen nie wirklich zum Funktionieren." Damit hatte er mehr zu kämpfen als Rosberg, der zunächst tapfer den ersten Platz verteidigte. Seine Gegner konnte er aber nur bis zur 13. Runde hinter sich halten.
Rosberg eiert um den Kurs und fällt zurück
Dann war Schluss mit der Mercedes-Gala in Barcelona. "Ab dem zweiten Stint ging es so was von nach hinten los", meint Rosberg. "Bevor ich mir meine Reifen kaputtmache wie in Bahrain, weil ich versuche, sie hinter mir zu halten, habe ich sie Stück für Stück vorbeigelassen. Ich musste halt mein Rennen fahren." Prompt verlor Rosberg binnen einer Runde gleich drei Positionen (!) an die Rivalen.
"Ich musste so langsam fahren und bin so weit weg von dem, was das Auto kann", erklärt der junge Deutsche. Er fügt hinzu: "Wir sind so schnell im Qualifying, absolut dominant. Und dann so was von nach hinten im Rennen. Warum, das ist momentan leider noch unerklärlich." Vermutungen gibt es aber sehr wohl. Auch Mercedes-Sportchef Wolff hat nach dem Europa-Auftakt eine gewisse Theorie.
Er meint: "Wir haben einfach das Problem, einen Kompromiss zu finden, um es mit den Reifen, mit dem vielen Sprit, dem Gewicht am Sonntag zum Funktionieren zu bringen." Soll heißen: Mit wenig Benzin an Bord und über die eine schnelle Runde hinweg ist der Silberpfeil eine Wucht, sobald der Tank voll ist, läuft nicht mehr viel zusammen. "Es liegt an der Umsetzung", meint Wolff in Spanien.
Muss der Samstag "geopfert" werden?
Das Team müsse nun gründlich analysieren, weshalb erst Hamilton und dann auch Rosberg im Rennen eingebrochen seien und vor allem, warum in dieser gewaltigen Dimension. Müsste man das Rennauto vielleicht noch mehr auf den Sonntag abstimmen? Niki Lauda, Vorsitzender des Aufsichtsrats, winkt ab: "Das hat Mercedes gemacht. Das kann ich garantieren", sagt er im 'RTL'-Interview.
Zumal der Mercedes ein "prinzipiell schnelles" Fahrzeug sei. "Sonst kannst du nicht beide Autos im Training in die erste Startreihe stellen", erklärt Lauda. Er fährt fort: "Für eine Runde, wo das volle Potenzial des Autos rauskommt, kann man das umsetzen. Deswegen ist man ganz vorn." Im Rennen würde Silber jedoch die Pirelli-Reifen über Gebühr strapazieren. "Und das funktioniert leider nicht."
Ein "genetisch" bedingtes Problem
Zu rasch sind die Reifen bei Mercedes am Ende. Doch das ist kein neues Phänomen, wie Formel-1-Experte Surer anmerkt: "So geht das seit Jahren. Das ist in den Genen dieses Autos. Dass man das nicht findet, ist schon interessant." Dabei, und das stellt der frühere Rennfahrer heraus, handele es sich beim Silberpfeil um ein "schnelles Formel-1-Auto", das eigentlich "ganz gut" aufgestellt sei.
"Auf eine Runde muss man Barcelona immer als Messlatte hernehmen", meint Surer. "Und ein schnelles Auto ist ein schnelles Auto. Wenn sie es regeln können, dann sind sie wirklich gut aufgestellt, würde ich sagen." Und die Hoffnung ist zumindest vorhanden: "Ich bin überzeugt davon, dass wir das Problem lösen werden", sagt Hamilton und fügt hinzu: "Wir müssen weiter positiv denken."
Lauda will vor allem eine Frage geklärt wissen: "Wie kriegt man dieses Auto jetzt unter den unterschiedlichsten Temperaturen und mit diesen Reifen im Rennen auf Trab?" Das, so der Ex-Champion, sei die "Riesenherausforderung, die manche besser lösen als andere". Für den Grand Prix in Monaco müsse man neue Lösungen suchen. Und, das verspricht Lauda, "die werden wir auch finden".
...und in Monaco dann der Doppelsieg?
Vielleicht ist das aber auch gar nicht unbedingt notwendig. "Mercedes hat große Chancen, das Rennen dort zu gewinnen", meint Surer. Er erklärt: "Wenn du mit zwei Autos vorn stehst, dann fährst du es auch nach Hause, weil dich in Monaco ja keiner überholen kann. Dort ist der Abbau der Reifen wohl auch weniger schlimm, denn die Reifen werden auf diesem Kurs ja ganz anders belastet."
Nimmt die Saison 2013 für Mercedes also just beim Glamour-Grand-Prix in Monte Carlo eine ganz neue Wendung? Auf einer Strecke, auf der - ähnlich wie schon beim Europa-Auftakt in Barcelona - die Qualifikation ein wichtiger Faktor ist. Rosberg und Hamilton gelten jedenfalls beide als Spezialisten für den Stadtkurs im Fürstentum. Bleibt nur noch abzuwarten, in welcher Form das Auto dort sein wird...