Formel-1-Kommission tagt in Genf: Todt gegen Biturbo-Lösung
FIA-Boss Jean Todt versucht heute in Genf bei den Treffen von Strategiegruppe und Formel-1-Kommission, die Krise abzuwenden - Und lehnt Red Bulls Biturbo-Idee ab
(Motorsport-Total.com) - Die aktuellen V6-Turbo-Antriebseinheiten und die Finanzkrise sorgen in der Formel 1 weiter für dicke Luft. Heute Dienstag wird es dazu in Genf vermutlich heiße Wortgefechte geben, denn zunächst findet ein Meeting der Strategiegruppe statt, dann folgt die Tagung der Formel-1-Kommission. FIA-Boss Jean Todt weiß spätestens nach der Teampleite bei Marussia, dass es in der Formel 1 so nicht weitergehen kann.
© xpb.cc
Jean Todts Begeisterung über Red Bulls Biturbo-Vorschlag hält sich in Grenzen Zoom Download
Der Franzose, der sich bislang in der Debatte zurückgehalten hat, scheint aufgewacht. "Ich werde für die kleinen Teams um den Motorenpreis kämpfen", kündigt er an. "Ich werde mein Bestes geben. Ich kann für nichts garantieren, aber ich werde mich wirklich darum bemühen." Eine Kampfansage des ehemaligen Ferrari-Teamchefs. Er glaubt daran, dass sich die Wogen glätten werden: "Bei den Motoren können wir eine Lösung finden. Ich bin zuversichtlich, dass wir auf ein Ergebnis kommen werden."
Teure Antriebseinheiten als Kostenfalle
Todt wandelt auf einem schmalen Grat: Einerseits will er die Automobilhersteller, die die teuren V6-Turbomotoren mit Hybridantrieb gefordert haben, nicht vergraulen, gleichzeitig muss er die Kosten nach unten bringen, damit die Formel 1 langfristig überlebensfähig ist.
Bleibt man dem aktuellen Reglement treu, werden die Antriebseinheiten trotz eingefrorener Entwicklung selbst im Jahr 2020 immer noch um 20 Prozent mehr kosten als die bis 2013 eingesetzten V8-Saugmotoren. Dieses Jahr haben sich die Antriebskosten sogar verdoppelt.
Red-Bull-Teamchef Christian Horner schätzt gegenüber 'ServusTV', dass die Entwicklung der neuen komplexen Antriebseinheiten die Hersteller "eine Milliarde Euro" gekostet haben. Das Problem: "Diese Kosten werden natürlich an die unabhängigen Teams weitergegeben. Deswegen hatten Marussia und Caterham diese Probleme und haben große Schwierigkeiten, sich da über Wasser zu halten."
Red Bull will Biturbo-Idee in Genf diskutieren
Dies nahm Red Bull am vergangenen Wochenende zum Anlass, um ein neues Motorenkonzept ab 2016 vorzuschlagen: ein Biturbo-Motor mit einem Einheits-KERS. "Wir würden den Turbo vereinfachen, möglicherweise einen Biturbo nehmen", erklärt Horner. "Man könnte den Turbo und das Energie-Rückgewinnungssystem standardisieren, und das würde die Entwicklungskosten für die Hersteller drastisch reduzieren, was sich wiederum auf die unabhängigen Teams auswirken würde."
Ein cleverer Schachzug von Red Bull: Denn nebenbei wäre man auch seinen Motorennachteil - Renault verpatzte den Start ins V6-Turbo-Zeitalter völlig - wieder los. Davor hatte man bereits vorgeschlagen, wieder zu den alten V8-Motoren zurückzukehren. Kein Wunder also, dass Mercedes am aktuellen Reglement festhalten will, schließlich liefert man in puncto Motoren seit dieser Saison das Referenzprodukt ab.
Todt lehnt Biturbo-Idee ab
Todt zeigt Verständnis dafür, dass Red Bull mit dem Status quo nicht leben kann und sich um Chancen bemüht, wieder konkurrenzfähig zu sein. Daher gibt er sich gesprächsbereit, was Entwicklungsmöglichkeiten bei den aktuellen Motoren angeht: "Es macht erst Sinn, die Entwicklung einzufrieren, wenn die einzelnen Motoren ungefähr auf einem Niveau liegen." Gleichzeitig ist ihm bewusst: "Wir können Mercedes jetzt nicht dafür bestrafen, dass sie gute Arbeit geleistet haben."
Unterstützung erhält er überraschenderweise ausgerechnet von Red Bulls Partner Renault. Motorenchef Remi Taffin widerspricht, dass sich die Kosten der Motoren durch eine Biturbo-Lösung halblieren würden: "Ein zweiter Turbolader würde zunächst einmal mehr kosten. Allerdings würde der Wegfall des ERS-H-Systems einiges an Kosten sparen. Auf den halben Preis kommen wir aber dennoch längst nicht."
Horner schießt gegen Todt
Trotzdem wehrt sich Horner gegen Todts Ansichten. "Er hat es nicht verstanden", wirft er dem FIA-Boss vor. In Genf will er deshalb das Gespräch mit dem Franzosen suchen. Auch die Gefahr, dass Mercedes aussteigen könnte, wenn ein neues Reglement kommt, relativiert der Brite: "Wenn wir alles so lassen, dann steigen vielleicht Renault und ein oder zwei andere Hersteller aus. Man muss doch das tun, was für den Sport richtig ist, und nicht für einen einzelnen Hersteller."
Die Verbesserung der Show ist auch für Todt ein Punkt, über den er in Genf diskutieren will. "Ich sage nicht, dass die Show nicht gut ist, aber man wacht jede Woche auf und weiß, dass man es noch besser machen kann", erklärt er. "Das sollten wir immer versuchen."
Todt auf verlorenem Posten?
Todt ist aber bewusst, dass anhand der Entscheidungsprozesse in der Formel 1 auch in Genf schwierige Stunden bevorstehen. Nur Themen, die von der aus den privilegierten Teams Red Bull, Ferrari, Mercedes, McLaren, Williams und Lotus sowie je sechs FOM- und FIA-Stimmen bestehenden Strategiegruppe abgesegnet wurden, werden auch in der Formel-1-Kommission behandelt, wo alle Teams sowie weitere Formel-1-Interessensgruppen präsent sind.
Daran scheiterte Todts bislang letzter Versuch, die Kosten in der Formel 1 zu reduzieren. "Ich war zuletzt beim Treffen der Strategiegruppe der einzige, der die Anzahl der produzierten Teile reduzieren wollte", klagt der FIA-Boss. "All die anderen waren nicht dafür. Und dann sprachen wir über eine Kostendeckelung, aber sogar das Lotus-Team, das heute sagt, dass zu viel Geld ausgegeben wird und wir eine Kostendeckelung haben sollten, stimmte dagegen." In Genf werde man sehen, ob die Teams diesbezüglich weiter stur sind.
Warum ausgerechnet Lotus - von finanziellen Problemen seit Jahren gebeutelt und nur wegen der letztjährigen Platzierung in der Konstrukteurs-WM in der Strategiegruppe - dagegen stimmte? "Wir waren gegen eine Budgetdeckelung, weil wir sie bei den Herstellern für nicht überprüfbar halten", erklärt Lotus-Teamchef Gerard Lopez gegenüber 'auto motor und sport'. "Stattdessen wollten wir eine wirksame Ressourcenbeschränkung und Entwicklungsbremse. Und das wollte keiner."