• 27. Januar 2025 · 18:16 Uhr

Der Tag, als der junge "Schumi" fast verdroschen wurde

Beinahe hätte Michael Schumacher sein Formel-1-Debüt mit blauem Auge bestreiten müssen: Derek Warwick wollte dem Nachwuchsstar eine Woche zuvor an den Kragen

(Motorsport-Total.com) - An Michael Schumacher scheiden sich schon seit jeher die Geister: Als Rekordweltmeister der Formel 1 sportlich über jeden Zweifel erhaben, sorgte der Kerpener im Laufe seiner Karriere mit so manch fragwürdiger Aktion für Kritik: Adelaide '94, Jerez '97, Monaco '06... Nicht alle Experten und Kollegen im Fahrerlager haben eine ungetrübte Meinung zu "Schumi".

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Derek Warwick (li.) hielt nicht viel vom jungen Michael Schumacher (re.) ... Zoom Download

Einer, der in jedem Fall keine besonders großen Stücke auf Schumacher hält, ist Ex-Formel-1-Pilot Derek Warwick. In seiner neuen Biographie "Never Look Back" erklärt er warum, und erinnert sich an eine Anekdote aus dem Sommer 1991 - eine düstere Zeit für Warwick und seine Familie, kam sein jüngerer Bruder Paul damals doch bei einem Formel-3000-Unfall in Oulton Park ums Leben.

Wenige Wochen nach der Tragödie war er selbst wieder beim Lauf der Sportwagen-WM am Nürburgring für Silk-Cut-Jaguar im Einsatz, und traf dort auf den aufstrebenden Michael Schumacher, der die Saison für Sauber-Mercedes bestritt. Doch im Qualifying kam es zu einem "wenig erbaulichen Vorfall" zwischen den beiden, wie es Warwick in seinem Buch beschreibt.

Nürburgring: Crash im Qualifying erhitzt die Gemüter

"Er machte sich damals schon einen Namen im Sportwagenteam von Mercedes, und war als Fahrer sicherlich jemand besonderes - aber nicht als Mann, wie sich zu der Zeit herausstellte", sagt Warwick: "Wenn du mit Michael im gleichen Stint warst, wusstest du, dass du dich in einem Rennen befindest, wenngleich sein Auto nicht ganz so gut war wie unseres. Er schnappte sich zunächst die Pole, aber ich holte sie mir wieder von ihm zurück."

Doch Schumacher konterte erneut und setzte sich wieder an die Spitze. Warwick holte sich daraufhin frische Reifen und machte sich mit einer langsamen Outlap gerade an die Vorbereitung zum Gegenangriff: "Da sah ich einen Mercedes in meinen Rückspiegeln auftauchen. In der Kurve vor der Gegengerade bin ich innen sogar auf den Randstein, um so weit wie möglich auszuweichen", erinnert sich der Brite.

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Warwick 1991 im Silk-Cut-Jaguar: 1992 gewinnt er mit Peugeot in Le Mans Zoom Download

"Als ich vom Randstein wieder runterfuhr, um auf meine Quali-Runde zu gehen, zog der Mercedes plötzlich nach rechts und fuhr mir geradewegs gegen das linke Vorderrad. Das Rad war ab und die Nase kaputt, mein Angriff auf die Pole war also dahin", so Warwick: "Ich war außer mir, erzürnt von der Respektlosigkeit und der absoluten Gefährlichkeit dessen, was mir gerade widerfahren war."

Auf drei Rädern humpelte der Jaguar-Pilot zurück an die Box: "Ich stürmte in den Mercedes-Bereich und schmiss meinen Helm weg, während ein paar ihrer Mechaniker versuchten mich zurückzuhalten. Sie hatten offenbar auf den Monitoren gesehen, was ihr Mann gemacht hatte", erklärt Warwick: "Der erste Fahrer, den ich sah, war Jean-Louis Schlesser, der gerade seinen Helm abnahm. Also nahm ich an, er war es!"

Schlesser verpfeift Schumi, stachelt ihn dann aber an

"Ich stürmte auf ihn los, doch er wich zurück, stotterte: 'Nein, nein, es war Schumacher', und zeigte auf ihn in einer Ecke der Garage. Anstatt seinen Mann zu stehen und dazu, was er da gerade gemacht hatte, rannte Michael aus der Garage, also verfolgte ich ihn", erinnert sich der Brite: "Er rannte eine Rampe hoch, von hinten in einen der Transporter hinein, vorne wieder ein paar Stufen hinunter, durch eine Seitentüre und in einen anderen Transporter."

Doch der wütende Warwick war schneller: "Ich holte auf ihn auf und war jetzt direkt hinter ihm. Als er durch eine andere Tür rannte, versuchte er, sie mir direkt ins Gesicht zu schlagen, aber ich bekam noch meinen Fuß dazwischen und rempelte mich durch. Nun waren wir im Fahrerraum, mit einem Massagetisch in der Mitte. Ich hatte ihn bereits über dem Tisch, und versuchte ihn zu schlagen, aber zu diesem Zeitpunkt war schon Jochen Mass da, gefolgt von Schlesser und ein paar Mechanikern."

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Michael Schumacher und Teamkollege Karl Wendlinger neben Derek Warwick (re.) Zoom Download

"Erinnert euch, was ich über Jochen gesagt habe, als wir 1986 gemeinsam in Daytona gefahren sind?", erzählt Warwick in Bezug auf eine frühere Stelle in dem Buch: "Er war so stark. Er packte mich und zog mich weg. Alles, was ich hören konnte, war Schlesser, der rief: 'Schlag ihn, schlag ihn!' - und damit Schumacher meinte..."

Doch Warwicks erste Wut war da schon verflogen: "Die Sache ist: Als ich Michael endlich zu fassen bekam, dachte ein Teil von mir: 'Er ist nur ein Bursche...' Und als ich in sein Gesicht sah, sah ich nur Paul vor mir. Sie sind beide im Januar 1969 geboren, 26 Tage auseinander... und plötzlich war mein ganzer Ärger verraucht."

Warwick: Heute "wahrscheinlich beide ausgeschlossen"

Allein: Die Rennleitung am Nürburgring nahm sich des Vorfalls im Nachhinein natürlich noch an. "Es gab eine große Untersuchung der Stewards. Jeder an diesem Wochenende stimmte darin überein, dass sein Verhalten, als er mir reinfuhr, falsch war, potenziell gefährlich, und besonders heimtückisch und unsportlich - vor allem vor dem Hintergrund, dass unsere Familie zehn Tage zuvor erst Paul beerdigen musste", so der heutige 70-Jährige, der mittlerweile selbst oft als Rennsteward für die FIA fungiert.

"Heutzutage wären wir wahrscheinlich beide von der weiteren Teilnahme am Wochenende ausgeschlossen worden: Michael für das gefährliche Fahren, und ich für das Kämpfen", reflektiert Warwick: "Aber er bekam nur eine Verwarnung für 'Fehlverhalten und gefährliches Vorgehen', und ihm wurde gesagt, dass er sich bei mir entschuldigen soll."

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Derek Warwick im Jahr 2024 als FIA-Kommissar beim Großen Preis von Kanada Zoom Download

Für die Regelhüter hat Warwick dabei sogar Verständnis: "Ehrlich gesagt, muss die Situation für die Offiziellen recht kniffelig gewesen sein, denn wir waren in Deutschland, und er war dabei der nächste große deutsche Superstar zu werden", wundert sich der Brite nicht über das geringe Strafmaß.

Aus Schumachers anschließendem Verhalten wird der 147-fache Grand-Prix-Starter aber nicht schlau: "Soweit ich es verstanden habe, wollte Michael sich nicht entschuldigen. Ich verstehe zwar immer noch nicht warum, aber er weigerte sich, beharrte darauf, dass ich ihn absichtlich geblockt hätte, was ich nicht tat. Und selbst wenn ich es getan hätte, du fährst niemandem absichtlich so rein - außerdem hatte ich so ziemlich alles gemacht, was ich konnte, um ihm aus dem Weg zu bleiben."

Schumacher: Maue Entschuldigung sorgt für mehr Ärger

"Die Organisatoren sagten, Michael müsse sich entschuldigen, sonst dürfe er nicht am Rennen teilnehmen. Schließlich kam er also ein paar Stunden vor dem Rennen rüber zur Jaguar-Garage. Und das war der Punkt, wo ich noch mehr den Respekt für ihn als Person verloren habe", schildert Warwick: "Ihm muss das Trauma bewusst gewesen sein, welches ich gerade durchmachte, und wie eng ich mit meinem kleinen Bruder war, wie schwer es für mich war, überhaupt nur da zu sein."

Den Briten wundert umso mehr: "Er hatte doch schließlich selbst einen kleinen Bruder, der sich auch gerade im Kartsport einen Namen machte zu dieser Zeit? Doch alles, was er tat, war ein Wort zu murmeln, das vielleicht mit S (für Sorry; Anmerkung der Redaktion) anfing, und dann ging er weg. Er schaute mir nicht mal in die Augen, geschweige denn mir die Hand zu geben oder mich zu umarmen."

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Nur eine Woche später gab Schumacher in Spa sein F1-Debüt für Eddie Jordan (li.) Zoom Download

Für Warwick steht fest: "Ich würde deutlich mehr von ihm halten, wenn er einfach mit den Schultern gezuckt und gesagt hätte: 'Weißt du was, Derek, ich bin ein Arsch. Ich weiß, was du und deine Familie gerade durchmachen, es war so ein Hitze-des-Moments-Ding, und es tut mir wirklich leid.' Das war alles, was es gebraucht hätte. Aber er hat nie irgendetwas in diese Richtung gesagt. Es war zutiefst ausdruckslos", zeigt sich Warwick enttäuscht.

Kein Wunder, dass der 70-Jährige deshalb erklärt: "An diesem Wochenende hat meine Meinung von Michael Schumacher einen Sturzflug erlebt." Ganz anders verhielt es sich im Gegensatz dazu in jenen Tagen jedoch mit "Schumis" Stern am Motorsport-Himmel, denn exakt eine Woche später gab er am 25. August 1991 im belgischen Spa sein vielbeachtetes Formel-1-Debüt mit Jordan. Der Startschuss zu einer legendären Karriere, die um ein Haar mit einem blauen Auge begonnen hätte...

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