Wie Carlos Sainz in seinem Abschiedsjahr von Ferrari wahre Größe zeigte
Carlos Sainz hat sich nach vier intensiven Jahren emotional von Ferrari verabschiedet - Sein Vermächtnis geht dabei weit über seine Leistung im Auto hinaus
(Motorsport-Total.com) - Stunden nach dem Abu Dhabi Grand Prix kämpfte Carlos Sainz mit den Tränen. Im Fahrerlager wurde ein Monitor aufgestellt, um ein Abschiedsvideo zu zeigen, das Ferrari für den Spanier nach seinen vier Jahren in Maranello produziert hatte.
© Motorsport Images
Im letzten Rennen mit Ferrari schaffte es Carlos Sainz noch einmal aufs Podest Zoom Download
Alle Teammitglieder trugen eine spezielle Kappe mit der Aufschrift "Grazie Carlos", die Sainz verkehrt herum trug, damit die Botschaft auf der Rückseite besser sichtbar war.
Sein makelloser zweiter Platz hinter Lando Norris reichte zwar nicht aus, um Ferrari den Konstrukteurstitel zu sichern, den schließlich McLaren gewann, markierte jedoch das würdige Ende einer vierjährigen Phase, in der der 30-Jährige alles daran setzte, sein Traumteam wieder an die Spitze der Formel 1 zu führen.
Ein emotionales Jahr
Das Rennen in Abu Dhabi war der emotionale Höhepunkt eines herausfordernden Jahres für Sainz, in dem er kurz vor Saisonbeginn erfuhr, dass seine vierte Saison in Maranello seine letzte sein würde. Ferrari hatte ihn geopfert, um den siebenfachen Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton von Mercedes loszueisen.
Den Platz in einem Formel-1-Team zu verlieren, ist nie leicht. Doch für Sainz war es besonders schmerzlich, da er zuvor bereits bewiesen hatte, dass er bei Ferrari mehr als nur ein solider zweiter Fahrer hinter Charles Leclerc sein konnte.
Leclerc - als Ferraris großes Talent und einer der schnellsten Qualifier der Formel 1 - hatte zwar oft die Oberhand über eine fliegende Runde, aber Sainz bewies mit Talent, Entschlossenheit und Arbeitsethik, dass er mit ihm mithalten konnte.
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So spielte der Spanier eine entscheidende Rolle bei Ferraris Aufschwung unter Teamchef Frederic Vasseur. Trotz gelegentlich hitziger Funknachrichten hielten Sainz und Leclerc ihre Beziehung intakt, was durch Leclercs Tribut-Helm für seinen Teamkollegen am letzten Rennwochenende unterstrichen wurde.
Es ist klar, dass Ferrari mehr als glücklich gewesen wäre, mit der Paarung fortzufahren, wenn sich die einmalige Gelegenheit ergeben hätte, Hamilton zu verpflichten.
Abschied von Ferrari
Sainz verlässt Ferrari mit vier Rennsiegen. Zwei davon fuhr er in der Saison 2024: einen in Melbourne nach seiner Genesung von einer Blinddarmentzündung, den anderen in Mexiko. Doch sein Abgang war von gemischten Gefühlen geprägt.
"Das Leben ist eine Achterbahnfahrt", sagte Sainz im Podcast Beyond the Grid. "Ich erinnere mich, wie emotional ich auf dem Podium in Australien war, denn dort waren mein Vater, mein Manager und meine Freundin. Ich habe natürlich auch an meine Mutter gedacht, und sie alle haben mich im Winter leiden sehen."
"Und wenn ich sage leiden, dann meine ich nicht, dass ich hinter verschlossenen Türen geweint habe, aber ich war wirklich verletzt. Ich war verletzt, weil ich es nicht erwartet hatte. Ich war auf diese Art von Nachricht nicht vorbereitet. Ich stand eine Weile unter Schock, aber dann habe ich mich wieder gesammelt."
"Aber ich erinnere mich, dass ich nach dem Sieg in Australien darüber nachdachte, wie glücklich ich mich schätzen kann, Menschen um mich herum zu haben, die mir die innere Stärke geben, um einen damals schwierigen Moment zu überwinden."
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Sainz gab zu, dass er anfangs wütend auf Ferraris Entscheidung über seine Ablösung gewesen sei: "In dem Moment, in dem sie dir diese Nachricht geben, bist du natürlich wütend. Du verstehst es nicht. Du fluchst. Du denkst, alles in deinem Leben ist schrecklich und du verstehst es nicht. Aber die Zeit heilt alles."
"Man versteht irgendwann, dass Lewis Hamilton, der siebenfache Weltmeister und einer der besten Fahrer aller Zeiten, dich ersetzen wird, und dass du einer der Fahrer sein musst, die dafür geopfert werden. Ich verstehe auch, dass es nie Charles sein sollte. Charles war das Projekt von Ferrari, seit er ein Nachwuchsfahrer war."
"Ich habe also von Anfang an verstanden, dass ich derjenige sein muss, der ersetzt wird. Ich war zu dem Zeitpunkt nur nicht so sehr damit einverstanden", räumte Sainz ein.
"Aber hey, am Ende stimmt man zu und findet sich damit ab. Ich habe Vasseur und Elkann (Ferrari-CEO; Anm. d. R.) gesagt, was ich dachte, mich davon freigemacht und ihnen versprochen, dass ich mein absolut Bestes für Ferrari geben werde."
Neuanfang bei Williams
Freilich wäre es einfacher gewesen, weiterzuziehen, wenn andere Spitzenplätze frei geworden wären. Doch McLaren war besetzt, und da ihn weder Red Bull noch Mercedes verpflichten wollten, entschied sich Sainz für Williams. Trotz des Wissens, dass Siege vorerst außer Reichweite sein würden, sah er langfristiges Potenzial.
Nach einem privaten Filmtag gab der Spanier, der ganz in einen weißen Overall gekleidet war, am Dienstag beim Reifentest in Abu Dhabi sein offizielles Williams-Debüt.
"Ich glaube, ich passe nicht in die Red-Bull-Situation", erklärte Sainz. "Sie hatten sechs Monate Zeit, mich zu holen, aber sie haben es nicht getan. Und ich denke, das liegt daran, dass ich einfach nicht zu dem Fahrertyp passe, den sie brauchen."
"Ich habe kein Problem damit und sehe es nicht als verlorene Chance an, nicht bis Dezember zu warten. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich bei Williams gewollt fühlte. Sie haben unglaubliche Arbeit geleistet, mich zu überzeugen."
Vermächtnis bei Ferrari
Sainz' letzter Sieg für Ferrari kam im Oktober, als er den Grand Prix von Mexiko von der Poleposition aus dominierte. Während ihm bewusst war, dass es sein letzter Sieg sein könnte, wurde die Wehmut angesichts von Ferraris Aufschwung noch größer.
"Es ist bittersüß, weil Ferrari nächstes Jahr vielleicht um die Weltmeisterschaft kämpfen wird, und ich werde nicht dabei sein", sagte er damals. "Ich denke, es wäre leicht möglich gewesen, dass ich ein wenig die Motivation und den Antrieb verliere."
"Aber ich bin stolz auf die Art und Weise, wie ich es geschafft habe, mich im Rennen zu halten, und natürlich versuche ich jetzt, dem Team so gut wie möglich zu helfen, den Konstrukteurstitel zu gewinnen, denn das wäre der perfekte Abschied." Am Ende fehlten 14 Punkte, um McLaren von seinem Platz zu verdrängen.
Mehr als der "Smooth Operator"
Doch Sainz bekam trotzdem den Abschied, den er verdient hat - für seine fahrerischen und technischen Fähigkeiten und seine Rolle bei Ferraris Wiederaufstieg, aber auch für die vorbildliche Art und Weise, wie er sich in den letzten zehn Monaten verhalten hat.
"Es war emotional, als mein Ingenieur während der In-Lap mit mir sprach", reflektierte Sainz. "Ich bin sehr dankbar, Teil dieses großartigen Teams gewesen zu sein. Ich habe meine ersten Siege, Polepositions und Podien hier gefeiert. Ich habe bewiesen, dass ich um Siege und Podien kämpfen kann, wenn ich das richtige Auto habe."
Sainz hat nicht nur seine Fähigkeiten als Fahrer gezeigt, sondern auch, dass er ein Vorbild an Professionalität und Charakter ist - selbst in seinem schwierigen Abschiedsjahr.