Formel-1-Technik: Ist das die Ursache der aktuellen Red-Bull-Probleme?
Was hinter den Balance-Problemen des Red Bull RB20 stecken könnte und wie das Team um Verstappen und Perez seine Technik wieder in den Griff kriegen will
(Motorsport-Total.com) - Red Bull ist "alarmiert" nach den jüngsten Rennen zur Formel-1-WM 2024. Denn der Red Bull RB20 von Max Verstappen und Sergio Perez verhält sich auf der Rennstrecke weiterhin nicht wie gewünscht: Die Fahrer beklagen eine zu wechselhafte Balance und eine Unvorhersehbarkeit, was das Fahren am Limit kaum zulässt.
© Giorgio Piola
Unterschiedliche Entwicklungsstufen des Red Bull RB20 in der Formel-1-Saison 2024 Zoom Download
Zwar verspricht Red Bull, die technischen Probleme alsbald zu lösen, doch erst einmal muss das Team hier Ursachenforschung betreiben. Laut Sergio Perez hat Red Bull immerhin eine klare Spur. Die Erfahrung aber zeigt: Ein Problem zu erkennen und es zu lösen, das sind zwei Paar Stiefel. Und das noch dazu unter dem Druck des WM-Titelkampfs, der Red Bull in den restlichen Rennen zu entgleiten droht.
Was also hat das Team falsch gemacht mit dem RB20? Teamchef Christian Horner hat dazu beim Italien-Grand-Prix in Monza eine interessante Andeutung gemacht, als er sagte: "Vorderachse und Hinterachse stehen nicht in Einklang zueinander. Das kann man sehen. Unser Windkanal zeigt das so nicht, aber die Rennstrecke zeigt es."
Das mache die wahre Dimension der Red-Bull-Schwierigkeiten deutlich, meint Horner. Er erklärt: "Wenn so etwas auftritt, heißt es, du kannst deinen Werkzeugen nicht vertrauen. Dann musst du dich auf die Daten von der Rennstrecke und auf frühere Erfahrungen verlassen."
Ist also der Windkanal schuld an der aktuellen Red-Bull-Misere in der Formel 1?
In diesem Artikel rollen wir die technische Entwicklung des RB20 auf und versuchen herauszufinden, was das Team unternommen hat, um die Balance-Schwierigkeiten in den Griff zu kriegen.
Bei dieser Betrachtung sticht der Miami-Grand-Prix ins Auge. Rein von den Ergebnissen und vom Autoverhalten her könnte man dieses Rennwochenende als den Wendepunkt betrachten - und nicht nur für Red Bull, sondern auch für die Konkurrenz: McLaren hat dort sein erstes großes Update eingesetzt. Das hat McLaren zu einem Sieganwärter gemacht und den MCL38 zu einem überaus vielseitigen Auto.
Mercedes wiederum ist mit seinem Monaco-Update ebenfalls deutlich besser geworden, während Ferrari ab Kanada den Anschluss zur Spitze verloren hat, nachdem das Spanien-Update mit einem neuen Unterboden für Bouncing in schnellen Abschnitten gesorgt hatte. Ferrari ist damit ein weiteres Beispiel für ein Team, dessen Simulationen sich nicht mit der Realität decken.
Red Bull ist sich inzwischen natürlich der Diskrepanzen zwischen Windkanal und Rennstrecke bewusst. Deshalb hat das Team in den jüngsten Rennen einige Updates aus dem Archiv geholt, um eine Konfiguration für den RB20 zu finden, mit der nicht zu viel Leistung verloren geht. Parallel dazu hat Red Bull versucht, den RB20 weiterzuentwickeln: Nur in Österreich und in Belgien hatte das Team keine neuen Teile dabei.
Ein Blick auf die Update-Übersicht zur Saison 2024 macht deutlich, wie sehr sich der RB20 seit Saisonbeginn verändert hat und Wie viel Aufwand in kurz- und langfristige Maßnahmen gesteckt wurde. Aber: Wenn eine einzelne Komponente die technischen Schwierigkeiten ausgelöst hat, dürfte es schwierig werden, diese einzelne Komponente zu finden.
Für Red Bull scheint dergleichen Neuland zu sein, und zwar im Gegensatz zu einigen seiner Hauptgegner, die ein solches Szenario bereits in den zurückliegenden Jahren erlebt haben. Bei Red Bull aber lief es bisher wie am Schnürchen in der Entwicklung, weil die Updates meist das geliefert haben, was man sich davon versprochen hatte.
Auf was sich Red Bull jetzt einstellen muss
Red Bull muss jetzt also nicht nur lernen, wie es mit der Situation umzugehen hat. Es muss auch verstehen, was genau schiefgelaufen ist in der Entwicklung. Denn nur so lässt sich eine Wiederholung in der Zukunft ausschließen. Das Team muss jetzt also prüfen: Welche Werkzeuge sind zuverlässig? Welchen technischen Hilfsmitteln können wir vertrauen?
Dazu sagt Horner: "Wenn etwas am Auto nicht funktioniert, ist es nicht ungewöhnlich, dass deine Simulationen unterschiedliche Ergebnisse ausspucken, die nicht zueinander passen. Dann steht man da mit drei Datensätzen: Computer-Simulationen, Windkanal-Ergebnissen und den Daten von der Rennstrecke."
"Unterm Strich kommt es natürlich auf die Daten von der Rennstrecke an. Aber in der Entwicklung ist es, als würdest du die Zeit mit drei unterschiedlichen Stoppuhren messen. Du musst dich also auf das Werkzeug konzentrieren, das dir die wertvollsten Erkenntnisse liefert. Und die Daten von der Rennstrecke sind natürlich am zuverlässigsten."
Leidet die Entwicklung unter der Fehlersuche?
Und so lautet die große Frage: Wie lange wird Red Bull wohl brauchen, um Lösungen für seine Probleme zu finden? Und Wie viel seiner normalen Entwicklung muss gestrichen werden, damit genug Spielraum da ist zur Fehlersuche?
Andere Teams wissen aus leidvoller Erfahrung: Der Zeitaufwand für solche Nacharbeiten ist gewaltig und kostspielig. Denn wenn ein Team Ressourcen dafür aufwendet, Daten zu alten Teilen zu sammeln, dann kann es sich nicht auf Updates konzentrieren, die das Auto schneller machen.
Und das wiederum bedeutet: Wenn die Konkurrenz gleichzeitig im Aufwind ist, kann die Leistung ziemlich schnell ziemlich weit auseinandergehen - mit Folgen für den weiteren Verlauf der Formel-1-Saison 2024, aber auch darüber hinaus.