Hinter den Kulissen bei Honda: Das Tagebuch eines Ingenieurs
Honda-Motoreningenieur Chris Wright gibt in seinem Tagebuch interessante Einblicke in den Arbeitsalltag eines Ingenieurs in der Formel 1
(Motorsport-Total.com) - Die Arbeitslast für einen Ingenieur in der Formel 1 ist enorm hoch. An 21 Rennwochenenden sind die Angestellten eines Teams oder Motorherstellers von Donnerstag bis Sonntag, von früh bis spät an der Rennstrecke anzutreffen. Sie sorgen dafür, dass die Boliden einsatzbereit sind. Wie der Alltag eines Ingenieurs tatsächlich aussieht, hat Honda-Motorspezialist Chris Wright in einem Tagebuch festgehalten.
Der Wecker am Freitag des Kanada-Wochenendes läutet bereits um 5:45 Uhr. Eine Dreiviertelstunde später ist die Abfahrt Richtung Rennstrecke geplant, wo ihn dann sein Frühstück erwartet. Doch bevor er das Fahrerlager betreten darf, muss Wright darauf achten, die obligatorische Nachtruhe nicht zu verletzen.
"Das ist jene Zeit in der Nacht, in der Teammitglieder, die normalerweise am Auto arbeiten, nicht an die Strecke dürfen", erklärt er im Honda-Tagebuch. Um 7 Uhr früh ist diese Frist abgelaufen, weshalb sich die Teammitglieder zuvor schon am Eingang zum Fahrerlager in einer Schlange wartend aufstellen.
Erste Anspannung in der Installationsrunde
Sein erster Weg an der Strecke führt ihn jeden Freitag direkt in die Garage und zum Auto. "Ein weiser, älterer Kollege hat mir mal gesagt: 'Zuerst drehst du eine Runde und danach holst du dir Frühstück!'" Das befolgt der Honda-Motoreningenieur bis heute.
Nachdem die Boxencrew die Übungsstopps absolviert hat, wird der Honda-Motor im Heck des Toro Rossos ein erstes Mal zum Leben erweckt. "Den Motor willst du so früh wie möglich starten, denn erst dann kannst du wirkliche Probleme herausfinden."
Sollte es tatsächlich Schwierigkeiten geben, dann müsste die Toro-Rosso-Crew den Motor noch vor dem ersten Training ausbauen. Dazu kommt es an jenem Freitag aber nicht, weshalb im ersten von vielen Meetings um 9 Uhr besprochen wird, was in den Trainings geplant ist.
"Der Freitag ist für uns wie ein Test. Haben wir also etwas Neues zum Ausprobieren mit dabei, dann werden wir das testen." Als Honda-Mann ist es Wrights Job, das Team daran zu erinnern, was der Motorhersteller sich von den Trainings erwartet.
Schließlich beginnt um 10 Uhr das erste Freie Training mit einer Installationsrunde. Das ist der erste Check, ob der Bolide nach dem Zusammenbau am Donnerstag Schwierigkeiten aufweist oder nicht. Danach wird die Motorabdeckung heruntergenommen, um auch optische Checks durchzuführen, die nur anhand der Daten in dieser Form nicht möglich sind.
Wright sitzt während der Sessions an seinem Computer und ist mit dem Funk verbunden. "Während der Installationsrunde musst du dich auf alle Systeme konzentrieren. Du musst sicherstellen, dass alle gut funktionieren. Das kannst du in der Garage nicht checken."
Pause? "Erst wenn die Sessions vorbei sein"
Zum Beispiel: "Bis der Fahrer nicht mit Vollgas fährt, hast du nicht genügend Belastung, um zu wissen, das wirklich nichts falsch läuft." Das sei für ihn als Motoringenieur die unruhigste Phase des Tages. Fährt der Pilot schließlich schnelle Runden oder Longruns, dann fokussiert er sich auf das Energiemanagement und die Performance.
Nach dem Training findet wie üblich eine kurze Nachbesprechung statt, in dem alle Beteiligten ihre Erkenntnisse schildern. "Haben wir also ein paar Dinge getestet am Motor, dann werde ich das kommentieren, wie es gelaufen ist." Danach werden die Daten analysiert und ausgearbeitet, was am Nachmittag noch gemacht werden soll.
Um 12:30 Uhr ist aber zunächst das Mittagessen geplant. "Bei Honda bereiten sie Bento Boxen vor, die wir uns im Kühlschrank in der Garage holen können." Die könne man praktischerweise zum Arbeitsplatz mitnehmen und während des Essens Meetings lauschen oder Daten anschauen.
"Man gönnt sich erst eine Pause, wenn die Sessions vorbei sind. In der Vorbereitung zwischen dem ersten und zweiten Training nützt man so viel Zeit wie möglich, daher macht man nicht extra eine Pause für das Mittagessen."
Das zweite Freie Training mit Beginn um 14 Uhr lässt nur wenig Zeit zur Datenanalyse des FT1 zu. Am Nachmittag werden dann die wirklich wichtigen Tests durchgeführt. Wie Wright erklärt, sei das erste Training eher zur Akklimatisierung gedacht, die repräsentativen Zeiten mit scharfen Motormodi werden erst am Nachmittag gefahren. Vor allem zu Beginn der Session werden Runden mit wenig Sprit im Tank geprobt.
"Die sind dazu da, damit sich der Fahrer fürs Qualifying vorbereiten kann. Aber am Ende des Trainings fahren so ziemlich alle Longruns. Dazu wird viel Sprit getankt und eine Rennsimulation absolviert." Auch das Aufwärmen der Reifen und Trainingsstarts werden geübt.
Von einem Meeting ins nächste ...
"Wir haben spezielle Startmodi zum Beispiel, da müssen wir sichergehen, dass die auch funktionieren", verrät der Brite. Auch nach dem zweiten Training gibt es eine Nachbesprechung über die Vorkommnisse.
Besonders wichtig ist laut Wright aber das Meeting der Ingenieure um 19 Uhr. Denn dabei werden die Daten der Longruns und Qualifyingrunden analysiert. "Wir schauen uns die Stärken und Schwächen im Vergleich zu unserer Konkurrenz an." Außerdem wird ein Plan für das dritte Training am Samstagvormittag erstellt.
Für die Honda-Crew ist außerdem der Motorwechsel am Freitagabend von großer Bedeutung. Da in den ersten Trainings ein alter Motor verwendet wird, kommt für Samstag der Rennmotor ins Heck. Nur das ERS bleibt im Auto.
Nach dem Wechsel ist von 19 bis 21 Uhr Zeit für das Abendessen, das als Buffet im Honda-Motorhome zur Verfügung gestellt wird. "Meistens gibt es japanische Speißen", verrät Wright und ergänzt: "Es ist wirklich sehr lecker!"
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Doch auch nach dem Abendessen wird noch weitergearbeitet. Denn der Rennmotor, der verbaut wurde, muss ebenfalls gestartet werden. "Wir versuchen das immer, so früh wie möglich zu schaffen. Für uns war's das dann, aber nicht für das Team."
Denn die Mechaniker von Toro Rosso müssen danach noch das Auto fertig zusammenbauen, das Set-up einstellen und zur FIA-Waage bringen. Dort findet die technische Abnahme statt. Obwohl für die Honda-Ingenieure ihr Tagwerk getan ist, wartet um 20 Uhr noch ein Honda-Meeting.
"Die Ingenieure beider Teams kommen in die Hospitality, da diskutieren wir dann Dinge, die in einem Team passiert sein mögen und im anderen nicht. Es geht um Dinge, auf die wir achten müssen." Und auch danach wartet noch ein Meeting mit dem Aerodynamiker des Teams, in dem die Kühlung besprochen wird.
Spätestens um Mitternacht müssen die Ingenieure die Rennstrecke laut Reglement verlassen. "Meistens verlassen wir die Strecke gegen 23 Uhr, danach gehe ich sofort ins Bett. Man steht so gegen 6 Uhr auf und geht gegen Mitternacht ins Bett, also ein recht langer Tag." Den Wecker für Samstagfrüh hat er bereits gestellt ...