Großer Preis von Singapur / Singapur
Porträt
Seit Anbeginn der Motorsport-Moderne galt Monaco als Glitzer-Grand-Prix der Formel 1. Mit der Rennpremiere von Singapur in der Saison 2008 wurde jedoch klar, dass nirgendwo so viel gefunkelt wird wie auf dem Marina Bay Circuit. Die "Königsklasse" des Motorsports trug damit der von Bernie Ecclestone und den Herstellern gewünschten globalen Expansion in neue Märkte Rechnung.
Inzwischen ist Singapur nicht mehr das einzige Nachtrennen im Kalender, aber immer noch das "Original" in der Formel 1. So lautet zumindest das Selbstverständnis der Veranstalter, die mit dem Spruch werben: Home of F1 Night Racing, also etwa "Heimat von Formel-1-Racing bei Nacht".
Die Kulisse vor der strahlend illuminierten Skyline des Stadtstaates ist in der Tat außergewöhnlich. 108 Kilometer Stromkabel mussten in der City für die Formel 1 verlegt werden, 1.600 Lichtprojektoren erhellen die Szenerie und die Lichtleistung von 3.000 Lux ist etwa viermal so hoch wie bei einem Fußballspiel im Stadion. Der Strombedarf liegt bei über drei Millionen Watt.
Ein Unikum sind auch die Tagesabläufe der Piloten. Nach der Ankunft aus Europa stellen sie ihren Schlafrhythmus nicht um, sondern nutzen die Zeitverschiebung, um optimal für den abendlichen Rennbetrieb vorbereitet zu sein. Für viele der Aktiven ist es ein Luxus, an einem Grand-Prix-Wochenende unbeschwert einen Hauch Nachtleben genießen und entspannt ausschlafen zu können. Dennoch ist es für den menschlichen Körper eine verwirrende Situation. Dieser funktioniert grundlegend so, dass er bei Tageslicht wach bleiben möchte. Vorhänge und Rollläden helfen.
Kleine Schwächen können in Singapur teuer werden - und die Rede ist nicht von dem ikonischen Kaugummi, der fast sinnbildlich für die Sauberkeit der 5,3-Millionen-Einwohner-Metropole steht. Konzentration und körperliche Fitness sind in den Tropen von besonderer Bedeutung. Die 5,065 Kilometer lange Bahn besitzt 20 Kurven und lässt in 62 Runden kaum Zeit, sich auszuruhen. In Sachen Nettofahrzeit zählt das Rennen regelmäßig zu den längsten der Saison und kratzt teilweise auch im Trockenen an der Zwei-Stunden-Marken.
Zwar sind die Mauern an den meisten Stellen weiter von der Fahrbahn entfernt als in Monaco, dennoch werden Fahrfehler härter bestraft als auf anderen modernen Anlagen, die wegen ihrer asphaltierten Auslaufzonen gerne mit "Parkplätzen" vergleichen werden. Auch wenn die bei den ersten Ausgaben als "Sprungschanzen" betitelten Randsteine entschärft wurden, gibt es auf dem Marina Bay Circuit weiter viele Gelegenheiten für Fehler und havarierte Autos, aber auch zum Überholen.
Harte Bremspunkte vor den zahlreichen 90-Grand-Kurven laden zum Ausbremsen ein, erfordern aber ein Auto mit guter Traktion und einen Gegner, der die Tür nicht um jeden Preis zuzuwerfen versucht - schließlich sind die Geraden meist sehr kurz. Windschattenfahren lohnt sich fast nur auf dem Raffles Boulevard, wo sich neben der Start- und Zielgeraden eine weitere DRS-Zonen befindet. Nichtsdestotrotz setzt sich im Rennen häufig der Pole-Mann durch.
Eine besondere Herausforderung präsentiert das Klima: Bei einer Luftfeuchtigkeit von 70 Prozent und mehr sowie Temperaturen um die 30-Grad-Celsius-Marke zählt körperliche Fitness in Verbindung mit der pausenlos anspruchsvollen Bahn mehr als auf jedem anderen Kurs.
Eine Belastungsprobe stellt der Marina Bay Circuit auch für die Technik dar. Auf kaum einer anderen Bahn setzten die Boliden so stark auf, woran auch eine neue Asphaltdecke nichts geändert hat. Ästhetisch ist der Funkenschlag bei Nacht allerdings allemal.
In Singapur fahren die Autos außerdem über eine Brücke, die magnetisch ist, weil darunter immense Stromkabel verlaufen. Besonders stark sind die Leitungen für die Straßenbahn. Dadurch entstehen zahlreiche elektrische Störungen. Dies kann zu Aussetzern der Datensysteme führen und sogar Fahrzeugkomponenten beeinflussen. Diese nach Gouverneur Sir John Anderson benannte Brücke verbindet das Nord- mit dem Südufer des Singapur-Rivers. Sie ist 70 Meter lang, sehr eng und stellt einen der markanten Punkte der Rennstrecke dar. Problematisch: Sollte es dort einen Unfall geben, wäre die Bergung der Autos extrem schwierig. Zum Glück ist das bisher noch nie passiert!
Berühmt geworden ist Singapur außerdem für den "Crashgate"-Skandal im Jahr 2008, als Teamchef Flavio Briatore seinen Fahrer Nelson Piquet jun. anwies, einen Unfall zu bauen, um dessen damaligen Stallgefährten Fernando Alonso in Führung zu bringen. Aufgeflogen ist die Absprache interessanterweise erst 2009. Es folgten Sperren für Briatore und weitere Renault-Mitarbeiter.
2019 hat Sebastian Vettel im Ferrari beim Singapur-Grand-Prix seinen 53. und damit letzten Formel-1-Sieg erzielt.