"100 Runden" Rückstand: So fällt Sebastian Vettels Testfazit aus
Sebastian Vettel liegt nach dem dreitägigen Formel-1-Wintertest abgeschlagen auf dem letzten Platz, sowohl in der Zeitenliste, als auch im Kilometer-Ranking
(Motorsport-Total.com) - Sebastian Vettel ist am letzten Tag der Formel-1-Wintertests in Bahrain ganz am Ende des Zeitenklassements zu finden. Der Deutsche ist auch am Sonntag keine schnelle Runde gefahren, sondern hat sich auf Longruns konzentriert. Allerdings musste er seinen Arbeitstag aufgrund eines technischen Problems an der Power-Unit erneut vorzeitig abbrechen. Damit landet er auch im Kilometer-Ranking auf dem letzten Platz.
Am dritten Testtag übernahm Vettel den Aston Martin von Teamkollegen Lance Stroll nach der Mittagspause. Er fokussierte sich zunächst auf das Sammeln von Daten und spulte 56 Runden ab. Nach den Longrun-Simulationen probten die meisten Teams gegen Ende der Session erste Quali-Runden mit weicheren Reifen und weniger Sprit, eine "Push"-Runde blieb dem Heppenheimer aber verwehrt.
"Das wäre [hilfreich] gewesen, aber ich bin keine gefahren", gibt er zu. "Ehrlich gesagt ist es aber wichtiger, das Auto wirklich zu verstehen, und da hilft es einfach, mehr und mehr Runden zu drehen. In einer Push-Runde setzt man dann das Gelernte zusammen, aber ich bin nicht besorgt."
117 Runden: Vettel mit den wenigsten Umläufen
"Das ist eine Box, die wir nicht abhaken konnten." Aufgrund eines Problems mit dem Ladedruck der Mercedes-Antriebseinheit musste Vettel den AMR21 nach insgesamt 56 Runden vorzeitig an der Garage abstellen. Wieder ereilte ihn der Technikteufel: Schon am Freitag trat ein Problem an der Elektronik auf, am Samstag kam er aufgrund eines Getriebeproblems kaum zum Fahren.
Daher fällt Vettels Testfazit auch ein wenig gemischt aus: "Wir hatten einen durchwachsenen Test mit ein paar Problemen. Ich bin aber sicher, dass wir die lösen können und in zwei Wochen in besserer Form sein werden." Denn sowohl in der Zeitentabelle als auch im Kilometer-Ranking liegt er nach drei Tagen abgeschlagen zurück.
Mit einer persönlichen Bestzeit in 1:33.742 Minuten (aufgestellt am Freitag) reiht er sich im Gesamtklassement des Wintertests auf dem vorletzten Platz (P20) ein, mit fast fünf Sekunden Rückstand auf die absolute Bestzeit von Max Verstappen. Da Vettel keine schnelle Zeitenjagd gefahren ist, lässt sich dies einfach erklären.
Weniger gut sieht es beim Blick auf die Kilometer-Laufleistung des Heppenheimers aus: Im Vergleich zu allen Stammfahrern konnte er mit 117 Runden (umgerechnet 633,2 Kilometer) am wenigsten Umläufe an allen drei Tagen drehen.
Waren es am ersten Tag noch 51 Runden, kam er am Samstag nur auf zehn Runden, am Sonntag schließlich der persönliche Bestwert mit 56 Umläufen. Zum Vergleich: Ex-Teamkollege Kimi Räikkönen fuhr am letzten Testtag allein 166 Runden, umgerechnet knapp drei volle Renndistanzen.
Wie weit liegt Vettel in seiner Vorbereitung zurück? "Hundert Runden! Natürlich wäre ich gerne mehr Kilometer gefahren. Das ist die Hauptsache. Heute war sehr viel los und ich habe versucht, die Zeit auf der Strecke zu nutzen, was ich auch gemacht habe."
Vettel fehlen "100 Runden" in der Vorbereitung
Und er stellt fest: "Ich liege bei den Kilometern zurück und wir haben einige Reifensätze gar nicht gebraucht, weil wir nicht so viel gefahren sind. Insgesamt fehlen mir wie gesagt also wohl hundert Runden, für Lance gilt das wohl auch."
Beide Aston-Martin-Piloten haben nicht alles aus den Testfahrten herausholen können. Aber: "Das ist keine große Sache. So ist das eben, wir müssen nach vorne schauen", weiß der Routinier. "Vielleicht ist es das Alter, oder die Erfahrung, aber vor zehn Jahren wäre ich jetzt wohl panisch geworden", merkt er an.
Das wäre jedoch wenig hilfreich, weiß Vettel. "Ich versuche einfach, meine Sachen zu machen und die Zeit, die wir haben, zu nutzen. Für mich waren die Runden heute supernützlich. Es könnte also schlechter sein. Es könnte auch besser sein, aber eben auch schlechter."
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Es sei jetzt wichtig, Ruhe zu bewahren und mit klarem Kopf nach vorne zu schauen. Denn natürlich hatte Aston Martin mehr Runden geplant an den drei Tagen, schließlich ist die Zeit im Auto für den Umsteiger sehr wichtig. "Es ist also nicht alles nach Plan gelaufen."
Zudem war die Rennstrecke am letzten Tag in einem besseren Gesamtzustand, der Sandsturm vom Freitag war verflogen, der Wind nahm ab und auf dem Asphalt baute sich mehr Grip auf. "Die Strecke war in besserem Zustand, konstanter und zum aktuellen Zeitpunkt ist jede Runde extrem wichtig für mich", bestätigt der 33-Jährige.
Im Lernprozess gehe es für ihn gerade darum, den "Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft" herauszufinden, schmunzelt er. "Das ist wirklich interessant und ich genieße es. Es gibt noch vieles, was ich verbessern kann und was wir gemeinsam verbessern können."
Wie Perez: Vettel nach fünf Rennen wieder in Topform?
Allerdings sei es nach nur eineinhalb Tagen im Auto unmöglich, alles zu lernen. Daher erwartet Vettel in den ersten Rennen eine "steile Lernkurve". Red-Bull-Kollege Sergio Perez geht davon aus, dass er rund fünf Rennen mit seinem neuen Team brauchen wird, um sich eingewöhnt zu haben.
Diesen Zeithorizont hält Vettel auch in seiner Situation für realistisch. "Ich bin in einer recht ähnlichen Position wie er." Denn abgesehen von den Änderungen durch den Teamwechsel sei es für einen Fahrer schwierig, sich im Winter in Topform zu halten. "Mal ehrlich, es ist schwierig [für die Formel 1] zu trainieren."
"Wir müssen im Auto sitzen und fahren. Man kann im Winter zwar lange Stunden im Simulator verbringen, aber das ist nicht das Gleiche. Wenn also jemand nach eineinhalb Tagen im Auto aussteigt, und gleich wieder so schnell ist wie nach 17 Rennen in 20 Wochen im Vorjahr - ich denke nicht, dass das möglich ist."
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Wo sieht er noch Verbesserungspotenzial bei sich selbst? Zum einen im Umgang mit dem Team: "Ich lerne gerade erst alle Leute kennen. Da geht es darum, zu verstehen, was sie meinen." Er spricht aber nicht nur die Kommunikation an, ein weiterer Punkt sei die Funktionsweise des Autos, zum Beispiel des Lenkrads.
"Natürlich hat jedes Formel-1-Auto eine Servolenkung, aber die ist bei jedem Auto ein wenig anders eingestellt und das kann dir einen anderen Eindruck verschaffen, weil wenn du fährst, dann hast du das Lenkrad in der Hand und das ist das Feedback, das du bekommst."
Einen weiteren Unterschied macht Vettel im Cockpit aus: "Im Auto hat man eine andere Umgebung, was den Komfort angeht, die Pedale fühlen sich ein wenig anders an. Der Sitz ist ein wenig anders - all diese kleinen Dinge summieren sich." Daher brauche es eben Zeit, sich an all das zu gewöhnen.
Rake-Unterschiede für Vettel "sehr interessant"
Generell unterscheidet sich die Fahrzeug-Philosophie zwischen Aston Martin - eher angelehnt an Mercedes, etwa mit einem geringeren Anstellwinkel - und Ferrari deutlich. "Das Auto folgt einer anderen Philosophie, es ist ein anderes Team, anderes Auto, daher fährt es sich auch ein wenig anders."
Einen öffentlichen Vergleich zwischen seinen früheren Autos und dem AMR21 will er nicht anstellen, das wäre "nicht fair", findet der viermalige Weltmeister. Daher will er im Detail auch nicht über die verschiedenen Rake-Philosophien sprechen.
Der Anstellwinkel der Fahrzeuge ist ein entscheidendes Unterscheidungsmerkmal und könnte sich je nach Auslegung aufgrund der Regeländerungen im Bereich des Unterbodens auf die Performance in dieser Saison auswirken. Während Red Bull und auch Ferrari die Boliden eher steiler anstellen, geht Mercedes einen anderen Weg.
Nach einer Konzeptänderung im Winter 2019/20 schwenkte auch Aston Martin, damals noch Racing Point, auf den flacheren Anstellwinkel ein. Wie wirkt sich der Umstieg auf den Fahrer aus? "Für mich ist das sehr interessant, sagen wir es so", bleibt Vettel vage. In der Vergangenheit kam er mit dem nervöseren Ferrari-Heck schlechter zurecht.
Er erklärt: "Es gibt nicht nur einen Unterschied. Es ist also nicht so, dass du dein hoch angestelltes Auto einfach tiefer stellst und dann hast du einen Mercedes. Oder wenn du in einem Mercedes bist und du das 'Rake' höher einstellst, dass du dann einen Red Bull fährst. Das ist so viel komplexer. So viel mehr Elemente müssen zusammenspielen."
Welche Philosophie sich am Ende schlussendlich durchsetzen wird, das wird sich erst im Laufe der Saison zeigen. Zunächst muss Aston Martin den AMR21 generell besser verstehen lernen, unter anderem wie die optimale Abstimmung aussehen könnte.
Mit den Erkenntnissen, die Vettel auf seinen knapp zwei Renndistanzen sammeln konnte, hofft er, seine Mannschaft nach vorne zu bringen. "Das ist der Schlüssel." Allerdings sei es in der extrem verkürzten Testzeit unmöglich, bereits alle Informationen über das neue Auto, in Zusammenspiel mit den Reifen, zusammenzutragen.
Wo steht Aston Martin daher nach diesen Wintertests zwei Wochen vor dem ersten Grand Prix? "Das ist sehr schwierig zu beantworten, was die Konkurrenzfähigkeit betrifft. Wir sind nicht viele Runs gefahren, die den Runs der anderen glichen, um ein bisschen einen Vergleich zu erhalten. Aber das ist nicht so wichtig, weil wir das in zwei Wochen sowieso herausfinden. In zwei Wochen werden wir die Hackordnung dann sehen."