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F1-Test Barcelona: Warum Mercedes (trotzdem) noch nicht Weltmeister ist
Mercedes schockiert zum Abschluss der ersten Testwoche die Konkurrenz - und trotzdem ist die Formel-1-WM 2020 noch lange nicht entschieden ...
(Motorsport-Total.com) - Die Zeiten, in denen ein Team nach einem gelungenen ersten Test schon eine Hand am WM-Pokal hatte, sind längst vorbei. Zu groß sind die Entwicklungsschritte, die die Formel-1-Teams während der Saison machen. Trotzdem: Das, was Mercedes am dritten und letzten Tag der ersten Testwoche in Barcelona gezeigt hat, finden viele im Paddock besorgniserregend.
Valtteri Bottas (65 Runden) stellte am Vormittag eine Wochenbestzeit von 1:15.732 Minuten auf. Der Finne war dabei, immerhin, auf den C5-Pirellis unterwegs, also auf der weichsten und schnellsten Reifenmischung. Genau wie Lewis Hamilton der auf C3 um 0,910 und auf C5 um 0,784 Sekunden langsamer war als sein Teamkollege.
Der erste Verfolger (Esteban Ocon im schwarzen Renault mit der schmalen Nase) hatte 1,370 Sekunden Rückstand - ein schönes Geschenk für Mercedes-Technikchef James Allison, der seinen 52. Geburtstag feiert. Und die Fachwelt staunt über den F1 W11 EQ Performance mit dem innovativen DAS-System, das seit Donnerstag in aller Munde ist.
"Hut ab vor Mercedes! Es ist toll, so eine Innovation in der Formel 1 zu sehen", applaudiert McLaren-Teamchef Andreas Seidl. Und Ferraris Mattia Binotto befürchtet: "Ich bin nicht so optimistisch wie vor einem Jahr. Die anderen sind schneller als wir. Wie viel schneller, das ist schwer zu sagen."
Mercedes: Stärkere erste Testwoche als 2019
Mit welcher Gleichmäßigkeit Mercedes seine Longruns abspult, ist fast noch beeindruckender als die absoluten Tagesbestzeiten. Und von technischen Problemen war zumindest nach außen hin nichts zu sehen. Als am Nachmittag einmal kurz Rauch aus Hamiltons Heck kam, fuhr der einfach weiter, als wäre nichts gewesen. Wahrscheinlich nur Öl, das sich am Auspuff entzündet hatte.
Und das Lenksystem DAS, das sich laut Sebastian Vettel ein bisschen "wie Flip-Flops" anfühlen muss, ist zwar völlig neuartig, "es fühlt sich aber nicht merkwürdig an", räumt Bottas alle Bedenken aus. "Es funktioniert einfach! Es ist solide, macht nichts Unerwartetes. Du bewegst das Rad nur, wenn du das möchtest."
Währenddessen haben die vermeintlich größten Herausforderer im Kampf um den WM-Titel so ihre Probleme. Max Verstappen (8./+1,904) stand am Vormittag lange in der Box, nachdem er zu hart über einen Randstein gerumpelt war. Dabei ging ein Stabilisator kaputt. Generell hatte man den Eindruck: Red Bull geht an die unterste Grenze, was die Bodenfreiheit betrifft.
Verstappen relativiert gebrochenen Stabilisator
Tragisch war der Zwischenfall offenbar nicht: "Eines meiner Räder war in der Luft. Hat uns aber keine Testzeit gekostet. Wir wollten sowieso umbauen", relativiert Verstappen und spricht von einer "guten ersten Woche". Teamkollege Alexander Albon (9./+2,422) ergänzt: "Das Auto ist jetzt angenehmer zu fahren als im Vorjahr."
Ferrari löste am Vormittag sogar eine rote Flagge aus, als Sebastian Vettel (13./+2,652) der Motor verrauchte - noch lange bevor dieser seine geplante Kilometerleistung erreicht hatte. Zwar war er kurz nach der Mittagspause mit einem neuen Motor wieder auf der Strecke - trotzdem sahen seine 98 Runden gegen die 138 von Mercedes relativ mickrig aus.
Die positiven Erscheinungen der ersten Testwoche - und das bestätigte sich am Freitag - sind Racing Point mit dem "rosaroten Silberpfeil" und McLaren. "Das ist seit Jahren der beste Wintertest für McLaren", sagt Andreas Seidl. Die Positionen suggerieren aber, dass Carlos Sainz (11./+2,542) und Lando Norris (14./+2,745) noch reichlich Benzin im Tank hatten.
Racing Point: Bestes Mittelfeld-Team der Tests
McLaren testete am dritten Tag auf dem Circuit de Barcelona-Catalunya schon ein erstes Update in Form eines neuen Frontflügels. Racing Point bringt neue Teile frühestens nächste Woche. Aber mit P4 (+1,606) bestätigte Lance Stroll, dass sein Auto dem Mercedes nicht nur verblüffend ähnlich ist, sondern auch fast so schnell fahren kann.
Andere hatten hingegen Probleme. Romain Grosjean (12./+2,648) verbrachte am Vormittag mehr Zeit in der Garage, als ihm lieb war; Haas-Teamkollege Kevin Magnussen (16./+3,977) crashte mit Reifenschaden nach vier Runden; und für Nicholas Latifi (15./Williams/+3,272) war vormittags bei Start und Ziel Endstation. Für den Motorwechsel brauchte das Team fünf Stunden.
Ganz offensichtlich war, warum die Rennsimulation von Daniel Ricciardo am Nachmittag zu früh zu Ende ging: Sein Ausrollen bei Kurve 9 klang verdächtig nach Motor- oder Getriebeschaden. Nachdem es fast zwei Tage lang gedauert hatte, bis in Barcelona die erste rote Flagge rauskam, musste am Schlusstag gleich viermal unterbrochen werden.
Ruhe bewahren: Noch ist nichts entschieden!
Auf Social Media passiert übrigens gerade genau das, was jedes Jahr vor Saisonbeginn passiert: Viele Fans messen den Testzeiten viel zu viel Bedeutung bei und glauben, dass Mercedes bereits eine Hand am Pokal hat. "Die schaffen es immer wieder, irgendwas zu entwickeln, was andere nicht können", schreibt ein User, und ein anderer meint: "Damit ist die Saison schon gelaufen."
Aber für solche Prognosen ist es noch viel zu früh. Zehn Kilogramm Benzin machen in Barcelona pro Runde einen Unterschied von 0,3 bis 0,4 Sekunden - sprich zwischen einem randvollen und einem ziemlich leeren Tank liegen selbst im konservativsten Rechenmodell mehr als zweieinhalb Sekunden.
Zumindest die Reifen können als Variable eliminiert werden. Bottas war bei seiner Bestzeit auf dem ultraweichen C5 unterwegs. Pirelli kann noch nicht genau beurteilen, um wie viel der schneller ist als der C4. Zwischen C4 und C3 liegen aber mindestens 0,5 Sekunden. Was den Schluss zulässt, dass die Differenz zwischen C5 und C3 mindestens eine Sekunde beträgt.