• 01. März 2019 · 15:58 Uhr

Lewis Hamilton: Mercedes fehlt eine halbe Sekunde auf Ferrari

Warum Weltmeister Lewis Hamilton sein Mercedes-Team mit Rückstand in die Saison 2019 gehen sieht und weshalb ihm dieser Gedanke keine Angst einflößt

(Motorsport-Total.com) - Lewis Hamilton klang schon mal fröhlicher. Doch das ist auch kein Wunder: Der Weltmeister musste bei den Formel-1-Wintertests 2019 in Barcelona die Erfahrung machen, dass sein Mercedes W10 in diesem Jahr wohl nicht das Maß aller Dinge sein wird - zumindest nicht zu Saisonbeginn. Ausgerechnet Ferrari ist es gelungen, das augenscheinlich beste Paket zu schnüren. Und der Rückstand von Mercedes auf den "ewigen Rivalen" ist in der Tat beträchtlich.

Foto zur News: Lewis Hamilton: Mercedes fehlt eine halbe Sekunde auf Ferrari

Mercedes-Fahrer Lewis Hamilton glaubt an 0,5 Sekunden Rückstand auf Ferrari Zoom Download

Wie viel Mercedes auf Ferrari fehlt, daran scheiden sich freilich die Geister. Dass es aber einen Abstand gibt, darin sind sich die meisten Experten einig. Auch Hamilton selbst sieht das so. Seine Schätzung: "Wir reden möglicherweise von einer halben Sekunde [pro Runde], irgendwas in diesem Bereich." Zumindest mehrere Zehntelsekunden sollen es sein. Und unstrittig ist, dass Mercedes nicht ganz mithalten kann. Auch, weil der W10-Silberpfeil laut Hamilton in beiden Testwochen "nicht optimal funktioniert" hat. Stichwort: Reifennutzung. Da scheint Ferrari Vorteile zu haben.

Doch Hamilton will die Probefahrten generell nicht überbewerten. "Testen ist testen", sagt der fünfmalige Weltmeister. "Es gibt keine Belohnung dafür, bei den Tests die schnellste Zeit erzielt zu haben. Deshalb spielt es eigentlich keine Rolle. Wichtig ist nur, dass wir [beim Saisonauftakt] in Melbourne möglichst schnell sind. Aber derzeit hat Ferrari die Nase vorne." Nur: Eben dieses Szenario ist nicht neu, wie Hamilton bemerkt. "Schon vergangenes Jahr hatte Ferrari beim Testen ein schnelles Auto. Dieses Mal aber sind sie noch besser aufgestellt."

Ferrari war schon 2018 besser in den Tests

Diesen Eindruck hat Hamilton wohl hauptsächlich anhand der erzielten Rundenzeiten gewonnen. Denn ein Blick in die Teststatistiken der Formel 1 (hier abrufen!) zeigt: Die Wintertests 2019 verlaufen bei Ferrari und Mercedes nicht sehr viel anders als 2018. Damals hatte Ferrari an vier von sieben Tagen die Bestzeit erzielt, dieses Mal sind es - bisher - drei von sieben, während Mercedes im Gegensatz zum vergangenen Jahr noch keine Bestzeit vorweisen kann. Fast gleich geblieben ist auch der Laufleistungsvergleich: Schon 2018 hatte Mercedes am Ende der Testfahrten knapp zwei Renndistanzen Vorsprung auf Ferrari, dieses Jahr sind es aktuell sogar fast drei.

Aber während Ferrari scheinbar mühelos eine schnelle Runde nach der anderen abspulen kann, tut sich Mercedes vor allem auf die Kurzdistanz schwer. Graining, das Körnen der Reifen, wenn sich diese nicht im optimalen Arbeitsfenster befinden, hat den Silberpfeilen speziell in der zweiten Testwoche zugesetzt. Und Hamilton meint: "Unser Auto hat [bisher] nicht optimal funktioniert. Das werden wir ändern, aber so etwas braucht Zeit. Und ich weiß nicht, wann dieser Prozess abgeschlossen sein wird." Völlig befreit reist der WM-Titelverteidiger dieses Mal also nicht nach Australien.

Andererseits weiß Hamilton natürlich um die Entwicklungsmaschinerie, die Mercedes in Gang setzen kann. Und er weiß auch: Schon 2018 hatte Ferrari beim Saisonstart vermeintlich die Spitzenposition inne, dann aber kippte das Entwicklungsrennen zugunsten von Mercedes und Hamilton wurde wieder Weltmeister. Daher plädiert er für Abwarten: "Wir werden die Tests eingehend analysieren. Und indem wir unser Verständnis über das Auto verbessern, dürften wir sicher schon mal eine Zehntelsekunde finden."

Genaues weiß man nicht ...

Eine Zehntelsekunde weniger, also nur noch 0,4 Sekunden Rückstand auf Ferrari? Hamilton will sich nicht festlegen. "Beim Testen weißt du es nie genau. Es könnte [in Melbourne] sogar noch mehr sein - oder weniger. Vielleicht liegen wir dort auch gleichauf. Keine Ahnung, wirklich nicht." Es gäbe zu viele Faktoren, die für die Rundenzeit maßgeblich seien, als dass von außen eine seriöse Einschätzung möglich wäre.

Hamilton erklärt: "Selbst wenn du die GPS-Daten [der Konkurrenz] vorliegen hast, weißt du nichts über die Spritmenge oder die Motoreneinstellung. Sie sind zum Beispiel schneller auf den Geraden. Liegt das jetzt an den flexiblen Flügeln, die sie schon in der Vergangenheit hatten, weil dadurch der Luftwiderstand geringer wird? Oder haben sie mehr Leistung freigegeben als wir? Oder ist ihr Auto effizienter und bietet weniger Luftwiderstand? Ist unser Fahrzeug schlicht zu schwer? All diese Fragen können wir bis zum ersten Rennen nicht beantworten. Wir hoffen nur, der Abstand ist nicht größer als das, was wir derzeit zu sehen glauben. Aber Garantien dafür gibt es nicht."


Fotostrecke: Formel-1-Technik: Detailaufnahmen der Autos 2019

Zu unterschiedlich fällt auch die Interpretation dessen aus, was bei den Testfahrten passiert ist: Die Leistung in den Rennsimulationen wurde von manchen aufmerksamen Beobachtern zugunsten von Ferrari ausgelegt, andere wiederum sahen Mercedes vorne. Echte Fakten gibt es aber nicht. Was Hamilton nicht stört: "So ist es doch in jedem Jahr. Es braucht einfach vier Rennen, bis du weißt, wo du stehst." Demnach müsste das Kräfteverhältnis nach dem Aserbaidschan-Grand-Prix am 28. April 2019 offensichtlich sein.

Hat Mercedes einen Trend verpennt?

Doch bis dahin werden die Rennställe längst mit dem Entwicklungswettlauf begonnen haben, sodass die Standortbestimmung aus Baku nur eine Momentaufnahme sein wird. Oder doch nicht? Laut Hamilton operieren die Topteams Ferrari, Mercedes und Red Bull auf dem gleichen technischen Niveau. "Sie nehmen sich da nicht viel, jeder ist stark aufgestellt. Aber wenn du [vor Saisonbeginn] zwei oder gar drei Schritte voraus bist, dann ist es natürlich einfacher, im Saisonverlauf wenigstens um einen Schritt vorne zu bleiben."

In diesen Worten schwingt interessanterweise zum ersten Mal die Sorge mit, Mercedes könnte vor der Saison 2019 gewisse Trends verschlafen haben und nicht am Puls der Zeit arbeiten. Denn: Ferrari gehört zu den Teams, die sich für ein radikales Frontflügeldesign entschieden haben, das die anströmende Luft innen an den Vorderrädern vorbeileitet, nicht außen wie bei Mercedes. Im Gegenzug hat Mercedes in der zweiten Testwoche eine regelrechte B-Version seines Fahrzeugs präsentiert, die jedoch nicht restlos überzeugt hat.

Welcher Weg der richtige ist? Hamilton weiß es nicht zu sagen. "Natürlich fragt man sich das. Die Zeit wird es zeigen. Und die Ingenieure schauen sich ohnehin immer andere Optionen an." Aber nur, sofern sie nicht gerade mit anderen Aufgaben betraut sind. Und das könnte bei Mercedes in der Vorbereitung auf die Saison 2019 der Fall gewesen sein, wie Hamilton erklärt.

Die Mercedes-Dominanz als Ferrari-Chance

Er glaubt: Ferrari profitiert jetzt davon, dass die Saison 2018 nicht nach Wunsch verlaufen ist. Denn Hamilton und Mercedes waren nach der Sommerpause von Erfolg zu Erfolg geeilt und hatten Ferrari im Wochentakt weiter distanziert - bis hin zum vorzeitigen Titelgewinn in Mexiko, dem drittletzten Rennen. Und dort war die Entscheidung pro Hamilton und Mercedes nur mehr Formsache. Vielleicht hat Ferrari diesen Umstand genutzt, um noch intensiver am Projekt 2019 zu arbeiten. Das hält Hamilton zumindest für möglich.

"Wenn es den Anschein macht, dass du die WM nicht gewinnen wirst, dann ziehst du dein Team vielleicht eher [von dieser Aufgabe] ab", sagt der fünfmalige Weltmeister und meint, Ferrari könnte "mindestens einen Monat früher" mit der Entwicklung des SF90 begonnen haben als Mercedes mit dem W10. Auch deshalb gab es bei Mercedes in Woche zwei das große Update: Die Techniker hatten die Entwicklungszeit des Neuwagens maximal ausgereizt.


Fotostrecke: Das Mercedes-Update in Bildern

"Du hast eben nur begrenzt Ressourcen zur Verfügung", erklärt Hamilton. "Entweder stellst du damit den Titelgewinn sicher oder du lässt es vorher gut sein und konzentrierst dich auf eine gute Folgesaison." Die Sache habe nur einen Haken: "Du weißt nie, wie das nächste Jahr wird, zumal sich die Regeln ändern. Entscheidend ist also die Balance." Und die, so vermutet er, könnte Ferrari 2019 besser erwischt haben als Mercedes.

Warum Aufholen mehr Gefahren birgt

Es gäbe trotzdem Anlass zur Zuversicht, betont der WM-Titelverteidiger. "In den Autos steckt Potenzial zur Weiterentwicklung. Daran arbeiten wir. Und ich habe Vertrauen, dass das Team das schaffen kann. Wir stehen enger zusammen denn je und verfügen über genug Erfahrung. Es ist ja kein Zufall, dass wir die Weltmeister sind. Wir müssen also einfach weiter gründlich arbeiten und cool bleiben."

Selbst bei einem möglichen Rückstand von 0,5 Sekunden - "und ich habe keinen Grund zur Annahme, dass es weniger sein wird", sagt Hamilton - dürfe sich Mercedes nicht zu Panikreaktionen hinreißen lassen. "Wir lagen schon vergangenes Jahr zurück und mussten Mehrarbeit leisten. Doch dieses Mal müssen wir uns noch mehr strecken, müssen noch mehr Leistung herausquetschen. Und dabei ist auch Vorsicht geboten: Denn wenn du über das Limit hinausgehst, kann dich das bei der Zuverlässigkeit teuer zu stehen kommen."

So oder so: Mercedes ist gefordert, vielleicht mehr denn je seit Beginn der Turbo-Hybrid-Ära in der Saison 2014. Hamilton selbst spricht schon vom "bisher größten Kampf" für sein Team. "Ich bin aber nicht besorgt oder enttäuscht. Es bedeutet einfach nur, dass wir noch härter arbeiten müssen", sagt er. "Denn Abkürzungen gibt es nicht." Und Erfolgsgarantien in der Formel 1 schon gleich zweimal nicht.

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