Renault-Team überrascht sich selbst: "Sind ziemlich gut"
Renault traut sich vor dem Saisonstart wenig zu: Wie man sich bei den Tests selbst überraschte, wieso kein B-Auto geplant ist und wie man die Lotus-Nachwehen spürt
(Motorsport-Total.com) - Bei den Saisonprognosen hatte kaum jemand das brandneue Renault-Werksteam auf der Rechnung. Das gilt offenbar selbst für die Entscheidungsträger in Enstone, wo sich Technikchef Bob Bell von der Leistung bei den Tests "überrascht" zeigt. "Wir sind ziemlich gut in Form." Ziemlich gut bedeutet für den Briten aber nicht, dass man sich im engen Verfolgerfeld von Mercedes und Ferrari einreihen wird. "Das Auto liegt in Hinblick auf Abtrieb und wahrscheinlich Motorleistung klar im Hintertreffen."
Offensichtlich hatte man bei Renault aber durch die späte Übernahme des Lotus-Rennstalls und die wegen des bis dahin geringen Budgets stockenden Saisonvorbereitungen mit einer Katastrophe gerechnet. Außerdem musste man den Boliden kurzfristig von einem Mercedes- auf einen Renault-Motor umrüsten, was sich aerodynamisch und leistungstechnisch negativ bemerkbar macht.
Renault R.S. 16 ein gutmütiges Auto
"Der Umbau eines Autos läuft nie problemlos, wenn die Entscheidung so spät fällt", erklärt Bell. "Normalerweise wirkt sich das negativ auf die Zuverlässigkeit aus. Wir sind aber zufrieden, denn das Auto ist in Hinblick auf Gewicht und Schwerpunkt besser als erwartet - es verhält sich berechenbar. Balance und Fahrbarkeit sind sehr gut, und es handelt sich um ein Rennauto, mit dem man gut arbeiten kann."
Nur die Zuverlässigkeit war bei den Tests noch nicht wirklich berauschend. Das erfuhr vor allem Jolyon Palmer am eigenen Leib, der an einem Testtag die 100-Runden-Schallmauer durchbrach. Insgesamt absolvierte der R.S. 16 an acht Tagen 776 Umläufe, wodurch man in dieser Statistik (siehe Formel-1-Testcenter) nur vor McLaren, Manor und dem neuen Haas-Team liegt. "Es war ein ziemliches Desaster, um ehrlich zu sein", schimpfte Palmer nach seinem letzten Testtag.
Auch die Weiterentwicklung des Autos läuft bei Renault noch nicht auf Hochtouren. Renault ist noch zu sehr damit beschäftigt, sich aus der Lähmung der Lotus-Truppe zu befreien und wieder wie ein Top-Team zu agieren. "Das wird ein halbes Jahr dauern", erklärt Bell. "Wir brauchen Leute und müssen unsere Werkzeuge auf den letzten Stand bringen. Sie waren etwas eingerostet."
Technikchef Bell: Warum vermutlich keine B-Version kommen wird
Daher würde es sich anbieten, zu Saisonmitte eine B-Version des R.S. 16 zu bringen und dann wie 2015 Force India das Feld von hinten aufzurollen. Doch Bell hält das für keine so brillante Idee. "Diesbezüglich müssen wir uns im Klaren darüber sein, was wir diese Saison erreichen wollen und welche Bedeutung die kommende Saison hat", spielt der Brite auf die geplanten umfangreichen Reglementänderungen für 2017 an.
Daher wäre es seiner Meinung nach sinnvoller, 2016 als Übergangsjahr zu sehen und die Entwicklung frühzeitig auf das kommende Jahr zu verschieben. "Alles wird davon abhängen, wo wir am Ende der Wintertests stehen, und das werden wir erst in Melbourne wirklich wissen", erklärt er. "Dann werden wir entscheiden, wie wir dieses Auto weiterentwickeln werden. Ich zweifle daran, dass es eine B-Version geben wird. Wir wollen langfristige Entscheidungen treffen, denn Renault hat sich der Formel 1 zehn Jahre lang verschrieben."