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Andy Cowell: Warum er zu Aston Martin ging - und was er da macht
Ex-Mercedes-Motorenchef Andy Cowell ist nach fast vier Jahren Abwesenheit wieder in der Formel 1 - Das ist seine Aufgabe bei Aston Martin
(Motorsport-Total.com) - Bekannt geworden als Leiter von Mercedes-Benz High Performance Powertrains (HPP), wird er nun Group CEO von Aston Martin. Andy Cowell ist eine der spektakulären Verpflichtungen von Lawrence Stroll in den vergangenen Monaten.
© Motorsport Images
Ex-Mercedes-Motorenchef Andy Cowell ist nach fast vier Jahren Abwesenheit bei Aston Martin in die Formel 1 zurückgekehrt Zoom Download
Stroll will aus Aston Martin ein Formel-1-Topteam machen und investiert nicht nur in eine brandneue Fabrik, sondern auch in große Namen, was zuletzt in der Verpflichtung von Adrian Newey gipfelte. Nicht minder spektakulär: Cowells Verpflichtung. Der 55-Jährige ist seit 1. Oktober in seiner neuen Funktion tätig.
Cowell kam über ein Maschinenbaustudium zum Motorsport und verdiente sich in den 1990er-Jahren seine ersten Sporen bei Cosworth. Sein erstes Highlight setzte er im Jahr 2000, als er für ein Jahr bei BMW-Williams arbeitete. Er arbeitete am bärenstarken 2001er-Aggregat mit, mit dem Ralf Schumacher und Juan Pablo Montoya Rennen gewannen und das als Benchmark galt.
Nach einem weiteren Zwischenstopp bei Cosworth wechselte er 2004 zu Ilmor und damit zu Mercedes. Dort stieg er schnell auf und wurde 2013 Geschäftsführer von Mercedes-Benz HPP. Unter seiner Leitung entstand der PU106A-Motor, der die Hybrid-Ära über Jahre dominierte und anfangs allen anderen Motoren haushoch überlegen war.
Die große Zeit von Mercedes F1 in den 2010er-Jahren erlebte er hautnah mit und erlangte als Motorenchef des Teams große Bekanntheit. Genau mit dem Ende der großen Mercedes-Ära Ende 2020 zog er sich aus der Formel 1 zurück, weil er eine neue Herausforderung suchte.
Erster Kontakt Ostern 2024
Eine Rückkehr in die Formel 1 war keineswegs selbstverständlich: "Als ich nach Abu Dhabi [2020; er war nicht an der Strecke, sondern wegen der Pandemie in der Fabrik] die Kopfhörer abgesetzt habe, war für mich Schluss. Ich habe es geliebt, aber es war an der Zeit, etwas anderes zu machen."
Er habe zwar auch andere spannende Branchen entdeckt, aber die Formel 1 ließ ihn dann aber doch nicht los: "Sie hat diesen einzigartigen Aspekt, dass sie die höchsten Anforderungen an die Technik stellt. Das Auto ist einfach fantastisch. Ich bin über die Jahre [seit meinem Ausstieg] ein richtiger Formel-1-Fan geworden."
Eine Rückkehr war also wieder ein Thema, allerdings in einer höheren Funktion: "Ich hatte schon mit einigen Formel-1-Teams gesprochen, aber die meisten wollten mich auf der Motorenseite. Aber ich wollte nicht mehr das Gleiche machen, sondern etwas anderes."
So kam es um Ostern herum zum Kontakt mit Lawrence Stroll. "Ich habe seine Begeisterung für das, was er hier aufbaut, richtig gespürt. Die Marke Aston Martin, Aramco, Honda, die Fabrik, die Schlüsselpersonen. Da denkt man: Mensch, ist das aufregend!"
In seiner neuen Funktion lernt Cowell ganz neue Abteilungen kennen, darunter die Aerodynamik. Dort wird er mit weiteren spektakulären Verpflichtungen wie Dan Fallows (Ex-Aerodynamikchef bei Red Bull), Enrico Cardile (zuvor Chassis-Direktor bei Ferrari) und eben Newey zusammenarbeiten.
"Ja, es sind andere Herausforderungen", vergleicht Cowell die Aerodynamikabteilung mit der Motorenabteilung. "Die Welt der Aerodynamik und der Fahrzeugdynamik ist eine völlig andere. Da geht es nicht mehr um Chemie, aber wenigstens noch um Mathematik und Physik."
Und so absolvierte er unter Fallows Anleitung eine Art Praktikum in der Aero-Abteilung in Silverstone, das auch den Grand Prix von Singapur beinhaltete. "Ich habe eine tolle Gruppe von Leuten kennen gelernt. Sie sind wirklich enthusiastisch, intelligent und hungrig [auf Erfolg]", versichert er.
Reisen nach Saudi-Arabien und Japan
Von Silverstone aus ging es um die ganze Welt: "Vergangene Woche war ich in Saudi-Arabien und habe die Leute von Aramco getroffen. Ich habe im Laufe der Jahre mit einigen Mineralölunternehmen zusammengearbeitet. Aramco ist außergewöhnlich, was seine Ambitionen, seine Anlagen und seine globale Reichweite betrifft."
"Dann war ich in Sakura und habe die Honda-Ingenieure getroffen, die am Programm 2026 arbeiten, und auch hier gab es nichts als grenzenlose Begeisterung und Enthusiasmus für unsere gemeinsame Zukunft."
"Ich habe mir ihre Testeinrichtungen und ihre Arbeit angesehen und war einfach überwältigt. Sie sind hungrig nach Entwicklung und Innovation, sehr entschlossen und stolz. Ich werde [mit meiner Erfahrung auf Motorenseite] alle ihre Fragen beantworten. Ich werde ihnen helfen, aber ich will ihnen nicht im Weg stehen."
Da er selbst Motorenspezialist ist, gab es einige unterhaltsame Gespräche. "Wir haben uns gegenseitig zum Lachen gebracht", so Cowell. "Es ist das gleiche technische Regelwerk. Mathematik, Physik und Naturwissenschaften sind überall auf der Welt gleich."
Damit schloss sich auch der Kreis zu seinem vorherigen Besuch in Saudi-Arabien: "Honda und Aramco arbeiten viel zusammen. Es geht darum, herauszufinden, welche chemischen Verbindungen in der Brennkammer des Motors am besten funktionieren. Viele Kraftstoffkandidaten werden im Einzylinder in Sakura getestet".
Vor allem die zukunftsweisende Fabrik in Silverstone hat es allen Beteiligten angetan: "Wir sind begeistert von den Einrichtungen, die uns zur Verfügung stehen. Die Fabrik in Silverstone ist atemberaubend, ebenso die Ausstattung. Und all die tollen Leute".
"Ja, es ist aufregend, all die neuen Technologien zu sehen, neue Firmen kennenzulernen und neue Leute zu treffen." Mit allen Schikanen: "Es ist schon komisch, alle kennen meinen Namen, aber ich kenne ihre Namen nicht. Es gibt zum Beispiel mehrere Adrians. Ja, es ist eine aufregende Zeit."
Nicht immer einfach: Koordination von Alphatieren
Seine Aufgabe wird es nun sein, sämtliche Bereiche effizient zu vernetzen. Dass dies nicht immer einfach ist, zeigen verschiedene Beziehungen zwischen europäischen und japanischen Unternehmen. Andererseits ist Honda durch die Zusammenarbeit mit Red Bull auch den Umgang mit Europäern gewohnt.
Cowells Ziel: "Ich hoffe, dass ich dazu beitragen kann, alles zusammenzufügen, denn ich habe einige Jahrzehnte in dieser [Formel-1-]Welt gelebt und arbeite eng mit den Jungs in Silverstone zusammen. Ich hoffe, dass ich dazu beitragen kann, dass alles gut zusammenläuft."
Eine Befürchtung ist, dass sich die vielen Alphatiere bei Aston Martin auf Kosten des Teams gegenseitig zerfleischen könnten. Er selbst glaubt nicht daran: "Bei Mercedes Grand Prix waren wir auch eine Gruppe von beeindruckenden Ingenieuren, und das hat gut funktioniert."
"Wir sind bei Aston Martin eine relativ junge Organisation. Die Jordan-Tage liegen schon ein paar Jahrzehnte zurück, und mit diesem Niveau an Einrichtungen und Ressourcen zu arbeiten, ist neu für das Team."
Die große Bewährungsprobe kommt, wenn 2025 Adrian Newey auf der Bildfläche erscheint. "Ja, das ist im Moment eine der Herausforderungen für mich", gibt Cowell zu. "Ich lerne die Leute kennen, ich lerne, wie das Team in Silverstone arbeitet, wie wir Aero-Upgrades entwickeln, wie wir für 2025 entwickeln und wer was macht."
"Und dann kommen Enrico und Adrian im nächsten Jahr zu uns. Bis dahin möchte ich die organisatorischen Änderungen vornehmen, die uns allen in der Zukunft helfen werden. Damit meine ich nicht nur, dass wir ein Büro, einen Schreibtisch, einen Stuhl und ein Zeichenbrett haben, sondern auch eine Struktur."
"Mein Ziel ist es, dass der erste Tag im Werk für sie ein Arbeitstag ist und kein Tag, an dem man über strukturelle Veränderungen nachdenken muss. Darin sehe ich meine Aufgabe als CEO."
"Es gibt so viel zu tun, sei es der Aufbau unseres eigenen Windkanals und aller dafür notwendigen Anlagen, sei es die Produktion eines Getriebes für den Honda-Motor 2026, sei es die Entwicklung von Simulationstools, die in ihrer Klasse Maßstäbe setzen sollen. Und wenn wir für jeden dieser Bereiche eine Führungspersönlichkeit haben, die sich auf ihr Gebiet konzentrieren kann, werden wir sogar schneller an die Spitze kommen."
Aufgabe und Prinzip in einem: Effizienz
Seine Philosophie dafür hat er in seiner Zeit außerhalb der Formel 1 gefunden: "Wenn man ein bisschen Zeit zum Nachdenken hat, merkt man, worauf es einem ankommt, und bei mir ist es die Effizienz. Natürlich auch der thermische Wirkungsgrad des Motors, aber was das Team bei HPP hasste, war Zeitverschwendung."
"Mir ging es gegen den Strich, wenn ich sah, dass etwas nicht effizient funktionierte, zum Beispiel, wenn sich Verantwortlichkeiten überschnitten. Noch schlimmer war es, wenn es eine Lücke und einen Mangel an Kommunikation gab. Wie schaffen wir es also, dass 900 Menschen wie ein einziges Gehirn effizient arbeiten? Wie schaffen wir es, dass 900 Menschen ihren Tag effizient nutzen?"
"Meine Aufgabe ist es, ein Team aufzubauen, in dem jeder seine Rolle kennt. Jeder kennt seine Position auf dem Spielfeld. Und meine Aufgabe ist es, mit jedem einzelnen Spieler zu besprechen, was er tun kann, um besser zu werden. Es geht nicht darum, ihnen etwas vorzuschreiben, sondern eine Atmosphäre zu schaffen, in der sie neue Ideen entwickeln können."
"Jeder Einzelne muss das Gefühl haben, in einem sicheren Umfeld zu arbeiten, damit er innovativ sein und neue Dinge ausprobieren kann. Man muss also eine Kultur schaffen, in der wir Dinge ausprobieren und akzeptieren, dass wir alle nicht perfekt sind."
"Und man muss ein Ziel haben, eine Vision. Und da ist die Vision von Lawrence wunderbar: Wir werden an die Spitze kommen, wir werden Rennen gewinnen, wir wollen Weltmeisterschaften gewinnen. Aber wir haben Respekt vor unseren Gegnern, die ebenfalls sehr beeindruckend sind."
"Diesen Ansatz habe ich auch in anderen Branchen und bei anderen Themen angewandt. Und genau das werde ich auch bei Aston Martin versuchen. Auf das Schreiben von Berichten und Abhalten von Konferenzen bin ich jedenfalls nicht besonders scharf."
"Zweiseitige Stellenanzeigen? Da schlafe ich schon nach dem ersten Absatz ein. Ein paar Stichpunkte, was genau von einem Mitarbeiter erwartet wird, reichen. Das versteht jeder. Jeder Einzelne gibt sein Bestes und überlegt, wie er noch besser werden kann. Es geht darum, jedes Werkzeug bestmöglich zu nutzen, aber auch seine Fehler und Stärken zu verstehen und zu verbessern."
Endlich wieder im Fahrerlager
In Austin war er zum ersten Mal seit Abu Dhabi 2019 wieder in einem Formel-1-Fahrerlager: "Ich habe mit Lawrence gesprochen und ihm einfach für diese Gelegenheit und für das, was er auf die Beine gestellt hat, gedankt."
"Er ist der Kopf hinter dieser Sache und wir alle versuchen, das umzusetzen, was er auf die Beine gestellt hat und was seine Vision ist. Ich habe ihm dafür gedankt, dass er mir diese Chance gegeben hat. Es ist schön, wieder im Fahrerlager zu sein und so viele lachende Gesichter zu sehen."
Insgesamt ist die Aufbruchstimmung bei Aston Martin unübersehbar. Zu gerne spricht Cowell über die Parallelen, die er zu seiner Zeit bei Mercedes im Vorfeld der großen Dominanz von 2014 bis 2020 sieht: "Es gibt viele Ähnlichkeiten. Ich kam 2004 zu Mercedes und hatte das Privileg, für Ola Källenius zu arbeiten."
"Damals konnte ich miterleben, wie er Mercedes und McLaren zu Meisterschaften verhalf und dabei half, ein Unternehmen aufzubauen. Ich denke, ich habe viel aus dieser Zeit gelernt."
Vor allem das Jahr 2013, als die Weichen für die neue Turbo-Hybrid-Ära gestellt wurden: "Das war das härteste Jahr überhaupt, das Jahr vor einer Weltmeisterschaft. Da wird in der Fabrik richtig gearbeitet, da geht es richtig zur Sache."
Die große Chance 2026
2026 bietet sich eine ähnliche Chance wie 2014, denn die Karten werden neu gemischt. Neben einem neuen Reglement für die Autos tritt auch ein neues Motorenreglement in Kraft, auch wenn es bei V6-Turbomotoren bleiben wird.
"Ich denke, 2026 ist eine Chance für alle", sagt Cowell über die Aussicht, schon im übernächsten Jahr durchzustarten. "Aber wir arbeiten schon jetzt hart daran, das Auto für 2025 schneller zu machen. Und wir arbeiten hart mit Aramco, Honda und unseren neuen Anlagen für 2026 bis 2030. Wir wachsen mit unserem Material und das wird uns hoffentlich weiterbringen."
Den Faktor Glück blendet er dabei bewusst aus: "Meine Schule lautet: Wer hart arbeitet, nimmt sein Glück selbst in die Hand. Wie sagt man beim Golf? Je mehr ich trainiere, desto mehr Glück habe ich."
Emotionen haben für ihn im Entwicklungsrennen keinen Platz: "Ich will, dass wir bei allem, woran wir arbeiten, sehr kreativ sind. Wenn wir Experimente anstellen, wollen wir wie Roboter sein, die Ergebnisse analysieren, daraus lernen und so schnell wie möglich [auf dem vielversprechendsten Wege] weitermachen, ohne emotionale Bindung an eine Idee. Diese Kultur gibt es bereits in Silverstone, und ich möchte sie pflegen und weiterentwickeln."
Aller Anfang ist schwer
Angesichts der Ressourcen ist die derzeitige Leistungsfähigkeit von Aston Martin nicht zufriedenstellend, das weiß auch Cowell. "Wir sind enttäuscht, wo wir stehen", gibt er unumwunden zu. "Ich habe noch niemanden [im Team] getroffen, der die Dinge schönredet und glaubt, dass wir hier Großes leisten."
"Wir müssen einfach überall besser werden. Im Moment gibt es bei uns keine Abteilung, die sagt: 'Wir sind perfekt, wir können Weltmeister werden.' Überall heißt es, das können wir besser machen, das würden wir gerne besser machen. Das ist jetzt unser Fahrplan, um wirklich Großes zu erreichen."
"Es gibt im Moment keine perfekte Abteilung. Und wir werden wahrscheinlich auch nie perfekt sein, weil wir immer neue Wege finden werden, um jede Abteilung im Unternehmen zu verbessern. Sei es die Personalabteilung, der kaufmännische Bereich, die Aerodynamik oder das Fahrzeugdesign - überall kann man besser werden."
Cowell baut auf der Vorarbeit von Martin Whitmarsh auf. Über diesen ist er voll des Lobes: "Ich kenne Martin schon lange und habe großen Respekt vor ihm. Ich übernehme seine Rolle 1:1, im Moment arbeiten wir noch Seite an Seite."
"Martin hat großartige Arbeit geleistet, die Fabrik ist absolut beeindruckend, der Windkanal wirklich gut. In solchen Organisationen gibt es immer wieder [personelle] Veränderungen. Ich habe Respekt vor dem, was er erreicht hat. Ich freue mich darauf, auf dem aufzubauen, was unter seiner Führung geschaffen wurde, und zu versuchen, das Beste aus allen vorhandenen Komponenten herauszuholen."
Als Chef der gesamten Gruppe ist Andy Cowell nicht nur für das Formel-1-Projekt, sondern auch für Aston Martin Performance Technologies verantwortlich. Er stellt jedoch klar, dass die Formel 1 das Kerngeschäft bleibt und die zusätzlichen Projekte mit denselben Partnern durchgeführt werden.
"Performance Technologies ist eine Gruppe innerhalb des Werks in Silverstone, die einige interessante Technologieprojekte für Aramco, Honda, Aston Martin und Lagonda durchführt. Und es ist eine unabhängige Gruppe von wirklich intelligenten, enthusiastischen Ingenieuren, die Profit erwirtschaften."
Der Erfolg des Unterfangens wird sich erst in einigen Jahren messen lassen. Sicher ist, dass die Zutaten für Erfolg vorhanden sind. Cowell ist nun vor allem dafür verantwortlich, dass daraus etwas wird. "Wir haben unsere Mission als Leuchtturm und einen unerbittlichen Drang, sie zu verwirklichen", versichert er. Ob es am Ende "Mission Accomplished" heißt, bleibt abzuwarten.