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Proteste gegen Rechtsextreme: So hat Toto Wolffs Karriere begonnen
Plastiksackerl voller Geldscheine und Proteste gegen Rechtsextreme: Wie Toto Wolff beim friedlichen "Lichtermeer" in Wien eine zündende Idee hatte
(Motorsport-Total.com) - Toto Wolff, das wissen wohl die Wenigsten, spielte mit seinen Geschäftsideen lange vor der Formel 1 eine Rolle im Alltag vieler Österreicher. Seine Geschichte beginnt am 23. Januar 1993. Jörg Haider hatte mit seinem Volksbegehren "Österreich zuerst" quasi die Zündschnur für jenen Flächenbrand gelegt, den wir heute europaweit als AfD, FPÖ oder Lega kennen.
© Motorsport Network
Toto Wolff war schon vor seiner Karriere in der Formel 1 ein Finanzinvestor Zoom Download
Aber damals wie heute stand ein Teil der Zivilgesellschaft auf gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz. In Wien zogen mehr als 200.000 Menschen über die Ringstraße zum Heldenplatz und gaben mit dem sogenannten "Lichtermeer" ihre Antwort auf das flapsig "Ausländer-Volksbegehren" genannte Anliegen der Rechtspopulisten.
Und da, wo ein "Lichtermeer" brennen soll, werden naturgemäß zehntausende Fackeln und Kerzen benötigt. Toto Wolff zählte zu dem Zeitpunkt einen Juden und einen Palästinenser zu seinen besten Freunden, und er hatte eine im wahrsten Sinn des Wortes zündende Idee: nämlich den friedliebenden Demonstranten jene Fackeln und Kerzen zu verkaufen, die sie in vielen Fällen zu Hause vergessen hatten.
Der Verkauf an jenem Abend begann eher schleppend, und Wolff glaubte, einen Flop gelandet zu haben und auf seinen Fackeln und Kerzen sitzen zu bleiben. Aber nach und nach nahm die Dynamik zu - bis er irgendwann dutzende Billa-Sackerl randvoll mit 20-Schilling-Scheinen (umgerechnet 1,45 Euro) von seinen Helfern einsammelte.
Ein Teil der Einnahmen, das sei der Vollständigkeit halber erwähnt, wurde für die gute Sache gespendet.
Aber Wolff hat noch andere Berührungspunkte mit dem österreichischen Alltag der 1990er-Jahre. Kaum ein Jugendlicher hat damals nicht die Plattform SMS.at verwendet, mit der man, lange vor der Erfindung des Smartphones, Kurznachrichten direkt aus dem Internet aufs Handy schicken konnte, und das noch dazu kostenlos.
Investments ins "Austronet": SMS.at und uboot.com
Wolff war 1999 einer der Mitgründer des Start-ups ucp, zu dem neben SMS.at auch noch die Plattform uboot.com (quasi ein frühes Österreich-Facebook) gehörte. Einlagekapital des Unternehmens im Jahr 1999: eine Million Schilling (umgerechnet knapp 73.000 Euro). 2007 blätterte ein israelischer Softwarekonzern 275 Millionen US-Dollar für ucp hin.
Wolff, inzwischen 37 Jahre alt, musste also irgendwas anstellen mit seinem Geld, und als gescheiterter Ex-Rennfahrer zog es ihn zurück in den Motorsport. Erst leistete er sich den Spaß, auf der Nürburgring-Nordschleife den Rundenrekord brechen zu wollen. Stattdessen crashte er den teuren Porsche 911 GT3 und riskierte sein Leben.
Dann investierte er bei der Mercedes-DTM-Schmiede HWA, später beim Formel-1-Team Williams.
2012 fragte ihn Daimler-Konzernchef Dieter Zetsche, wie es sein kann, dass ein Mittelständler wie Williams genau wie Mercedes ein Rennen gewonnen hat, und das, obwohl bei Williams Pastor Maldonado die Nummer 1 war und bei Mercedes mit Michael Schumacher ein globaler Superstar unter Vertrag stand.
Im Januar 2013 stiegen Toto Wolff und Niki Lauda als die neuen Chefs bei Mercedes ein. Der Rest der Geschichte ist bekannt.
Aufgestiegen in den Olymp der Formel-1-Teamchefs
Jetzt, sieben Fahrer- und acht Konstrukteurs-WM-Titel später, ist Toto Wolff eine lebende Legende des Sports. Erfolgreicher als Alfred Neubauer, Colin Chapman, Ron Dennis oder Jean Todt. Sieben WM-Doubles hintereinander, das hat vor ihm noch kein Formel-1-Teamchef geschafft.
Die Menschen werden Bücher über seine Geschichte schreiben, der Name Wolff wird untrennbar mit dem Mythos der Marke Mercedes verbunden bleiben. Aber Wolff relativiert: "Bei mir kickt dann wieder der Realismus ein, der mir sagt: 'Und wen interessiert's?' Außer vielleicht einen Eintrag auf einer Wikipedia-Seite."
Dabei ist dem Wiener wohl bewusst, dass er einen Teil des Erfolgs geerbt hat. Von Ross Brawn, der in Brackley die Basis für ein erfolgreiches Formel-1-Team aufgebaut hat und 2013 schlau genug war zu erkennen, dass Mercedes mit der Einführung der Hybrid-Turbos im Jahr 2014 eine goldene Chance hat - der Konzern dafür aber viel Geld in die Hand nehmen muss.
Von Michael Schumacher, der mit seiner Strahlkraft eine ganz entscheidende Rolle dabei gespielt hat, den Daimler-Vorstand um Dieter Zetsche davon zu überzeugen, dass sich dieses Investment nachhaltig lohnen wird.
Und von Norbert Haug, dessen Vision eines modernen Silberpfeil-Werksteams die Grundlage für alles darstellt, was Mercedes heute in der Formel 1 ist.
"Hätte es BrawnGP nicht gegeben, Norberts Vision eines eigenen Teams, mit Michael als Starpiloten, dann hätte es unsere Erfolgsgeschichte nicht gegeben", weiß Wolff.
Den Rekord von Michael Schumacher im Visier
Wie passend, dass es sein nächstes großes Ziel ist, mit Lewis Hamilton ausgerechnet jenen achten Titel zu gewinnen, mit dem der Mercedes-Superstar den alten Rekord von Michael Schumacher übertreffen würde. Wolff räumt offen ein, dass ihn das antreibt.
"Aber viel wichtiger ist, wie wir als Team und Organisation besser werden können. Das motiviert mich zumindest genauso stark", sagt er. "Einfach einen Weg zu finden, immer hungrig zu sein. Welche Rahmenbedingungen muss ich setzen, damit alle immer hungrig bleiben? Das ist als Zielsetzung für mich psychologisch ein starker Antrieb."
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Und was kommt danach, nach dem neunten oder zehnten Titel? Irgendwann, räumt der 52-Jährige ein, wird es langweilig, nur noch Statistiken neu zu schreiben.
"Ich habe viele Ideen", lacht er. "Aber am Ende geht's dann doch am allermeisten drum, etwas zu tun, was mir Spaß und was mich glücklich macht. Denn dann bin ich der bessere Vater, der bessere Ehemann, der bessere Freund und der bessere Kollege."
Man könnte sich Toto Wolff gut als österreichischen Politiker vorstellen. Quasi als verbesserte Version von "Schwiegermama-Finanzminister" Karl-Heinz Grasser: schön, jung, intelligent. Er wäre nicht der erste Quereinsteiger, und in einer Partei wie den liberalen NEOS würde er mutmaßlich viele Menschen für sich gewinnen.
"Danke für das Kompliment! Reizt mich nicht", winkt er ab. "Ich bin aber Medienkonsument und schaue mir das mit Interesse an. Unser kleiner Mikrokosmos hier in der Formel 1 ist ja auch ein bisschen politisch. Aber mich zieht es nicht in die Politik."
Eigentlich schade. Schließlich hat beim "Lichtermeer" 1993 irgendwie alles mit der österreichischen Innenpolitik angefangen ...
(Transparenzhinweis: Dieser Artikel ist zuerst im Jahresheft 2019 von sportradio360 erschienen.)