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Chanoch Nissany: Der ungewöhnlichste Formel-1-Testfahrer aller Zeiten
2005 sorgte der Israeli Chanoch Nissany für Aufsehen, als er im Alter von 42 Jahren an seinem ersten und einzigen Formel-1-Training teilnehmen durfte
(Motorsport-Total.com) - Man sollte meinen, dass jeder Formel-1-Fahrer eine Session ganz schnell vergessen will, in der er 13 Sekunden weg von der Pace war. Doch der Israeli Chanoch Nissany ist auch heute noch stolz auf seinen berühmten Trainingseinsatz für Minardi beim Großen Preis von Ungarn 2005.
Manche mögen vielleicht über seine Pace spotten und meinen, dass Nissany nie gut genug war, um einen Platz in der Formel 1 zu verdienen. Dann würde man aber die bemerkenswerte Geschichte seiner Entschlossenheit nicht verstehen, die ihn überhaupt dorthin gebracht hat.
Dafür muss man erst einmal vier Jahre zurückgehen, als Nissany - damals ein erfolgreicher Immobilien-Geschäftsmann - als Zuschauer beim Ungarn-Grand-Prix 2001 zu Gast war. "Ich habe mit 38 angefangen", sagt er zu 'Motorsport-Total.com'. "Ich war ein Geschäftsmann, habe in einem Büro gearbeitet und erinnere mich daran, dass ich auf einer Tribüne in Budapest sitze."
"Ich habe das Rennen gesehen und zu einem Freund gesagt: 'Ich möchte ein Formel-1-Fahrer sein.' Ich hatte noch nie zuvor in einem Go-Kart oder einem Rennauto gesessen, aber ich sagte: 'Ich möchte ein Fahrer sein.'", so Nissany. "Mein Freund antwortete: 'Kein Problem. Wenn wir nach Hause kommen, nimmst du deine Pillen und alles wird gut.' Aber ich bin zurückgekommen und habe von Null begonnen."
Durch seinen beruflichen Erfolg hatte Nissany die finanziellen Mittel, um den Ball ins Rollen zu bringen. Zudem konnte er mit der israelischen Kosmetikfirma UPEX einen Sponsor gewinnen, der ihn bis in die Formel 1 führte.
In der ungarischen Formel 2000 ging alles los
2002 startete er in der ungarischen Formel-2000-Serie und wurde dort Vizemeister - ein Jahr später holte er sich den Titel. 2003 fing er an, an internationalen Serien wie der World Series Lights teilzunehmen, 2004 fuhr er in der Formel 3000.
Zwar hob er die Welt mit seinen Ergebnissen nicht aus den Angeln, trotzdem war er noch auf gutem Weg, sein Ziel zu erreichen. Und als er eine Testfahrerrolle bei Jordan ergatterte, kam er diesem noch ein Stückchen näher.
Sein Formel-1-Debüt gab er im Juli in Silverstone, wo er neun Sekunden langsamer als Teamkollege Nick Heidfeld war. Allerdings ereilte ihn auch ein Motorschaden, der seinen Tag verkürzte.
"Ich habe Tag für Tag 24 Stunden dafür gearbeitet", sagt Nissany. "Ich habe gegessen, geschlafen und von Autorennen geträumt." Der Traum schien greifbar nah, als er im Juli 2005 im Hilton-Hotel in Tel Aviv von Minardi-Boss Paul Stoddart als offizieller Testfahrer präsentiert wurde - mit dem Plan, ihn einige Freie Trainings fahren zu lassen.
Da die Regeln für die Superlizenz damals noch anders waren, musste Nissany lediglich ausreichend Kilometer in einem Privattest fahren, um am Freien Training teilnehmen zu können. Und da auch die Testregeln weit weg von den aktuellen Beschränkungen waren, war es kein Problem, diese Kilometer zu bekommen.
Ein Geschenk zum 42. Geburtstag
Nach zwei Tests für Minardi im vorigen Winter fuhr Nissany fünf volle Tage in Misano, Mugello und Vallelunga, bevor entschieden wurde, dass er den Freitagseinsatz bekommen würde, von dem er in Ungarn geträumt hatte. Und passenderweise sollte der an seinem 42. Geburtstag stattfinden.
Die Nachricht von Nissanys Formel-1-Einsatz schlug in Israel hohe Wellen. Lokaljournalisten und TV-Crews machten sich auf zum Hungaroring, um dem Event beizuwohnen. Ein besonders eifriger Reporter fragte Michael Schumacher, was er von Nissanys Test hielt. Der perplex dreinblickende Deutsche antwortete: "Ich muss mich entschuldigen. Ich habe keine Ahnung."
Nissanys Auftritt blieb nicht unbemerkt, da ihn der offizielle Formel-1-Feed wie ein Adler verfolgte. Durch seinen konservativen Ansatz und den gestiegenen Druck, bei einem richtigen Wochenende dabei zu sein, konnte er nicht nach sensationellen Zeiten jagen. Doch mit der Zeit stieg sein Selbstvertrauen.
17 Minuten vor Ende jedoch passierte Nissany in Kurve 4 ein Fehler und er drehte sich in das Kiesbett, wodurch seine Session vorüber war. Als der mobile Kran kam, um sein Auto abzutransportieren, saß er immer noch im Cockpit. Sein Tag war vorbei.
Am Ende spucken die Ergebnislisten eine Rundenzeit von 1:34.319 Minuten für Nissany aus. Das war knapp 13 Sekunden langsamer als Alexander Wurz, der im McLaren eine Zeit von 1:21.411 Minuten gefahren war. Zum Vergleich: Minardi-Teamkollege Christijan Albers schaffte eine Rundenzeit von 1:27.540 Minuten.
Keine Scham trotz Monster-Rückstand
Wenn er jetzt auf den Tag zurückschaut, dann ist es ihm nicht peinlich, dass er nicht in einer Liga von Schumacher, Fernando Alonso oder Kimi Räikkönen war. Einfach nur auf der Strecke gewesen zu sein, war die Verwirklichung eines unwahrscheinlichen Traums. Er weiß, dass er bei den Privattests viel mehr Pace hatte, als er an diesem Tag zeigen konnte.
"Man darf nicht vergessen, dass es jetzt 15 Jahre her ist", sagt er. "Ich war stolz, am Hungaroring zu sein. Keine Frage. Das war eine tolle Erfahrung. Mein Ziel war klar: Ich wollte ein offizieller Formel-1-Fahrer sein und das Formel-1-Auto fahren. Das habe ich geschafft."
"Ich bin einfach eine besondere Geschichte für normale Leute. Für jeden Geschäftsmann und Arbeiter, der ein Ziel oder einen Traum hat. Man darf nicht sagen, dass es unmöglich ist. Ich wollte jedem zeigen, dass man selbst mit 38 etwas schaffen kann, wenn man es möchte. Es ist einfach eine Kopfsache."
An einer Formel-1-Session nahm Nissany danach nicht mehr teil, jedoch absolvierte er noch vier weitere Testtage für Minardi. Auch seine Rennkarriere ging weiter. Er gewann in Ungarn noch einige Meisterschaften, bevor er vor einigen Jahren den Helm an den Nagel hing.
Sohn Roy tritt in die Fußstapfen
Zuletzt half er seinem Sohn Roy dabei, die Stufen auf der Motorsport-Leiter zu erklimmen. Er spielte eine wichtige Rolle beim neulich verkündeten Testfahrerdeal mit Williams. Immer wieder gibt es kleinere Neckereien zwischen Vater und Sohn über ihre Rennerfahrungen, doch beide wissen, dass ihre Formel-1-Möglichkeiten an komplett verschiedenen Enden des Spektrums liegen.
"Es ist ein enormer Unterschied zu meinem Vater", sagt Roy Nissany. "Seine Karriere war einzigartig, verrückt und besonders. Er hat mit 38 angefangen, von daher waren seine Ziele anders als meine. In einem so hohen Alter anzufangen und es in die Formel 1 zu schaffen und die israelische Flagge dort hinzubringen, ist ein enormer Erfolg und steht für sich selbst."
"Aber das ist nicht, was ich versuche. Ich habe mit sechs angefangen und will weiter hoch durch die Motorsport-Kategorien. Es ist schön, dieses Erbe zu haben, aber ich habe meinen eigenen Weg", so Nissany.
Vermutlich ist auch Nissany sen. stolzer auf die Erfolge seines Sohnes als auf seine eigene Karriere: "Ich bin glücklich über meine Errungenschaften, aber ich denke, dass Roy viel mehr leisten kann, weil ich nie das Talent hatte. Ich spiele nicht in seiner Liga. Ich hatte einfach die mentale Stärke, es zu schaffen. Aber diese Generation, die junge Generation, ist in einer anderen Welt."