• 05. November 2017 · 11:25 Uhr

Rene Binder: Vom Managerbüro ins Formel-1-Cockpit

Blick hinter die Kulissen von Rene Binders Formel-1-Test - Porträt: Wie der junge Österreicher den Spagat zwischen Holz-Imperium und Rennfahren meistert

(Motorsport-Total.com) - Es ist ein wunderschöner Tag in Südfrankreich. Die Morgenröte legt sich sanft über die mediterrane Palmenlandschaft, auf den angrenzenden Landstraßen zieht nur dann und wann ein Auto vorbei und stört die idyllische Ruhe. Es ist ein Tag ganz so, wie ihn sich junge Mädchen für ihre Hochzeit wünschen.

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Ein Traum wird wahr: Rene Binders erster Formel-1-Test am 24. Oktober Zoom Download

Rene Binder zieht im Grand-Prix-Hotel in Le Castellet den Vorhang zur Seite und freut sich, dass der Wettergott mitspielt. Er wird in zwei Stunden zum ersten Mal mit einem echten Formel-1-Auto fahren, und zwar auf der Strecke, auf der die Königsklasse 2018 zum ersten Mal seit 23 Jahren einen Grand Prix austragen wird. Vorfreude liegt in der Luft, aber keine Anspannung.

Binder hat gut geschlafen, isst beim Frühstück mit seinem Berater Edi Nikolic ein Croissant und trinkt dazu eine Tasse Kaffee. Nervös ist er nicht: "Ich habe gut geschlafen. Ich bin keiner, der über so etwas groß nachdenkt und nervös wird, sondern ich war eigentlich ganz locker drauf." Dann packt der 25-jährige Österreicher seine Tasche und schmeißt sie in den Kofferraum des Renault Espace, mit dem er selbst die paar hundert Meter an die Rennstrecke fährt.

Eine letzte Besprechung mit den Ingenieuren, bevor es endlich losgeht. "Als ich zum ersten Mal rausgefahren bin", erinnert er sich später an den bis dahin vielleicht größten Moment seiner Karriere, "hat es schon gekribbelt. Aber sonst war ich ziemlich locker." Und das spürt man auch. Binder hat am Morgen dieses für ihn so aufregenden Tages noch den Nerv, sich nach der Hotelbuchung für unseren Fotografen/Kameramann zu erkundigen, weil es da im Vorfeld ein Missverständnis gegeben hat.

Jetzt schon wird klar: Dieser junge Mann ist multitaskingfähig. Ein Aspekt seiner Persönlichkeit, auf den wir in dieser Geschichte noch ausführlicher eingehen werden.

Installation-Laps mit 44 Kilogramm Sprit

Die erste Runde, Funkcheck, Installation-Lap. "Turn 3", meldet der Fahrer, "Check", meldet die Box. Alles okay. Binder hat vier neue Reifensätze für seinen sogenannten "Runplan", einmal Soft und viermal Medium. Nach den ersten beiden Installation-Laps, mit 44 Kilogramm Benzin an Bord, kommt er zurück an die Box. Wer jetzt ein breites Grinsen in seinem Gesicht erwartet hätte, wird enttäuscht. Noch ist nichts erreicht an diesem Tag.

Es folgt der sogenannte "Baseline-Run", vor dem nicht nachgetankt wird, geplant mit 13 gezeiteten Runden. Binder akklimatisiert sich im Cockpit, gewöhnt sich an die Kurvengeschwindigkeiten. Was wir am Funk als passive Zuhörer mitbekommen, klingt überaus kontrolliert und professionell. Kein "Wow", kein "Wie cool ist das denn?" Er spult einfach sein Programm ab. Ein kleiner Dreher bleibt ohne Folgen. Beim allerersten Formel-1-Test eines jeden Fahrers gehört das dazu.

Binder steigt aus und geht mit seinem Ingenieur Josh Peckett durch, was er gut und was er weniger gut gemacht hat. "So far, so good." Peckett ist kein Greenhorn auf diesem Posten, sondern ein Mann mit Formel-1-Referenzen. 2016 war er Renningenieur von Pascal Wehrlein bei Manor. Und auch der Rest der Crew weiß, was sie tut. Es sind jene Männer, die Robert Kubicas vielbeachtete Tests mit dem Renault E20 betreut haben. Binder sitzt im gleichen Auto.

Er macht seine Sache gut. Der sogenannte "New-Tyre-Run" kommt zu früh - nicht so sehr wegen des Fahrers, sondern wegen der kühlen Asphalttemperaturen. Also wird die Mittagspause um eine Stunde nach hinten verschoben, um bei etwas wärmeren Bedingungen fahren zu können. Der Testteammanager versichert, bisher laufe alles nach Plan - auch auf unser Nachbohren hin, dass wir nicht die höfliche, sondern die ehrliche Antwort hören wollen.

Fahrertypus: Eher "Professor" als "Magic"

Es dauert dann bis zu den Longruns am Nachmittag, ehe Binder seine Stärken wirklich auspacken kann. "Rene ist einer, der eine gewisse Sicherheit im Auto braucht, um ans Limit zu gehen", räumt sein Berater ein. "Dafür ist er umso besser, wenn es um die Konstanz geht, wenn es darum geht, keine Fehler zu machen und professionell ein Programm abzuarbeiten."

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Rene Binder mit seinem langjährigen Berater Edi Nikolic in der Renault-Box Zoom Download

Berater haben so an sich, dass sie ihre Fahrer gegenüber Medien bestmöglich darstellen wollen. Aber Binder liefert, als es gefragt ist. Er fährt mit einem Startgewicht von 100 Kilogramm auf der Kurzanbindung der Strecke in Le Castellet eine Runde nach der anderen im mittleren 1:15er-Bereich. Bei der Nachbesprechung, bei der wir als Redakteure Mäuschen spielen dürfen, wird klar: Das ist benzinbereinigt schneller als die Referenzwerte, die Sergei Sirotkin zuvor auf der gleichen Streckenvariante vorgelegt hat. Und der kennt das Auto inzwischen wie seine Westentasche.

Binder wurde Ende 2012 ins kalte Wasser der GP2 geschmissen. Eigentlich hätte Nikolics damaliger Schützling Mirko Bortolotti den Drive im Lazarus-Team erhalten sollen, doch irgendwie landete letztendlich Binder im Cockpit.

Bis dahin war er im ADAC-Formel-Masters dreimal aufs Podium gefahren (2009), und in seiner besten Saison in der Deutschen Formel 3, 2012, wurde er mit drei Siegen Gesamtsechster. Dass er dabei ein Rennen krankheitsbedingt auslassen musste, sei der Fairness halber erwähnt. Sein Landsmann und Teamkollege Lucas Auer gewann nur zweimal, wurde aber Vizemeister.

GP2: Warum es nicht nach Wunsch geklappt hat

Das Projekt GP2 ging dann nicht so auf, wie sich Binder das erhofft hatte. Nach der respektablen ersten vollen Saison 2013 mit einigen Top-10-Platzierungen zu Beginn und einem sechsten und siebten Platz in Monaco (er holte elf der zwölf Punkte des Lazarus-Teams) schaffte Binder nie den ganz großen Durchbruch.

"Ich hatte kein konkurrenzfähiges Material und war letztlich auch noch zu grün hinter den Ohren, um im Qualifying das Letzte aus den sensiblen Reifen herauszuholen", gibt er zu. Nach zwei durchwachsenen Jahren ohne Spitzenergebnis stand er plötzlich an einem entscheidenden Punkt seiner Karriere.

"Mein Vater sagt ja auch nicht, dass wir da die Millionen verschleudern. Das war nie unsere Einstellung."Rene Binder
"Da sind wir angestanden", räumt er ein. "Was machen wir? Wieder GP2? Bei den Topteams kommt man nicht rein, das geht mit unserem Budget nicht. Mein Vater sagt ja auch nicht, dass wir da die Millionen verschleudern. Das war nie unsere Einstellung. Was also können wir machen? Es bringt uns nichts, wenn wir in der Formel 2 ohne Topteam weiterfahren. Da kommt nicht viel dabei heraus."

Dazu muss man wissen: Auch wenn die GP2 (heute Formel 2) offiziell als Einheitsserie gilt, ist das Gefälle zwischen den guten, weniger guten und schlechten Teams enorm. Das glauben viele einem Berater nicht, der in erster Linie das Talent seines Fahrers verkaufen möchte. Aber unstrittig ist, dass etwa Timo Glock mit dem BCN-Team 2006 zunächst keinen Stich machte - dann aber zur Saisonmitte zu iSport wechselte und gleich sein erstes Rennen gewann. 2007 war er dann Champion.

Das beweist: GP2 ist nicht gleich GP2, und nur wer die Mittel hat, sich einen Platz in den besten Teams zu erkaufen, hat eine realistische Chance, um Siege und Podestplätze zu kämpfen. Binder fuhr in seinen drei GP2-Jahren für Lazarus, Arden und Trident. Alles keine Teams, mit denen man in jenen Jahren Meister hätte werden können.

Karriere-Neustart in der Formel V8 3.5

Weil sein Image schon extrem gelitten hatte, war es Zeit für einen Neustart. Also wechselte er zunächst in die Renault-World-Series, aus der inzwischen die Formel V8 3.5 hervorgegangen ist. Das schien auch insofern eine gute Idee zu sein, als Binder seine Qualitäten immer dann am besten ausspielen kann, wenn er genug Trainingszeit bekommt - und in der GP2 geht's schon nach 45 Minuten Freiem Training direkt ins Qualifying.

Im Winter 2016/17 ist den Tirolern klar, dass jetzt Ergebnisse folgen müssen, wenn der Traum von der Profikarriere weiterleben soll. Und Binder liefert. Beim zweiten Wochenende in Spa-Francorchamps fährt er erstmals aufs Podium, die nächsten beiden Rennen in Monza gewinnt er sogar - und übernimmt die Führung in einer Meisterschaft, in der er gegen Fahrer wie Pietro Fittipaldi oder Force-India-Testpilot Alfonso Celis antritt.


Fotostrecke: Formel-1-Test von Rene Binder

Celis mag auch kein kommender Formel-1-Weltmeister sein, hat aber im Gegensatz zu anderen Fahrern die Wucht mexikanischer Sponsorenmillionen hinter sich. Talent kann man im Motorsport nicht kaufen. Chancen aber schon.

Und noch eine andere Lektion hat Binders Berater Nikolic in den vergangenen 20 Jahren gelernt: "Im Gegensatz zu anderen Disziplinen werden im Rennsport junge Leute sofort abgeschrieben, wenn sie nicht schon mit 16 Jahren große Titel vorzuweisen haben. Dass da jemand im Teenager-Alter auch die Schule wichtig genommen, weit weniger Testfahrten bestritten hat als andere oder ganz einfach erst später die Reife erlangt hat, interessiert da niemanden."

Vorbild Niki Lauda: Talent allein reicht nicht aus

"Dabei hat uns Österreicher ja gerade Niki (Lauda; Anm. d. Red.) mit seiner unglaublichen Karriere aufgezeigt, dass man sich Erfolg durch konsequente Arbeit und Selbstvertrauen sichert und Talent allein bei weitem nicht ausreicht."

Für den 48-jährigen Sportmanager, der selbst aus dem Kampfsport kommt und acht österreichische Meistertitel im Ringen vorzuweisen hat, ist Binder nach Norbert Siedler und Mirko Bortolotti bereits der dritte Schützling, der sein Talent in einem Formel-1-Boliden unter Beweis stellen durfte. Zwar hat es bislang noch keiner in die Königsklasse geschafft, doch zählen Siedler und vor allem Bortolotti als Lamborghini-Werkspilot heute immerhin zur Riege der bezahlten Profirennfahrer.

"Da haben wir die Chance, für weniger als die Hälfte des Formel-2-Budgets in einem Topteam zu fahren."Rene Binder
Binder fährt 2017 noch für das Lotus-Team, das aus Tschechien von Antonin Charouz betrieben wird. "Da haben wir die Chance, für weniger als die Hälfte des Formel-2-Budgets in einem Topteam zu fahren", betont der Österreicher. Nach zwei Siegen in Monza hat er 2017 noch ein weiteres Rennen der Formel V8 3.5 gewonnen, und zwar auf der technisch anspruchsvollen Strecke in Austin.

Dazwischen lagen einige Pleiten, Pech und Pannen - und ein Motor, der bei den Topspeed-Messungen gegenüber der Konkurrenz deutlich abfiel. Inzwischen wurde das brustschwache Aggregat getauscht, und vor dem Saisonfinale in Bahrain liegt er an fünfter Stelle der Meisterschaft, nur 49 Punkte hinter Fittipaldi. Damit sind Titelchancen allerdings nur noch rechnerischer Natur.

Die Chance auf den Formel-1-Test zeichnete sich bereits im Mai ab, als Mia Sharizman, bei Renault verantwortlich für die Leitung des Academy-Programms, aktiv mit den Österreichern in Kontakt trat.

Bei weitem nicht 400.000 Euro bezahlt

"Renault hat sich bei uns gemeldet, nicht umgekehrt", sagt Nikolic. "Das ist ein kleines, aber nicht unwesentliches Detail, denn der Test war von vornherein als echter Sichtungstest geplant." Über die Kosten wird elegant geschwiegen, wobei durchgesickert ist, dass man doch deutlich unter den branchenüblichen 200.000 bis 400.000 Euro lag.

Ausgerechnet an jenem Wochenende, als die Formel 1 in Österreich gastierte, wird der Test am 24. Oktober bekannt gegeben. Binder gibt dutzende Interviews, sein Foto im Renault-Overall macht die Runde; er darf sogar mit ORF-Reporter Ernst Hausleitner eine Session kommentieren. Plötzlich ist der Name Rene Binder auf dem Radar einer breiteren Öffentlichkeit.

Das juckt ihn jedoch wenig. Stattdessen konzentriert er sich darauf, auf dem Simulator zu Hause die Grand-Prix-Strecke in Le Castellet zu üben. "Wenn du dich zwei Tage bei Dallara auf dem Simulator einmieten willst, zahlst du wahrscheinlich 20.000 Euro. Da hat mein Simulator zu Hause weniger gekostet", verrät Binder. Als Software verwendet er rFactor; van der Garde hat dabei geholfen, das Tool feinzutunen.

Irgendwann geht's im Laufe der Vorbereitung auch nach Enstone. Binder wird in der Fabrik herumgeführt, darf sich jede einzelne Abteilung anschauen. "Jetzt verstehe ich, warum die Formel 1 so viel Geld kostet", staunt er. Teamchef Cyril Abiteboul und das Rennteam sind bereits auf dem Weg nach Austin, aber Binder darf im Renault-Simulator in Barcelona testen. "Ich bin 1:21.4 gefahren", erzählt er.

Hülkenbergs Quali-Zeit im Simulator gefahren

Das ist - natürlich nicht direkt vergleichbar - die gleiche Zeit, die Nico Hülkenberg im Qualifying im Mai auf der echten Strecke geschafft hat. "Der Renault-Simulator", sagt Binder, "ist um vieles besser als alles, was ich davor an Simulatoren gefahren bin." Und es war nicht der (virtuelle) E20, den er in Le Castellet testen darf, sondern ein aktueller R.S.17.

Von Renault bekommt er vor dem Le-Castellet-Test eine ganze Reihe Unterlagen in die Hand gedrückt. Unter anderem den Runplan, Telemetriedaten von anderen Fahrern, ein Bedienhandbuch für das Lenkrad. "Das sind ein paar Seiten, da sind alle Knöpfe beschrieben. Schaut komplizierter aus als es ist", sagt er.

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Rene Binder drehte an seinem ersten Formel-1-Testtag mehr als 100 Runden Zoom Download

Obwohl der E20, den er testet, noch kein Hybrid-Renner ist, sondern mit einem konventionellen V8-Saugmotor ausgestattet, sieht das Lenkrad genauso aus wie beim aktuellen R.S.17. "Sie haben das 2012er-Auto vom Lenkrad her ans 2017er-Auto angepasst. Sirotkin fährt mehr mit diesem Auto als mit dem 2017er. Das ist der Grund", erklärt Binder.

Beim Rausfahren aus der Box in Le Castellet dann die erste Überraschung: "Zum Anfahren sind das Formel-2- und das World-Series-Auto viel schwieriger als das Formel-1-Auto. Da ist in der Formel 1 die Technik einfach perfekter", sagt er und betont, dass ein Formel-1-Auto leichter zu handhaben sei als die meisten Nachwuchsautos. In der GP2 zum Beispiel haben früher die Kupplungstemperaturen so stark variiert, dass am Start regelmäßig Fahrer stehen geblieben sind. Im Vergleich dazu ist es fast schon eine Meisterleistung, den E20 abzuwürgen.

Formel-1-Bolide simpler als Formel V8 3.5

Binder spielt ab dem dritten Run an seinem Testtag mit DRS. Auch der klappbare Heckflügel ist im Handling einfacher als etwa in der Formel V8 3.5. Dort muss ab der Aktivierung ein Hebel gehalten und dann wieder losgelassen werden. In der Formel 1 wird DRS einfach deaktiviert, wenn der Fahrer das nächste Mal bremst. So ähnlich wie beim Tempomaten im normalen Straßenauto.

Trotzdem schöpft Binder nicht gleich alle Möglichkeiten aus, die er mit seinen Einstellungen am Auto theoretisch hätte. Das geht vom Team aus: "Keep it simple", hört man immer wieder. Mit unterschiedlichen Differenzialeinstellungen für unterschiedliche Kurven zum Beispiel "habe ich erst am Nachmittag zu spielen angefangen. Das wäre sonst zu viel geworden."

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Rene Binder bestreitet 2017 mit großem Erfolg die Formel V8 3.5 auf Lotus Zoom Download

Dann die ersten Rückmeldungen. "Very good", sagt der Ingenieur immer wieder, etwa über die Steigerung von Medium- auf Soft-Reifen. Kopfzerbrechen bereitet eigentlich nur Kurve 8, mit der sich Binder den ganzen Vormittag plagt. "Die Kurve ist ganz speziell", sagt er. "Extrem lang, hat zwei Scheitelpunkte. Man kommt mit 290 km/h an, hat aber nirgends einen Referenzpunkt zum Bremsen. Links und rechts ist Le Castellet so eintönig, dass da nur blaue Linien sind. Da hört kein Gras auf, da hören keine Randsteine auf, da steht kein Baum, nichts."

"Wenn man zu früh bremst, kann man extrem viel verlieren. Die Kurve ist nämlich so lang, dass sie noch ewig dauert, da kannst du auch nicht früher aufs Gas steigen. Dann steht am Nachmittag auch noch die Sonne sehr tief. Das hat es echt schwierig gemacht", analysiert er und unterstreicht: "Eine Nacht drüber schlafen, dann hätte ich an einem zweiten Tag auf einem ganz anderen Niveau angefangen dort."

Ansonsten fällt das Urteil über seine Performance positiv aus. Das hört man in den technischen Briefings, denen wir zuhören dürfen, und das klingt auch aus Binder selbst durch. Ganz nüchtern, denn der Tiroler ist kein Mensch überschäumender Emotionen: "Ich denke, dass ich nicht viel besser hätte machen können. In der Rennsimulation war ich schneller als die anderen Fahrer. Da wurde mir gesagt, dass das sehr gut ist."

Schnellere Longruns als Testfahrer Sirotkin

Konkret: Bei den Longruns wird als Ziel definiert, er solle sich auf 1:16er-Niveau einpendeln. Tatsächlich fährt Binder 1:15.3er- und 1:15.4er-Zeiten wie ein Schweizer Uhrwerk. "Ich kann mich relativ schnell auf ein neues Auto oder eine neue Strecke einstellen. Für die schnelle Quali-Runde, für die 110 Prozent, brauche ich dann meistens ein paar Tage. Aber darin, konstant auf 98 Prozent zu fahren, war ich schon immer sehr gut", fasst er zusammen.

Das sind genau die Qualitäten, die zum Beispiel bei einem Formel-1-Testfahrer oder auf der Langstrecke gefragt sind. Und genau dahin soll die Reise gehen. Binder und Nikolic haben das Gefühl, dass sie dem einen oder anderen, der momentan in der Königsklasse fährt, durchaus das Wasser reichen könnten. Unter den richtigen Voraussetzungen.

"Das Ziel war immer, Formel-1-Fahrer zu werden", gibt Binder zu. "Die letzten Jahre kamen dann immer mehr Fahrer mit viel Geld in die Formel 1, sodass das Ziel weiter weg rückte. Vor drei Jahren habe ich mir dann als Ziel gesetzt, in die Schiene WEC/LMP1 zu gehen. Das konstante Fahren, die langen Rennen, das passt genau zu meinen Stärken. Aber die LMP1 verliert auch gerade an Attraktivität."

"Jetzt hatte ich den Formel-1-Test, der super funktioniert hat. Vielleicht muss ich doch in die Richtung nochmal schauen. Es kann sich immer wieder was ergeben. Das sieht man gerade an Brendon Hartley, der auf einmal im Formel-1-Auto sitzt", lächelt er. Nachsatz: "Der Traum lebt noch ein bisschen." Grundsätzlich aber sei sein realistisches Ziel, "mit dem Motorsport Geld zu verdienen". Und das geht nicht nur in der Formel 1 ...

Karriere als Manager des Familienimperiums

Sondern zum Beispiel auch mit Holz. Das Familienunternehmen binderholz, das gemeinsam mit Partnern und Sponsoren seine Karriere finanziert, ist kein kleines Tiroler Sägewerk, wie viele immer noch glauben. Vielmehr handelt es sich dabei - spätestens seit der Übernahme der Klenk Holz AG in diesem Jahr - um einen der europaweit führenden Holzproduzenten, mit nunmehr 2.500 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von fast einer Milliarde Euro.

"Wenn wir am Sonntag beim Kaffee sitzen, gibt's eigentlich nur zwei Themen: entweder die Firma, oder den Motorsport", lacht Binder. Das Unternehmen wird nach wie vor als Familienbetrieb geführt. Sein Onkel Hans hat es in den 1970ern sogar bis in die Formel 1 geschafft; Vater Franz war Deutscher Formel-3-Meister und kaufte Willi Weber einmal ein altes Formel-3-Chassis von Michael Schumacher ab. Die Gene liegen in der Familie.

"Testfahrer zu werden, ein paar Tage im Auto zu sitzen und einen Haufen Geld dafür zu zahlen, das ist nicht die Zukunft, wie ich sie mir vorstelle."Rene Binder
Trotzdem ist es keineswegs so, dass die wohlhabende Familie dem Sprössling das Geld in den Hintern stopft, wie das in so manch anderem Clan der Fall ist. Binder würde das selbst gar nicht wollen: "Ich weiß, dass es funktionieren muss. Testfahrer zu werden, ein paar Tage im Auto zu sitzen und einen Haufen Geld dafür zu zahlen, das ist nicht die Zukunft, wie ich sie mir vorstelle. Da kann ich was anderes auch fahren und Spaß haben. Ich würde mir da blöd vorkommen."

Stattdessen packt er im Familienunternehmen, das er eines Tages mit seinen Cousins und Cousinen leiten wird, kräftig mit an. Und zwar nicht als kleines Helferlein, sondern in leitender Position: "Ich bin in die Abläufe der Geschäftsführung eingebunden, in die Unternehmensstrategie, in den Vertrieb. Die wichtigen Besprechungen und Meetings planen wir so, dass ich zu Hause bin. Weil ich sonst total den Überblick verliere."

Diese Doppelfunktion Geschäftsführung/Rennfahrer sieht dann zum Beispiel so aus: "Ich bin am Montag in der Firma, dann fliegen wir nach Houston. Da sitze ich also 20 Stunden im Flieger, Rennen fahren, am Montag wieder in der Firma. So entspannend ist das auch nicht immer." Oder beim ersten Formel-1-Test seiner Karriere in Le Castellet: Sogar zwischen den Runs beantwortet Binder mit dem Handy wichtige Firmen-E-Mails.

Multitasking zwischen Rennfahren und Management

"Ich versuche das zu vermeiden, aber es belastet mich auch nicht", winkt er ab. Das Notebook am Abend im Hotelzimmer ist sowieso Usus; beeindruckend auch die Geisteshaltung, die ein junger Mann dazu mitbringen muss, am Abend nach dem ersten Formel-1-Test mit den mitgereisten Journalisten selbst ein Restaurant zu suchen, sich um die Hotelbuchung zu kümmern, drei Stunden zu schlafen und am nächsten Tag zu Mittag wieder im Büro zu sitzen. Binder lacht diese Belastung weg: "Ich habe immer gut zu tun, aber es macht ja auch Spaß!"

Seine Termine legt er so, dass sie nicht kollidieren. Wenn er zum Beispiel nach Prag zum Simulator-Test muss, um sich bei Charouz auf die nächste Strecke einzuschießen, tut er das sonntags. Weil da bei binderholz nicht gearbeitet wird. Und er ist froh, dass seine Generation noch ein paar Jahre Zeit hat, bis sie das Unternehmen übernimmt. "Mein Cousin ist 35, meine Cousine 33. Mein Onkel und mein Papa wollen noch lange nicht in Pension gehen. Insofern ist da noch kein Druck, das Rennfahren zu beenden", sagt er.

Binder ist kein verwöhntes PlayStation-Kid, sondern ein geerdeter junger Mann mit klassischen Tiroler Werten, der sich eher mit Zillertaler Volksmusik als mit Gangsta-Rap identifizieren kann. Diese geerdete Grundhaltung zieht sich durch das Familienunternehmen, das von Binders Großvater Franz sen. 1950 zunächst als kleine Holzhandelsfirma gegründet wurde.

"Der normale Arbeiter redet heutzutage ja gar nicht mehr mit dem Chef. Das ist bei uns aber ganz anders", beschreibt Binder. "Wenn einer was braucht, klopft er bei meinem Papa an der Bürotür. Der braucht da keinen Termin. Wahrscheinlich kommt das daher, dass die Firma vor 60 Jahren von zwei Männern gegründet wurde. Sie ist dann stetig gewachsen - und war nicht schon immer so groß."

Irgendwann um die Jahrtausendwende ist es soweit, dass auf dem Firmengelände nicht nur die Sägen kreischen, sondern auch ein Kart-Motor. "Ich war neun Jahre alt, als ich das erste Mal richtig gefahren bin. Das hat mir sofort gefallen", sagt Binder über seine ersten Fahrten "in der Firma zwischen den Holzstapeln. Irgendwann bin ich Tiroler Meisterschaft gefahren, bei den Bambinis. Da war ich glaube ich zehn Jahre alt."

Großes Vorbild Michael Schumacher

Noch bevor seine eigene Karriere 2009 mit dem Aufstieg vom Kart ins Formel Masters so richtig losgeht, wird er vom Formel-1-Virus infiziert. 1998, 1999 - Alex Wurz hat bei Benetton gerade Gerhard Berger verdrängt - beginnt der kleine Bub, regelmäßig Formel 1 zu schauen. Im ORF, mit Heinz Prüller am Mikro. Später kommt mit Premiere Pay-TV ins Haus. Die meisten Rennen werden aufgezeichnet und zwei-, dreimal geschaut.

Großes Vorbild: Michael Schumacher. "Als Kind", sagt Binder, "bekommst du nur das Wesentliche mit. Und Schumacher war der dominierende Mann."

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Melanie und Rene Binder haben sich am 4. November in Tirol das Ja-Wort gegeben Zoom Download

Im Alter von etwa zwölf Jahren kommt er dann auch persönlich mit dem Motorsport in Berührung, als er "zwei-, dreimal pro Jahr" das Formel-3-Team von Vater Franz zu den Rennen begleiten darf. In der Formel 3 fahren Nachwuchstalente, die inzwischen das geschafft haben, was Binder noch schaffen möchte: "Sutil, Hamilton, Vettel, Hülkenberg, Rosberg - die habe ich alle verfolgt!"

Gestern schon, am 4. November, hat der 25-Jährige einen Meilenstein ganz anderer Natur gesetzt. Mit seiner Freundin Melanie ging er den Bund fürs Leben ein. Die bekommt ihren Rene aufgrund seiner Doppelkarriere zwar weniger zu Gesicht, als sie sich wünschen würde, "aber das haut ganz gut hin bei uns", lächelt der Bräutigam.

Fehlt eigentlich nur noch der Formel-1-Testvertrag zum großen Glück. Und vielleicht, wer weiß, bald die dritte Generation Rennfahrer-Binders. Zumindest so viel Zeit sollte neben Rennfahren und Familienimperium noch bleiben ...

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