Maurizio Arrivabene: Der Anti-Teamchef
Maurizio Arrivabene im Porträt: Was dem Ferrari-Teamchef in der Formel 1 gegen den Strich geht und wie er es mit unkonventionellen Mitteln schaffte, Ferrari zu einen
(Motorsport-Total.com) - Er provoziert gerne. Er sitzt auf dem Schleudersitz der Formel 1. Und er hat davor noch nie für einen Rennstall gearbeitet. Maurizio Arrivabene besitzt alle Ingredienzien, um nach seiner überraschenden Nominierung zum Ferrari-Teamchef Ende 2014 ähnlich rasch wieder aus dem Fahrerlager bugsiert zu werden.
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Die Zigarette darf nicht fehlen: Arrivabene ist der untypischste Teamchef der Formel 1 Zoom Download
Zumal sich der Mann aus dem norditalienischen Brescia sogar schon mit Formel-1-Boss Bernie Ecclestone angelegt hat. Und in der Königsklasse des Motorsports galt stets das Gesetz: Wer den Zampano zum Feind hat, dessen Tage sind bald gezählt. Der 84-jährige Brite stichelte gegen den Kette rauchenden Architektur-Studienabbrecher, der zuletzt für den Tabakkonzern Philip Morris gearbeitet hat, dass dieser bestenfalls "für sich selbst eine Persönlichkeit" sei, "aber nicht für die Formel 1".
Wortgefechte mit Ecclestone
Ein Tritt, den sich der 58-Jährige nicht gefallen ließ: "Soll er mir doch meinen Pass wegnehmen", ließ Arrivabene Ecclestones Aussagen von sich abprallen. "Es ist okay, wenn er mich nicht mag. Wegen ihm werde ich mich nicht ändern. Einerseits wünscht er sich mehr Persönlichkeiten, andererseits gefällt es ihm dann nicht."
Vor Jahren hätte sich Arrivabene damit noch in Teufels Küche gebracht, doch die Zeiten haben sich geändert: Ecclestones Einfluss ist inzwischen gesunken, und in der Formel 1 muss man längst kein "Petrolhead" mehr sein, um einen Rennstall führen zu können. Das hat vor ihm bereits Flavio Briatore bewiesen.
"Und auch Eddie Jordan, den ich schon lange kenne, war ein richtiger Rock'n'Roll-Teamchef", wirft der Italiener gegenüber 'Reuters' ein. "Er war immer ganz er selbst - inner- und außerhalb des Fahrerlagers." Eine Philosophie, die auch Arrivabene für sich vereinnahmt hat, wie er gegenüber 'Formula1.com' klarstellt: "Ich will eine Sprache sprechen, die nicht zu akademisch ist, und ganz ich selbst sein. Ich finde es lächerlich, wenn Teamchefs manchmal wie Ingenieure sprechen."
Warum Arrivabene lieber kein Ingenieur ist
Ein Seitenhieb auf Leute wie McLaren-Boss Ron Dennis, der sich in vielen Jahrzehnten vom kleinen Mechaniker zum Manager hochgearbeitet hat. Und mit seiner bewusst technokratischen Sprache - im Fahrerlager als "Ron-Speak" bekannt - schon so manchen Reporter entnervt hat.
Doch nicht nur die Sprache unterscheidet Arrivabene von den meisten Fahrerlager-Stammgästen. Auch die Herangehensweise - und darauf ist er durchaus stolz: "Wenn man zulässt, dass sich die Ingenieure austoben, dann ist man schnell bankrott. Diesbezüglich ist es viel besser, wenn man kein Ingenieur ist." Vielmehr brauche man als Teamchef "einen Rundumblick, einen klaren Eindruck, was vor sich geht, und eine gute Balance zwischen der technischen Seite und dem Budget."
Wie Arrivabene Ferrari einte
Und man muss dafür sorgen, dass das bei Ferrari inflationär gebrauchte Wort Leidenschaft nicht bloß ein Lippenbekenntnis ist. Genau das scheint Arrivabene, der mit allen per Du ist, gelungen: Während sein überforderter Vorgänger Marco Mattiacci meist mit dunkler Sonnenbrille und Notizblock in der Ferrari-Box stand und einen unnahbaren Eindruck machte, klopft Arrivabene seinen Mechanikern immer wieder auf die Schulter und gibt sich zugänglich.
Der neue Teamgeist in Maranello wirkt sich sogar auf die Fahrer aus: Während Sebastian Vettel mit seiner umgänglichen Art als Nachfolger des kritisierenden Fernando Alonso eine Wohltat für das Team ist und nach seinem Sieg in Malaysia mit den Mechanikern die Box aufräumte, packt auch Kimi Räikkönen schon mal gemeinsam mit seiner Crew an, wenn beim Auto was nicht passt. Und lobt: "So gut war die Atmosphäre im Team noch nie."
Eine Aussage, die Gewicht hat, denn der Finne holte 2007 gemeinsam mit der Scuderia den bislang letzten WM-Titel und gilt als überaus sensibel. Demnach hat Arrivabene in Maranello bereits sein erstes Ziel erreicht. Denn die größte Schwäche, die er nach seiner Bestellung zum Teamchef bei Ferrari ausmachte, war "der Teamgeist. Ich sah ein gespaltenes Team. Die meisten Leute agierten sehr defensiv, und ich habe das Team nicht wiedererkannt. Meine erste Aufgabe war es also, das Team wieder zu einen."
Der beste Job Italiens
Kein Wunder, dass Arrivabene neben "harter Arbeit" einen "netten Umgang mit den Leuten, wenn sie es verdienen", bei seinem Vorhaben, Ferrari an die Spitze zurückzubringen, als wichtigste Eigenschaften nennt.
Obwohl es ihm in Malaysia schon beim zweiten Saisonrennen gemeinsam mit Vettel gelungen ist, den ersten Sieg einzufahren, ist der Aufwind inzwischen etwas abgeflaut: Seitdem hatte Ferrari bloß in Bahrain wegen der Mercedes-Bremsprobleme eine Chance auf den Sieg, bei allen anderen Rennen sah man gegen die Silberpfeile kein Land.
Er zögerte keine Sekunde: "Wir haben nicht einmal über den finanziellen Aspekt gesprochen." Und am Ende scheint er die nötige Gelassenheit mitzubringen, um der Aufgabe gewachsen zu sein und es auf dem heißen Stuhl auszuhalten: "Wenn man für eine Sekunde den medialen Druck wegnimmt, dann handelt es sich um den besten Job der Welt. Natürlich spüre ich die Verantwortung, aber wenn man sich auf seinen Job konzentriert, dann ist ein Stuhl nur ein Stuhl. Er kann angenehm sein oder nicht. Es hängt davon ab, wie man arbeitet - und wie man sitzt."
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Zudem ist ihm bewusst, dass die Formel 1 bestenfalls die wichtigste Nebensache der Welt ist. Und genau diese Einstellung fehlt ihm bei manchen seiner Kollegen. Er verweist auf ein Erlebnis im Jahr 1990 beim Grand Prix von Deutschland in Hockenheim, als in der Hospitality Bilder eines leidenden Kindes im Bosnien-Krieg über den Fernseher flimmerten.
"Ich habe hingeschaut, aber alle machten ganz normal weiter", erinnert er sich. "Sie haben kurz aufgeschaut und redeten dann weiter: 'Erinnerst du dich noch an Piquets Jahr?' Ich habe mich gefragt, in welcher Welt sie eigentlich leben." Heute ist er zwar Ferrari-Teamchef, aber er meint immer noch: "Es gibt einen großen Unterschied zwischen deinem Job und dem Leben. Wenn ich in den Nachrichten mitbekomme, was auf der Welt passiert, dann habe ich einen schlechten Tag."
Der Blick über den Tellerrand ist Arrivabene überaus wichtig und erdet den Italiener: "Ein bisschen kulturelles Interesse für die Dinge, die um einen herum passieren, würde ich jedem empfehlen - Leute, die Probleme haben, den Monat zu überstehen, Filme, Musik, Bücher. Ich finde es extrem langweilig, wenn man weiter über die Formel 1 spricht, wenn man die Rennstrecke verlassen hat."