Coulthard zu Norris: "Beim Poker heulst du auch nicht über schlechte Karten"
David Coulthard empfindet die öffentlich zur Schau gestellte Selbstkritik von Lando Norris als "unangenehm" - Sebastian Vettel indes lobt ihn dafür als "echtes Vorbild"
(Motorsport-Total.com) - An Lando Norris scheiden sich dieser Tage im Fahrerlager die Geister: Während McLaren-Teamchef Andrea Stella seinen Schützling für dessen ausgewachsene Selbstkritik zuletzt in Bahrain verteidigte, kritisierte so mancher Experte, wie etwa Ralf Schumacher, den Briten für seine anhaltende Selbstgeißelung.

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David Coulthard hält nicht viel von Lando Norris' ständig geäußerter Selbstkritik Zoom Download
Mit David Coulthard legt in der Causa nun ein weiterer Ex-Formel-1-Pilot gegen Norris nach. Bei Channel 4 sagt der Schotte: "Ehrlichkeit in allen Ehren, aber das ist die vorderste Front im Kampf mit deinen Konkurrenten - und damit gibst du ihnen einen Wettbewerbsvorteil."
Coulthard zieht einen markanten Vergleich: "Beim Poker kriegst du auch nicht eine starke Hand, und beginnst zu grinsen - oder schlechte Karten, und fängst an zu heulen." Der ehemalige McLaren-Pilot geht sogar noch einen Schritt weiter und bezeichnet Norris' Verhalten als "unangenehm".
Coulthard über Norris: "Es ist unangenehm"
"Es ist unangenehm, weil er ein brillanter Rennfahrer ist und aktuell die Weltmeisterschaft anführt", findet der 54-Jährige, der die Situation um Norris folglich weitaus weniger dramatisch einschätzt als der Brite selbst: "Es ist nur ein kleiner Aussetzer in einer ansonsten sehr vielversprechenden und hart umkämpften Saison", glaubt Coulthard.
Allein: Norris hat durchaus auch Fürsprecher in Bezug auf sein offenes und transparentes Verhalten. So widerspricht etwa Sebastian Vettel der Meinung Coulthards, denn für den Deutschen ist McLarens WM-Führender "ein echtes Vorbild". Dass sich ein Rennfahrer auch mal verletzlich zeige, sei "eine positive Entwicklung, weil wir normale Leute sind. Wir haben normale Probleme wie jeder andere auch", erklärt der Heppenheimer gegenüber Reuters.
"Heldentum ist gut, aber zum Heldentum gehört es auch dazu, über seine Probleme und Schwächen zu sprechen. Deshalb finde ich es eine großartige Entwicklung, die man da beobachten und miterleben kann, das sind echte Vorbilder", so Vettel. In Bezug auf das Zeigen von Emotionen fügt er an: "Ich denke nicht, dass es ein Zeichen von Schwäche ist."
Vettel lobt Norris für "den Mut, den er aufbringt"
Zwar ist sich der viermalige Weltmeister bewusst: "Es mag von einigen Leuten kritisiert werden, aber wenn man das Gesamtbild betrachtet, ist es meiner Meinung nach ein Fortschritt." Schließlich hätte jeder Selbstzweifel: "Die hatte ich, die hat wahrscheinlich auch Lewis [Hamilton], die hatten auch andere Generationen vor uns. Man hat die aber nicht geäußert."
Dass Norris deshalb teilweise hart kritisiert wird, empfindet der Deutsche als unangebracht: "Es ist ein Zeichen von Stärke, dass Lando sich so öffnet. Ich finde es schade, wenn man ihn deswegen angreift oder ihm unterstellt, dass er angreifbarer ist. Man sollte den Wandel hervorheben und den Mut, den er aufbringt, sich so zu öffnen."
In Bezug auf das Sportliche und die WM, hat Vettel Norris jedenfalls auch weiterhin ganz oben auf dem Zettel: "Ich würde Lando nach wie vor als indirekten Favoriten sehen, aber die Zeit wird es zeigen", erklärt der 37-Jährige vor dem Großen Preis von Saudi-Arabien. Dass der teaminterne Kampf mit Oscar Piastri bei McLaren schon bald eskalieren könnte - aktuell trennen die beiden nur drei Punkte - erwartet Vettel allerdings nicht:
"Natürlich suchen die Menschen immer nach Unterhaltung, was auch völlig in Ordnung ist und Teil des Sports. Aber ich glaube nicht, dass die beiden eine wirklich hitzige oder harte Teamdynamik entwickeln werden. Ich denke, sie werden gut miteinander auskommen und Andrea ist auch gut in der Lage, sie zu managen."
Ausgerechnet mit Piastris Manager Mark Webber erlebte Vettel bei Red Bull seinerzeit selbst einen heißen teaminternen Kampf - grundsätzlich glaubt der Deutsche aber: "Die Rivalitäten sind heutzutage einfach anders. Auch wir hatten Respekt füreinander, und ich denke, diese Generation hat ebenfalls Respekt - aber sie sind in der Lage viel besser zu trennen, was passiert auf der Strecke, und was abseits davon."
Dass Piastri - dem im Gegensatz zu Norris eine gewisse Ruhe und Kaltschnäuzigkeit nachgesagt wird - nach seinen zwei Siegen zuletzt in China und Bahrain aber in Sachen WM-Duell keine Gefangenen machen wird, das unterstreicht der Australier vor dem nächsten Auftritt in Dschidda selbst noch einmal - und bringt sich mit selbstbewussten Aussagen schon mal in Position:
Piastri stellt klar: Situation 2025 "eine ganz andere"
So erklärt Piastri, dass die Saison 2025 mit dem Vorjahr keineswegs mehr zu vergleichen sei, weil McLaren anno 2024 aufholen musste, und der Fokus vor allem auf der Konstrukteurs-WM lag: "Dieses Jahr ist die Situation eine ganz andere", sagt der Australier: "Wir befinden uns in einer deutlich besseren Ausgangslage. Wir haben bereits einen ordentlichen Vorsprung in der Konstrukteurswertung - und zusätzlich kämpfen wir beide um den Fahrertitel."
"Ich erwarte deshalb, dass wir beide die gleiche Chance und das gleiche Auto bekommen, damit wir um den Titel kämpfen können", so Piastri. Dass etwa, wie im Vorjahr teilweise geschehen, ein Auto neue Teile früher kriegt als das andere, erwartet der 24-Jährige aufgrund des deutlich größeren Puffers auf die Konkurrenz diese Saison nicht mehr, sagt: "Ich denke, das kriegen wir als Team hin."
In Bezug auf das gleichwertige Material, und die damit unweigerlich verknüpften extrem engen Abstände zwischen den beiden Teamkollegen, verrät Piastri auch, dass ein wichtiger Teil des Rennens für ihn mittlerweile schon am Samstag steigt: "Das Qualifying ist unglaublich wichtig, auch unabhängig von den internen Dynamiken im Team, wie etwa Vorlieben beim Boxenstopp oder allem, was da noch so dranhängt." Der Grund liege auf der Hand: "Die Bedeutung von freier Fahrt ist einfach riesig."
"Deshalb willst du immer möglichst weit vorne starten", sagt Piastri, "und wenn zwei Fahrer im selben Auto mit sehr ähnlicher Pace unterwegs sind, ist jeder kleine Vorsprung ein großer Vorteil. Ein gutes Qualifying wird also entscheidend", so der McLaren-Pilot, "wenngleich wir in der Vergangenheit gesehen haben, dass es auch noch andere Bereiche, in denen man den Unterschied machen kann - wenn man den Job gut genug macht."
Heißt in anderen Worten: Will Norris dieses Wochenende sportlich zurückschlagen, ist er am besten schon samstags mental dafür gewappnet...