Neue Windkanäle: Fallstricke und Vorteile für Red Bull und Aston Martin
Aston Martin und Red Bull setzen künftig auf neue, moderne Windkanäle - Warum das für die Entwicklung neuer Rennwagen sowohl Vorteil als auch Fallstrick sein kann
(Motorsport-Total.com) - Sowohl Aston Martin als auch Red Bull haben Zugang zu guten Windkanälen und haben in den letzten Jahren (zumindest im Fall von Red Bull) einige außergewöhnliche Rennwagen entwickelt. Doch wie wichtig sind Windkanäle für die Entwicklung der Autos - und was kann dabei auch schiefgehen?
© Motorsport Images
Red Bull und Aston Martin arbeiten künftig mit einem neuen Windkanal Zoom Download
Die Entscheidung, Millionen in einen neuen Windkanal zu investieren, ist ein kalkuliertes Risiko, denn eine neue Anlage ist keine Garantie für sportliche Leistungen. Wenn ein alter Windkanal gut genug ist, kann er mit neuen Technologien auf den neuesten Stand der Technik gebracht werden, ohne dass ein kompletter Neubau erforderlich ist.
Aber auch die rüstigsten Athleten, selbst diejenigen, die sich auf dem Zenit ihrer Disziplin befinden, beginnen irgendwann zu knacksen - und die Kosten für den Unterhalt eines alten Gebäudes steigen oft exponentiell.
Windkanal aktuell wichtiger denn je
Aston Martin und Red Bull haben sehr unterschiedliche Gründe, ihre Investitionsbudgets in neue Windkanäle zu stecken. Zum einen verlässt sich Aston Martin seit 2019 auf den Mercedes-Windkanal und ist seit der Übernahme durch Lawrence Stroll bestrebt, mit einem komplett eigenen Betrieb auf eigenen Beinen zu stehen. Andererseits spielte der im Bau befindliche Windkanal eine entscheidende Rolle bei der Verpflichtung von Adrian Newey.
Für Red Bull ist der neue Windkanal hingegen ein Teil der Modernisierungsbemühungen. Zwar wurde die Anlage in Bedford - laut Teamchef Christian Horner ein "Relikt aus dem Kalten Krieg" - ständig weiterentwickelt, um sie auf dem neuesten Stand zu halten, doch nun war man offenbar der Meinung, dass ein Neubau die bessere Lösung für die Zukunft sei.
Der ehemalige Formel-1-Konstrukteur und Aerodynamiker Jean-Claude Migeot, der im Laufe seiner langen Karriere an der Entwicklung zahlreicher Windkanäle beteiligt war, ist der Ansicht, dass das aktuelle Reglement den Schwerpunkt noch stärker auf dynamische Testmöglichkeiten im Windkanal gelegt hat.
Dies sei mit der herkömmlichen Anordnung von Kraftmessgeräten und Rollenprüfstand nicht zu erreichen. Aufgrund der begrenzten Möglichkeiten ihrer Windkanäle bemerkten die Teams die Komplikationen des Bouncings und des Porpoising erst während der offiziellen Testfahrten zum Saisonstart 2022.
Umbau kostet wertvolle Zeit
"Der einzige gute Grund, den ich sehen kann, ist die komplette Änderung des Modellsystems. Wenn man das im Windkanal macht, steht die Anlage drei Monate still, und das ist nicht vernünftig, vor allem, wenn man an der Spitze steht."
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"Wenn man Letzter ist, kann man es sich leisten, eine weitere Saison Letzter zu sein. Aber wenn man kämpft, will man das nicht. Die einzige Lösung ist, einen anderen Windkanal zu mieten oder den eigenen aufzurüsten. Die große Neuerung in der Aerodynamik ist heute die Instabilität bei hohen Geschwindigkeiten und die Wechselwirkung mit der Aufhängung. Wenn man das im Windkanal nicht hat, will man es haben."
"Es ist eine große Investition, aber wenn man reich ist, ist es der richtige Weg", meint Migeot. "Es geht um das Nicken und Wanken bei einer Geschwindigkeit, die diese Kräfte erzeugen kann. Das derzeitige System, das alle benutzen, ist elektrisch und zu langsam, weil es dafür nicht ausgelegt ist."
"Für statische Tests oder kontinuierliche Messungen ist es perfekt. Aber wenn es um Millimeter pro Sekunde geht und man das Modell mit 10 Hz rütteln will, um bestimmte Zahlen anzuzeigen, kann man das nicht mit einem elektrischen System machen. Dann muss man auf Hydraulik umsteigen. Und das ist eine große Veränderung im Tunnel."
Genauigkeit der Windkanäle entscheidend
Wenn das Reglement für 2026 hält, was es verspricht, nämlich die Bedeutung des Venturi-Effekts zu reduzieren, wird die Investition in die dynamischen Tests nicht mehr unbedingt oberste Priorität haben. Dies hängt weitgehend davon ab, wie sich die vom Team beeinflussten Änderungen im nächsten Reglement entwickeln.
Nach der Phase der Inbetriebnahme kann mit der Kalibrierung der neuen Windkanäle begonnen werden. Dazu wird in der Regel ein Modell verwendet, für das im alten Windkanal bereits Daten gesammelt wurden, die mit den gleichen Daten im neuen Windkanal verglichen werden.
Die Genauigkeit der beiden Windkanäle kann unterschiedlich sein, und natürlich stellt sich die Frage der Korrelation erneut, wenn der alte Windkanal falsche Messwerte geliefert hat. Das wäre ein weiterer Bereich, mit dem sich die Teams befassen müssen. Migeot sagt, dass selbst zwei identische Windkanäle (er verweist auf seine eigenen Projekte bei Aerolab und Fondtech) sehr unterschiedliche Datensätze liefern können.
In der letzten Phase werden alle alten Upgrades im Windkanal durchgespielt, um zu sehen, ob die Daten übereinstimmen, und um vielleicht herauszufinden, warum ein aerodynamisches Konzept nicht funktioniert hat, falls der neue Windkanal dies zulässt.
Erfolg liegt immer noch am Team
"[Aston Martin] hat wahrscheinlich ein Korrelationsmodell und sie haben ihre alten Daten von Mercedes", fügt Migeot hinzu. "Und Sie wollen wissen, wie groß der Unterschied ist; ist der Unterschied in der Monza-Konfiguration der gleiche wie in der Monaco-Konfiguration? Auch das braucht Zeit."
"Aber wenn es gut ist, kann man sein Entwicklungsprogramm schnell vorantreiben und auf die Strecke bringen. Von da an wird man jedes Jahr Korrelationssitzungen auf der Strecke durchführen. Die Einrichtung eines neuen Tunnels ist also eine große Aufgabe."
Letztlich, so Migeot, kann ein neuer Windkanal ein Team nicht beeinflussen. Er kann mehr Spielraum mit Simulationstools bieten oder dabei helfen, die klaren Vor- oder Nachteile einer neuen Upgrade-Lösung zu erkennen. Aber es liegt an den Leuten im Aerodynamikteam, die neuen Einrichtungen zu verstehen und die Daten richtig zu interpretieren, damit sie in das nächste Projekt einfließen können.
Das ist die eigentliche Herausforderung für Aston Martin und Red Bull in der nahen Zukunft. Es ist großartig, über hochmoderne Anlagen zu verfügen, aber wenn sie nur zu einem Zehntel genutzt werden, sind sie nicht effizient. Und wenn ein Team es richtig macht, wird der spürbare Schub eines neuen Windkanals sicher mehr sein als nur heiße Luft ...