"Ich bin kein Roboter": Wie Oscar Piastri in der Formel 1 seinen Traum lebt

Oscar Piastri hat sich in die Liste der Grand-Prix-Sieger der Formel 1 eingetragen - Der Australier hat über sein Leben abseits des Rennsports gesprochen

(Motorsport-Total.com) - Es scheint wie gestern, als McLaren und Alpine um die Unterschrift des damals 21-jährigen Formel-2-Champions kämpften. Das war im Sommer 2022 und Oscar Piastri galt schon damals als einer der wertvollsten Rohdiamanten auf dem Fahrermarkt. Zwei Jahre und 35 Rennen später hat es Oscar Piastri in die Formel 1 geschafft.

Oscar Piastri lebt seinen Traum als Formel-1-Fahrer

In Ungarn machte er den ersten McLaren-Doppelsieg seit 2012 perfekt. In seinen 18 Monaten als Formel-1-Fahrer hat Piastri sein Talent immer wieder unter Beweis gestellt und es geschafft, sich an die Fersen von Lando Norris zu heften, der bei McLaren das Maß aller Dinge ist. Er holte wichtige Punkte, fuhr immer wieder aufs Podium und katapultierte sein Team in den Meisterschaftskampf mit Red Bull.

Doch Piastri ist kein Mann, der sich außerhalb der Formel 1 in den Vordergrund drängt. Genau das ist sein Stil: Er fliegt unter dem Radar und behält sein Privatleben für sich. Mit 14 Jahren zog er nach Großbritannien, um seinen Traum vom Formel-1-Fahrer zu verwirklichen.

"Ich bin mit meinem Vater für die ersten sechs Monate dorthin gezogen, als ich fast 15 war", erzählt Piastri in einem Exklusiv-Interview mit Autosport, einer Schwesterplattform von Motorsport-Total.com im Motorsport Network.

"Das war im Januar und im Juli oder August sagte er: 'Ich gehe zurück nach Australien, um mit unserer Familie zu leben. Du kannst mitkommen oder hier bleiben. Aber wenn du hier bleibst, musst du in ein Internat.' Ich liebte den Rennsport in Europa und wollte unbedingt meinen Traum verwirklichen, Formel-1-Fahrer zu werden. Ich wusste, dass ich bleiben musste."

Unter dem Radar zu bleiben, ist für Formel-1-Neulinge nichts Neues, denn die Rennserie verlangt den Talenten einiges ab: Sie müssen die Leistung bringen und den anspruchsvollen Kalender mit 24 Rennen unter einen Hut bringen. Dazu kommen die Zeit in der Fabrik und die Marketingprogramme, die sie durchlaufen müssen.

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Die Fans vor dem Fernseher könnten es sich leicht machen und Piastri als langweilig bezeichnen. Auch wenn er nicht so extrovertiert ist wie ein Daniel Ricciardo, hat er seinen trockenen Humor schon unter Beweis gestellt - vor allem am Funk mit seinem Team. Piastri kommt aus sich heraus, gibt Interviews und kritisierte in Österreich auch die Track-Limit-Situation.

Erst Fahrer, dann Promi

"Ich genieße das Fahren", sagt Piastri über seinen persönlichen Fokus. Natürlich sei er auch eine Person des öffentlichen Lebens, aber das sei nicht direkt sein tägliches Brot. "Ich habe einige Dinge außerhalb der Formel 1 gemacht, aber ich will die bestmöglichen Ergebnisse erzielen. Deshalb möchte ich nicht wirklich abgelenkt werden, egal auf welche Art und Weise."

"Vergangenes Jahr war meine erste komplette Saison. Ich will mich nicht mit anderen Dingen überfordern", sagt er. "Ich werde älter und reifer, dann werde ich sicher herausfinden, was ich neben der Formel 1 noch gerne mache."

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Auf die Frage, ob er etwas verpasst habe, weil er so aufgewachsen ist, antwortet er: "Ja, ein bisschen schon. Ich bin nicht zur Universität gegangen, da habe ich sicher einiges verpasst. Aber ich wusste, dass ich etwas verpassen würde und dass ich keinen anderen Weg gehen konnte. Ich habe meinen Traumjob und die Chancen, ihn zu bekommen, sind sehr gering. Es hat sich gelohnt und ich möchte nichts daran ändern."

Piastri verzichtete auf vieles

Piastri stellt klar: "Wenn du solche anderen Dinge machen willst, dann mach sie, aber dann kannst du kein Formel-1-Fahrer sein." Mit seinem Landsmann Mark Webber hat Piastri einen erfahrenen und einflussreichen Formel-1-Fahrer als Manager an seiner Seite. Er weiß, wie es ist, für eine Karriere von Australien um die Welt zu ziehen.

Oscar Piastri wollte schon immer Formel-1-Fahrer werden

"Es hat mir geholfen, dass er einen ähnlichen Weg gegangen ist", sagt Piastri. "Ich habe seine Bücher gelesen und es war großartig, dass er das getan hat und mich führen konnte. Gerade als ich in der Formel 2 war, musste ich alles schnell durchgehen, wenn ich in die Formel 1 wollte. Es war nicht so extrem wie bei Mark, der einen schwierigen Weg in die Formel 1 hatte."

"Zu wissen, was es braucht, um in der Formel 1 zu bleiben, das war der Schlüssel in unserer Beziehung", fährt Piastri fort. "Statt 30 hast du jetzt 1.000 Leute, die das Auto entwickeln. Du fährst gegen Gegner mit fünf bis 20 Jahren Erfahrung, andere haben zwei oder drei Jahre Erfahrung. Da passiert viel, und das hat mir sehr geholfen."

Fans machen einen wichtigen Teil aus

Wie sein Teamkollege Norris ist Piastri ein zurückhaltender Sportstar, aber sein erster Sieg wird ihm helfen. Dennoch sagt er, dass er immer noch lernt, wie es ist, introvertiert zu sein und gleichzeitig im Rampenlicht zu stehen.

Immer wieder muss er sich kneifen, um zu verstehen, was er erreicht hat

"Natürlich machen die Fans den Sport erst möglich. Deshalb ist es wichtig, sie zu schätzen und Zeit mit ihnen zu verbringen", erklärt er. "Aber das ist mein Job, und manchmal kann es schwierig sein, die richtige Balance zu finden. Es ist nicht so schwierig, aber es gibt nicht viele Orte, wo man hingehen kann, ohne erkannt zu werden."

"In den ersten sechs Monaten flog ich halb unter dem Radar", erinnert er sich. "Als wir auf dem Podium standen, änderte sich mein Leben ein wenig mehr, aber ich gewöhne mich immer mehr daran. Ich bin kein Roboter."

Ruhig und besonnen, aber kein Roboter

Wenn es Charaktereigenschaften gibt, die im Fahrerlager und auch in seinem eigenen Team beeindrucken, dann sind es sein selbstbewusstes Auftreten und seine Gelassenheit. Wenn es gut läuft, bleibt er am Boden, wenn es schlecht läuft, lässt er sich nicht unterkriegen.

"Das ist ganz natürlich für mich, aber ich mache es auch bewusst", erklärt er. "Ich weiß, dass ich sehr ruhig aussehe, aber ich bin kein Roboter. Ich habe auch meine Höhen und Tiefen und meine Gedanken. Vielleicht fällt es mir leichter als anderen, denn jeder ist anders. Manchen geht es besser unter Druck, anderen geht es besser, wenn sie so entspannt wie möglich sind."

"Ich bin eher auf der entspannten Seite, aber es gibt auch die Situation, zu entspannt zu sein", erklärt der Youngster. "Ich muss einfach die richtige Balance finden und es ist wichtig zu verstehen, was für einen individuell funktioniert. Ja, es gibt den Radio-Knopf, aber wenn du ihn nicht drückst, kannst du auch nichts sagen."

Immer wieder muss er sich kneifen

Piastri hat bereits einen Grand Prix gewonnen, einen Sprint für sich entschieden und mehrere Podiumsplätze erobert. Das Leben des Australiers ist schneller geworden als vor fünf Jahren, als er noch im Formel-Eurocup fuhr. Noch heute erlebt der 23-Jährige Momente, in denen er sich kneifen muss, um zu begreifen, wie weit er gekommen ist.

Mit McLaren hat es Oscar Piastri zum Formel-1-Sieger geschafft

"Wenn man mitten in der Saison ist, wird es normal und man vergisst es ein bisschen", sagt er. "Aber es gibt Momente, die mich daran erinnern, dass ich vom anderen Ende der Welt gekommen bin, um Kart zu fahren. Jetzt laufe ich als Formel-1-Fahrer durch die Straßen von Monaco. Das war ein wirklich cooler Moment."

"Ich weiß, wie viel Glück ich habe, dass ich diesen Beruf ausüben kann, denn es gibt Hunderte, wenn nicht Tausende, die es versuchen, aber scheitern", erklärt Piastri. "Es gibt Zehntausende, die nicht einmal die Chance haben, es zu versuchen. Deshalb kneife ich mich immer wieder, um zu verstehen, wie cool es ist. Es kann sehr anstrengend sein, aber ich habe den coolsten Job der Welt."

Wenig Zeit für die Familie

Aber es gibt auch Schattenseiten: "Ich komme aus Australien und wegen der Zeitverschiebung und der Entfernung habe ich in acht Jahren nur sechs oder sieben Monate mit meiner Familie verbracht. Das waren harte Entscheidungen, aber die Opfer haben sich gelohnt. Ich mache jetzt das, was ich liebe, und das macht die schwierigen Zeiten wirklich einfacher."

In seiner Karriere war Piastri mit McLaren immer wieder nah dran am ganz großen Wurf, nun hat er in Ungarn den Durchbruch geschafft, auch wenn es etwas gedauert hat. Trotzdem scheint sich der 23-Jährige seit seinem Formel-1-Debüt vor 18 Monaten nicht verändert zu haben. "Natürlich fühle ich mich besonders, aber ich versuche immer, etwas daraus zu machen", sagt er.

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"Einige Podestplätze waren besser als andere, und einige Rennen, in denen ich Siebter oder Achter wurde, waren besser als solche, in denen ich Dritter oder Vierter wurde", erklärt er. "Ich habe den Sieg unmittelbar danach sehr genossen, aber das ist meine Persönlichkeit. Wie viele andere Fahrer bin ich sehr selbstkritisch."

"Wir denken immer darüber nach, was wir hätten besser machen können, auch nach einem Sieg", sagt Piastri. Der 23-Jährige will auf dem Boden bleiben und nicht abheben. In Spa hat McLaren die nächste Chance, den Rückstand auf Red Bull in der Konstrukteurswertung zu verkürzen, dann geht es für die Teams in eine kurze Sommerpause. Am Ende geht es in der Formel 1 immer um den Sieg und das nächste Rennen.