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Ayrton Sennas Tod in Imola 1994: Anatomie eines Falls
Ayrton Sennas Todessturz von Imola jährt sich am 1. Mai zum 30. Mal: Das Protokoll einer Katastrophe, das sich liest wie ein albtraumhaftes Drama in fünf Akten
(Motorsport-Total.com) - Es ist ungewöhnlich heiß für einen 1. Mai, an jenem verhängnisvollen Tag in Imola vor 30 Jahren: Es liegt etwas in der Luft, führt irgendwie unausweichlich auf diesen einen bestimmten Moment hin, in dem sich die Teilchen verdichten ... ehe alles implodiert: Am Abend des schwärzesten Tages in der Geschichte der Formel 1 hat die Königsklasse ihren wohl größten Helden verloren: Ayrton Senna.
Triggerwarnung: Der folgende Text enthält detaillierte Darstellungen von Verletzungen und der traumatischen Erlebnisse beteiligter Personen und Augenzeugen des Dramas in Imola am 1. Mai 1994.
Der Unfall
Pünktlich um 14:00 Uhr führt Formel-1-Superstar Ayrton Senna, zum damaligen Zeitpunkt der einzig verbliebene Weltmeister im Grand-Prix-Sport, das Feld in die Formationsrunde zum Großen Preis von San Marino 1994. Knapp zwei Minuten später verteidigt er beim Start seine Poleposition, doch weiter hinten kommt es zu einem Unfall. Lotus-Pilot Pedro Lamy knallt ins Heck des nicht vom Fleck gekommenen Benettons von JJ Lehto: Safety-Car.
Um 14:15 Uhr erfolgt nach den Aufräumarbeiten auf der Start-Ziel-Geraden die erneute Rennfreigabe: Senna setzt sich als Führender direkt mit der schnellsten Runde vom Feld ab.
Exakt um 14:17 Uhr schießt sein blau-weißer Williams zu Beginn der siebten Rennrunde am Ende der Tamburello-Kurve geradeaus von der Strecke und schlägt mit der rechten Front hart in die Betonmauer ein. Senna kann das Auto vor dem Einschlag noch um fast 100 km/h auf 211 km/h abbremsen.
Die Erstversorgung
Während das Wrack am Streckenrand austrudelt, macht sich das Medical-Car mit Formel-1-Chefarzt Sid Watkins an Bord auf den Weg zur Unfallstelle und trifft dort um 14:18 ein. Zu diesem Zeitpunkt sind bereits die Ersthelfer vor Ort und stabilisieren Sennas Kopf. Da sichtbar Blut aus Sennas Helm läuft, ist sofort klar, dass es sich um eine schwere Kopfverletzung handelt.
Watkins schneidet den Kinnriemen durch und entfernt mit seinen Helfern vorsichtig den gelben Helm Sennas. Den Medizinern bietet sich ein grauenvolles Bild: Sennas Stirn weist schwere Verletzungen auf, zudem rinnen Blut und Gehirnflüssigkeit aus der Nase des Brasilianers. Watkins sichert mit einem Schlauch in Sennas Mund zunächst die Beatmung und ruft nach einer Blutkonserve Typ B+. Wie später bekannt wird, verliert Senna durch eine geplatzte Schläfenarterie über vier Liter Blut.
Watkins öffnet Sennas geschlossene Augenlider: "Ich konnte durch seine neurologischen Zeichen sofort sehen, dass es sich um eine massive Gehirnverletzung handelte. Es war klar, dass er nicht überleben konnte", erinnert sich Watkins später. Dennoch kämpfen die Mediziner gegen das Unvermeidliche, heben Senna aus dem Cockpit und legen ihn neben den zerschellten Williams auf den Boden.
"Als wir das taten, atmete er tief aus. Und obwohl ich nicht gläubig bin, hatte ich in diesem Moment das Gefühl, dass seine Seele den Körper verlassen hatte", erklärt Watkins im Nachhinein. Die Ärzte intubieren Senna und legen diverse intravenöse Zugänge, um ihn irgendwie zu stabilisieren: Anschließend hat der Brasilianer zumindest einen schwachen Puls für den Abtransport.
Watkins lässt per Anweisung das Maggiore-Krankenhaus in Bologna informieren und die dortige Intensivstation vorbereiten, gleichzeitig rückt am Unfallort der Hubschrauber an. Watkins selbst bleibt an der Strecke, im Wissen nichts mehr für Senna tun zu können - er schickt aber Spezialist Dr. Giovanni Gordini aus dem Team des Medical-Centres zur Begleitung mit in den Rettungshubschrauber.
Hinter den Kulissen
Während Senna gegen 14:35 Uhr in den Heli geladen wird, erreicht FIA-Presseoffizier Martin Whitaker Watkins am Funk für ein erstes Update. Dabei kommt es zu einem folgenschweren Missverständnis: Wegen der schlechten Funkverbindung versteht Whitaker statt dem Wort "head" (Kopf) das Wort "dead" (tot). Er gibt die verfälschte Info sofort an Formel-1-Zampano Bernie Ecclestone weiter, der gemeinsam mit Sennas Bruder Leonardo da Silva im grauen Motorhome des Formel-1-Chefs im Fahrerlager auf Nachrichten wartet.
Ecclestone sieht keinen Grund, die Information vor da Silva zu verheimlichen und teilt ihm mit, dass sein Bruder verstorben sei, die offizielle Bekanntgabe aber erst nach Rennende erfolgen werde. Der Brasilianer verliert entsprechend die Fassung und interpretiert Ecclestones kühlen Umgang mit der Situation als Desinteresse und mangelnden Respekt.
Zwar kann das Missverständnis um die Wortverwechslung am Funk wenig später aufgeklärt werden, wodurch Leonardo wieder Hoffnung für seinen Bruder schöpft, die Nerven aller Beteiligten liegen da aber längst blank. Schließlich nimmt sich Sennas Physiotherapeut Josef Leberer Leonardos an und versucht ihn etwas zu beruhigen: Leberer erklärt ihm, dass sich sein Bruder in ernstem Zustand befinde, aber noch am Leben sei. Mit dieser Info ruft Leonardo dann auch bei der Senna-Familie in Brasilien an.
Ecclestone organisiert unterdessen einen Helikopter, mit dem Sennas Bruder, Leberer und Senna-Manager Julian Jakobi sich umgehend auf den Weg ins Maggiore-Krankenhaus machen können. Der Formel-1-Zampano macht sich selbst anschließend auf, um mit FIA-Präsident Max Mosley über das weitere Vorgehen in der Krisensituation zu beraten.
Kurz vor 15 Uhr Ortszeit kommt Sennas Wrack auf einem Laster im Parc ferme an und wird unter Aufsicht von Fabrizio Nosco in der Garage der Stewards abgeladen. Die Führungsetage des Williams-Teams hat durch Ecclestone bereits von den dramatischen Auswirkungen des Unfalls erfahren und Technikchef Patrick Head schickt deswegen zwei Mechaniker, die die Blackboxen des Autos einsammeln sollen. Technik-Kommissar Nosco verweigert ihnen jedoch den Zutritt.
Die Mechaniker holen daraufhin den FISA-Technikdelegierten Charlie Whiting dazu, der Nosco anweist, die Datenschreiber auszuhändigen, und beruft sich dabei auf Autorisierung durch den FIA-Sicherheitschef John Corsmit. Die Blackbox des Renault-Motors entfernt Nosco mit einer Zange direkt hinter dem Cockpit, die des Williams-Chassis im Heckbereich, wobei beide laut Noscos Einschätzung so aussehen, als hätten sie den Einschlag überstanden.
Zurück in der Williams-Garage macht sich Ingenieur Marco Spiga an die Auswertung der Daten, muss jedoch feststellen, dass der Verlust der Stromversorgung durch den Unfallschaden an den Verbindungsstücken der Box auch zum Verlust der Speicherdaten der Williams-Box geführt hat. Immerhin die Telemetriedaten der Renault-Box können noch ausgelesen werden und werden auf eine Diskette kopiert.
Mittlerweile mischt sich auch die lokale Polizei in die Angelegenheit ein und rückt noch vor Rennende zur Beschlagnahmung an, kassiert unter anderem auch Sennas Unfallhelm ein.
Im Krankenhaus
Auf dem Weg nach Bologna spielen sich in der Luft dramatische Szenen ab: Sennas Herz hört schon wenige Minuten nach dem Start in Imola zu schlagen auf, Dr. Gordini gelingt es jedoch den Herzschlag wiederherzustellen.
Gegen 15 Uhr Ortszeit landet der Hubschrauber vor dem Maggiore-Krankenhaus. Die wartenden Ärzte bringen Senna direkt auf die Intensivstation und nehmen erste Gehirnscans vor, die allerdings schnell Watkins' Diagnose von der Strecke bestätigen. Um 15:10 Uhr stoppt der Herzschlag erneut, wieder schaffen es die Ärzte Senna am Leben zu halten und schließen ihn anschließend an eine Herz-Lungen-Maschine an.
Unterdessen haben sich vor der Klinik längst Reporter und Fernsehcrews versammelt: Um 15:30 Uhr verliest Dr. Maria Tersea Fiandri, Leiterin der Intensivabteilung des Maggiore-Krankenhauses, eine erste klinische Bekanntmachung und berichtet der Presse von Sennas schweren Hirnverletzungen und seinem tiefen Koma. Ein weiteres Update wird für 18 Uhr Ortszeit angesetzt.
Nachdem das Rennen in Imola mittlerweile beendet ist, eilt neben Sennas Vertrauten auch Watkins per Helikopter nach Bologna ins Krankenhaus - und bekommt nach dem Eintreffen dort von seinen Kollegen die schlechten Ergebnisse der Gehirnscans mitgeteilt: Sennas Gehirn reagiert auf keinerlei elektrische Stimulation mehr.
Beim Anprall des Williams in Tamburello ist das rechte Vorderrad abgerissen und von der Mauer zurück in Richtung Cockpit katapultiert worden, wodurch Sennas Kopf mit enormer Wucht gegen die Cockpitwand schlägt und sich der Brasilianer multiple Frakturen der Schädelbasis zuzieht. Hinzu kommen massive Verletzungen im Stirnbereich und über dem rechten Auge, da Aufhängungsteile das Visier durchschlagen. Jede einzelne dieser drei Verletzungen wäre bereits singulär stark lebensbedrohend gewesen ...
Durch Sennas allgemein extrem hohes Fitnesslevel bleiben die weiteren Körperfunktionen des Brasilianers, wie etwa Herz und Lunge, zwar zunächst intakt - der Hirntot trat de facto aber bereits mit dem Aufprall um 14:17 Uhr ein.
Abschied
Während sich im Media-Center an der Strecke in Imola langsam die schlechten Nachrichten aus Bologna rumsprechen, und in Zeiten vor dem Internet die ersten Journalisten ungläubig damit beginnen, Nachrufe für die Zeitungen des nächsten Tages zu verfassen, ist Sennas intimster Zirkel, bestehend aus Ex-Teamkollege Gerhard Berger, den Freunden Antonio Braga und TV-Kommentator Galvao Bueno, sowie Landsmann und Fahrerkollege Christian Fittipaldi im Krankenhaus eingetroffen.
Auch das Trio Leberer, Jakobi und Senna-Bruder Leonardo wartet bereits neben dem Zimmer des Verunglückten. Gemeinsam mit Watkins teilen die Ärzte den drei verzweifelt Wartenden die Hoffnungslosigkeit der Situation mit. Während Manager Jakobi sich um den trauernden Leonardo kümmert, geht Leberer zu Senna ins Zimmer, um sich von seinem Freund zu verabschieden.
Wenig später wiederholt sich die gleiche Prozedur auch mit der Gruppe um Berger, denen Watkins ebenfalls die traurige Mitteilung machen muss, dass ihr Freund durch den Hirntod effektiv längst verstorben ist, und nur durch Maschinen künstlich am Leben gehalten wird, die wegen der italienischen Rechtslage auch vorerst nicht abgestellt werden können. Auch Berger geht daraufhin in Begleitung von Leberer zur Verabschiedung an Sennas Bett.
Unterdessen informiert Watkins telefonisch die Senna-Familie in Brasilien, dass ein bereits hektisch anlaufender Aufbruch per Charterflug nach Bologna zwecklos ist. Wenig später, gegen 18:05 Uhr, unterrichtet auch Dr. Fiandri, unter Verweis auf die rechtlich obligatorischen lebenserhaltenden Maßnahmen, in der nächsten klinischen Bekanntmachung die Presse, dass Senna klinisch tot sei. Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer und ist weltweit Aufmacher in den meisten abendlichen Nachrichtensendungen.
Auf Bitten von Sennas Mutter Neyde organisieren ihr Sohn Leonardo und das Krankenhaus einen Priester, der dem Brasilianer gegen 18:15 Uhr die letzte Ölung gibt. Als Sennas Herz um 18:37 erneut aufhört zu schlagen, nimmt das Team um Dr. Fiandri keinen erneuten Wiederbelebungsversuch vor. Nur drei Minuten später, um 18:40 Uhr, wird Ayrton Senna im Maggiore-Krankenhaus zu Bologna offiziell für tot erklärt.