Warum Mercedes 2023 "zu vorsichtig" war beim Autodesign
James Allison als Technischer Direktor von Mercedes erklärt, wo sein Team beim Formel-1-Auto 2023 falsch abgebogen ist und wo die großen Probleme lagen
(Motorsport-Total.com) - "Wir haben uns auf die falschen Dinge versteift." So fasst Mercedes-Technikchef James Allison die technischen Probleme seines Formel-1-Teams aus den Saisons 2022 und 2023 zusammen. Denn sowohl der W13 als auch dessen Nachfolger W14 brachten der Sternmarke mehr Schwierigkeiten als Erfolge ein: Die Mercedes-Autos litten mehr als andere Formel-1-Fahrzeuge unter dem sogenannten Bouncing.
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Lewis Hamilton im Mercedes W14 beim Formel-1-Rennen 2023 in Australien Zoom Download
Vor allem 2022 hatte dieses Hüpfen Mercedes viel Kopfzerbrechen bereitet, aber auch 2023 war das Bouncing ein Thema. Und eines, bei dem sich das Team laut Allison für die falsche Lösung entschieden hat.
Denn vor der Formel-1-Saison 2023 wurden die Außenkanten des Unterbodens per Reglement um 15 Millimeter angehoben. "Darüber haben wir intern intensiv diskutiert", sagt Allison.
Es sei um die Frage gegangen, wie Mercedes mit dieser Regeländerung umgehen müsse, ob es sich auf ein verkleinertes Einsatzfenster des Autos einlassen oder anderweitig nach mehr Abtrieb suchen soll.
"Die Debatte darüber zog sich eine Weile hin", meint Allison. "Denn mit unseren Mitteln ist es sehr schwer vorherzusehen, wann es zu Bouncing kommt. Und es ist viel schwieriger, das Bouncing loszuwerden, wenn man es erst mal hat, als lieber etwas höher zu starten ohne Bouncing und [das Auto] dann immer weiter abzusenken."
Wohl auch aufgrund der Erfahrungen aus der Saison 2022 mit viel Bouncing entschied sich Mercedes für den konservativen Weg und gegen eine extreme Unterboden-Lösung. "Es stellte sich aber heraus: Damit waren wir zu vorsichtig vorgegangen", meint Allison. "Wir hätten unser Geld besser auf eine andere Stelle am Roulette gesetzt. Dann hätten wir viel früher die Leistung erzielt, wie wir sie zu Saisonende hatten."
Rückschritte in Monaco nach Designwechsel
So aber machte Mercedes erst einmal Rückschritte, konkret beim Monaco-Update des W14, als sich das Team endgültig von seinem "Zero-Pod"-Design mit minimalistischen Seitenkästen verabschiedete und sich dem sogenannten Downwash-Trend mit nach hinten abfallenden Seitenkästen anschloss.
"Wir haben uns gesagt: Wir wollen die Sache mit den Seitenkästen einfach aus der Welt schaffen. Tatsächlich hat uns das [beim Update in Monaco] rund zwei Zehntel gekostet. Aber immerhin wussten wir ab diesem Punkt, dass wir uns darüber keine Gedanken mehr zu machen brauchten."
"Nach 14 schlimmen Monaten konnten wir diese Variable aus der Gleichung nehmen, wenngleich das Auto damit zunächst etwas langsamer war."
Fotostrecke: "Zero Pod" weg: So sieht das Mercedes-Update aus
Die ersten Bilder vom Mercedes-Update am W14 in Monaco Fotostrecke
Über den Unterboden, Bremstrommeln und Bremsschächte an der Hinterachse sowie den Frontflügel habe Mercedes anschließend sukzessive an Leistung gewonnen und das Monaco-Defizit "rasch" wettgemacht, sagt Allison. "Es ging bei dieser konzeptionellen Änderung nur darum, die [zu] konservative Entscheidung bei der Fahrwerkshöhe zu korrigieren."
Die Sitzposition: Mehr Symptom als Problem?
Und dann war da noch Lewis Hamilton, der sich zu Saisonbeginn 2023 lautstark über die Sitzposition im W14 beschwerte, weil er sich benachteiligt sah. Tenor: "Wir Mercedes-Fahrer sitzen näher an den Vorderrädern als alle anderen Fahrer. Unser Cockpit ist zu nah an der Vorderachse."
Das fühle sich beim Fahren so an, "als würde man auf der Vorderachse sitzen", meinte Hamilton. Nachsatz: "Das ist das schlimmste Gefühl, das man beim Fahren haben kann. Denn das Auto verhält sich nicht so vorhersehbar, und ich habe wirklich große Probleme damit."
Laut Allison aber war die Sitzposition im Mercedes W14 nie ein Problem, sondern die Konsequenz aus einer speziellen Charakteristik des Fahrzeugs, das sich beim Einlenken sehr instabil verhielt. "Lewis beschreibt dieses Phänomen, indem er über die Sitzposition spricht. George spricht gar nicht über die Sitzposition, beschreibt aber exakt das gleiche schlechte Verhalten des Fahrzeugs", sagt Allison.
"Kleiner Fortschritt" mit Austin-Update
"Wenn es uns gelingt, diese Instabilität in den Griff zu kriegen, dann könnte sich Lewis nur noch darüber beschweren, dass er etwas weniger vom Scheitelpunkt sieht, weil er etwas weiter vorne sitzt. Aber eigentlich sorgt die Sitzposition an sich nicht für ein Problem dabei, wie er mit dem Auto umgehen muss."
"Vermutlich könnte er das Auto etwas präziser fahren, wenn er seine Sitzposition frei wählen könnte. Aber das Problem ist das bockige Auto. Es geht also nicht darum, die Sitzposition anzupassen, sondern darum, etwas zu bändigen, was einfach nicht gut ist. Und unser Fokus lag darauf, dass Auto gefügiger zu machen."
Mit dem Austin-Update habe Mercedes im Endspurt der Saison 2023 zumindest einen "kleinen Fortschritt" erzielt, sagt Allison. "Mit etwas Glück geht es da [2024] weiter vorwärts."