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Regelchaos in der Formel 1: Jetzt wollen die Fahrer mehr Mitspracherecht
Deltazeit, Halteverbot und Co.: Die neuen Regeln in der Formel 1 sorgen für noch mehr Chaos, und die Fahrer fühlen sich bei den Entscheidungen übergangen
(Motorsport-Total.com) - Beim Grand Prix von Sao Paulo greift erstmals die neue Regel, aufgeschrieben in den Eventnotes von Rennleiter Niels Wittich, dass die Fahrer während eines Qualifyings nicht mehr an der Boxenausfahrt stehenbleiben dürfen, um auf der Strecke den richtigen Platz für eine schnelle Runde zu finden, möglichst ohne von anderen Autos beeinträchtigt zu werden.
© Motorsport Images
Max Verstappen ist einer der schärfsten Kritiker der jüngsten Regeländerungen Zoom Download
Bereits zuvor hatte die FIA die Regel eingeführt, dass auf nicht gezeiteten Qualifyingrunden eine Maximalzeit eingehalten werden muss. Wer langsamer fährt, wird bestraft. Ziel beider Regeln ist, das "Gebummel" der Fahrer zu verhindern, das sich bisher meist vor der letzten Kurve abgespielt hat. Ein Schuss, der nach Ansicht vieler Fahrer nach hinten losgegangen ist.
Die Regel sei "absolut fürchterlich", findet zum Beispiel Max Verstappen und erklärt: "Auf dieser Strecke haben wir ja eine lange Boxenausfahrt, eingegrenzt durch Mauern. Aber auf anderen Strecken fährst du dann mit 15, 20 km/h neben einer Gerade, wo die anderen mit 300 und mehr Sachen an dir vorbeidonnern, um Abstand zu nehmen. Das ist extrem gefährlich."
"Aus meiner Sicht funktioniert das überhaupt nicht, sondern schafft nur noch mehr Probleme", kritisiert Verstappen. "Nehmen wir nur den Freitag: Leute mussten aufs Gras ausweichen, um andere zu überholen. Es ist totaler Mist. In jedem Qualifying werden sechs bis acht Autos untersucht, weil sie gegen die Maximalzeit verstoßen. Ich weiß nicht, was wir damit erreichen wollen."
Singapur: Damit hat alles angefangen
Dabei war Verstappen der, der die seiner Meinung nach überkomplizierten Regeln wahrscheinlich getriggert hat. Als er in Singapur an der Boxenausfahrt stehenblieb, um für sich die richtige Lücke für eine schnelle Runde zu finden, beschwerten sich einige Fahrerkollegen, die dahinter warten mussten. Also sah sich die FIA gezwungen, etwas zu unternehmen.
Doch jetzt führen die neuen Regeln und die damit einhergehenden Untersuchungen nach den Qualifyings dazu, dass das Ergebnis praktisch nie sofort feststeht. Für die Zuschauer ein Graus, und selbst für fachkundige Journalisten kaum noch darstellbar. "Wir machen es einfach zu kompliziert", ärgert sich Verstappens Teamchef Christian Horner.
Er findet, dass man das Problem anders anpacken sollte: "Warum brauchen die Fahrer die Out-Laps? Wir müssen an die Ursache ran. Sind es die Reifentemperaturen? 50 Jahre lang hat es das in der Formel 1 nicht gegeben, also warum ist es jetzt plötzlich ein Problem? Ich fände es gescheiter, wenn wir uns mit der Ursache auseinandersetzen, statt immer wieder ein neues Pflaster auf die Wunde zu kleben."
Das Norris-Urteil: Wer soll das verstehen?
Auch Lando Norris kann angesichts mancher Entwicklungen nur noch den Kopf schütteln. Er kassierte nach dem Sprint-Shootout in Brasilien zwar keine Gridstrafe, wie das am Freitag einigen Kollegen passiert war, aber eine Verwarnung. Die offizielle Begründung der FIA-Kommissare liest sich wie das Urteil eines Richters.
Wörtlich heißt es darin: "Norris absolvierte eine Abkühlrunde und behielt sein Delta für den größten Teil der Runde bei und folgte Tsunoda mit einem angemessenen Abstand. Tsunoda überquerte die Safety-Car-Linie 2 kurz nach Leclerc, der gerade die Box verließ. Daher musste Tsunoda langsamer werden, um eine Lücke zwischen sich und Leclerc zu schaffen, wodurch auch Norris beeinträchtigt wurde."
"Während der Anhörung erklärte Norris, dass er sich zwischen der Überschreitung der Deltazeit und dem Überholen von Tsunoda entscheiden musste und damit riskierte, letzteren zu behindern. Die Kommissare erkennen an, dass Norris angemessene Anstrengungen unternommen hat, um das Auto vor ihm nicht zu behindern, und sich gleichzeitig bewusst war, dass sich kein Auto hinter ihm befand."
Doch trotz dieser Feststellung wurde eine Verwarnung ausgesprochen, denn: "Die Abkühlrunde von Norris wurde nicht durch andere Autos auf fliegenden Runden beeinträchtigt. Die Kommissare entscheiden daher, dass mehr unternommen hätte werden können, um die Deltazeit einzuhalten, und erachten eine Verwarnung für den Fahrer als angemessen."
Norris nimmt Kommissare ausdrücklich in Schutz
Eine Entscheidung, über die Norris nur den Kopf schütteln kann: "Ich kann ja nicht überholen, sonst fahre ich Rennen auf einer Qualifyingrunde, was dumm wäre. Also muss ich vom Gas gehen, und dadurch falle ich logischerweise aus der Deltazeit raus. Das ist einfach dumm. Ich habe nichts falsch gemacht, ich habe niemanden behindert."
Norris hält fest: "Es ist nicht so, dass die Kommissare was falsch gemacht hätten. Es sollte nur die Regel gar nicht erst geben." Der McLaren-Fahrer appelliert an den gesunden Menschenverstand, der jahrelang ausreichend war: "Klar, manchmal wird gebummelt. Aber wenn dich das stört, fährst du halt früher raus. Ganz einfach."
"Wenn nur noch zwei Minuten auf der Uhr sind und der Kerl vor dir an der Boxenausfahrt 20 oder 30 Sekunden rumsteht, dann ist das wirklich ein Problem. So wie damals zwischen Fernando und Lewis bei McLaren. Das ist unfair. Aber es gibt immer mehr Regeln für alle mögliche Dinge, und damit wird der Sport immer undurchsichtiger", sagt er.
Ungarn 2007 und der "Krieg der Sterne"
Worauf Norris anspielt, ist das Qualifying zum Grand Prix von Ungarn 2007, mitten im "Krieg der Sterne" bei McLaren-Mercedes, als Fernando Alonso in der Box absichtlich trödelte, weil hinter ihm Teamkollege Lewis Hamilton abgefertigt werden sollte. Hamilton geriet so in Zeitnot und schaffte es nicht mehr rechtzeitig, eine fliegende Runde zu beginnen.
Und trotzdem: Die Überregulierung der Formel 1 ist ein Thema, das gerade zu eskalieren droht. Nach praktisch jedem Qualifying und Rennen sind laufende Untersuchungen offen, sodass das offizielle Ergebnis manchmal stundenlang verzögert wird. Und dann folgen Urteile, die die meisten Fans gar nicht mehr mitkriegen und viele im Detail nicht verstehen.
Die Fahrer wünschen sich daher, dass wieder mehr auf sie gehört wird: "Wir haben kein Mitspracherecht bei den Regeln", sagt Norris. "Die werden einfach eingeführt, egal ob wir denken, dass sie gut oder schlecht für den Sport sind."
Eine Aussage, bei der Verstappen nickt: "Manchmal sind es einfach zu viele Regeln, die wir in Betracht ziehen müssen. Und zu viel Politik, um dran was zu ändern. Natürlich würde ich mir wünschen, dass wir als GPDA (Fahrergewerkschaft; Anm. d. Red.) mitreden können." Der Weltmeister grinst: "Am liebsten wäre ich selbst Eigentümer der Formel 1! Aber so ist es halt nicht."