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Nicholas Latifi: "Viele Fahrer würden töten für ein Rennen"
Seine drei Jahre in der Formel 1 absolvierte Nicholas Latifi unter teils schwierigen Bedingungen - Nach dem letzten Rennen empfindet er Frust, aber auch Dankbarkeit
(Motorsport-Total.com) - Für Nicholas Latifi endete der Grand Prix von Abu Dhabi und damit das letzte Formel-1-Rennen seiner Karriere genau so, wie die komplette Saison verlief: enttäuschend. Von Mick Schumacher in Runde 38 abgeräumt, schied der Williams-Pilot kurz vor Schluss mit einem Elektronikproblem endgültig aus.
"Offensichtlich war heute kein gutes Ende. Nicht, dass es bis dahin ein gutes Rennen gewesen wäre, aber dann hatten wir den Zwischenfall mit Mick und gegen Ende kam noch ein Elektronikproblem hinzu. Ich bin mir nicht sicher, ob beides miteinander zusammenhängt", rekapituliert Latifi seinen letzten Grand Prix.
Sein Zeit in der Formel 1 fasst er als "sehr charakterbildend" zusammen. "Aber gleichzeitig bin ich sehr dankbar, dass ich diese drei Jahre hatte. Viele Fahrer würden dafür töten, nur ein Rennen zu fahren. Ich durfte drei Saisons in der Formel 1 absolvieren."
"Es war sicher hart. Ich gehe mit dem Gefühl, dass ich mehr erreichen wollte. Ich wäre gerne geblieben und hätte versucht, mich zu verbessern, mich mit dem Team zu verbessern. Aber es hat nicht geklappt. Das weiß ich schon seit einigen Rennen. Jetzt ist es an der Zeit, sich auf das nächste Kapitel zu konzentrieren."
Kein einfacher Formel-1-Einstand für Latifi
Latifi stieg 2020 in die Formel 1 auf, nachdem er bereits zahlreiche private und offizielle Testfahrten absolviert hatte. Williams kam gerade aus einer katastrophalen Saison 2019 und war für den Rookie kein einfaches Pflaster. Hinzu kam, dass die Saison durch die Auswirkungen der Pandemie erschwert wurde.
Auch, dass Latifi mit einem Talent wie George Russell teamintern konkurrieren musste, machte es für den Neuling nicht leichter. Der erste Durchbruch gelang 2021, als Williams wieder zu mehr Leistung fand und sich im hinteren Mittelfeld einreihte.
Beim Chaos-Grand-Prix in Ungarn fuhr Latifi als Siebter zum ersten Mal in die Punkte. Für Williams war es das beste Ergebnis seit mehr als zwei Jahren. Nur ein Rennwochenende später in Spa folgte mit Platz neun ein weiterer Punkt, während Teamkollege Russell im verkürzten Regenrennen sogar Zweiter wurde.
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Doch die Saison endete für Latifi - wie für den Sport allgemein - unrühmlich. Weil er mit seinem Unfall in Abu Dhabi für jene Safety-Car-Phase gesorgt hatte, die zur umstrittenen WM-Entscheidung führte, wurde er im Netz wüst beschimpft.
Der Kanadier sah sich sogar Morddrohungen ausgesetzt, die ihn um seine eigene Sicherheit fürchten ließen. Wie stark ihn das mental belastet haben mag, lässt sich nur erahnen.
Williams-Teamchef Jost Capito äußerte jedenfalls erst kürzlich die Vermutung, dass sich die Auswirkungen von Abu Dhabi auf Latifis Frühform in dieser Saison niedergeschlagen hätten. Dem Vergleich zum Teamkollegen hielt er jedenfalls auch dann nicht stand, als Russell durch Alexander Albon ersetzt wurde.
Zuletzt viel "Frustration und Enttäuschung"
Das diesjährige Auto ließ Latifi oft ratlos zurück. Erst ein Chassis-Wechsel in Silverstone versprach Besserung, doch es blieb bei einem einzigen Punkterang in Japan. Da war sein Aus bei Williams bereits besiegelt. Hat ihm diese Gewissheit dabei geholfen, das Ende seiner letzten Saison etwas mehr zu genießen?
"Ja und nein", sagt Latifi. "Ich bin natürlich nicht mehr damit belastet, um einen Platz kämpfen zu müssen. Unabhängig davon will ich aber immer noch gut abschneiden, jedes Qualifying und jedes Rennen so gut wie möglich beenden, seit ich es weiß."
"Nur weil ich es weiß, heißt das nicht, dass es keine Rolle spielt. In gewisser Weise hatte ich nichts zu verlieren, aber trotzdem gab es in den letzten sechs Rennen viel Frustration und Enttäuschung", räumt der 27-Jährige ein und zieht ein durchwachsenes Fazit.
In seiner kurzen Formel-1-Karriere hätte freilich er gerne mehr erreicht. Doch das ließen auch die Umstände oft nicht zu. "Ich denke, dass jeder Fahrer, der in die Formel 1 einsteigt, zuerst in die Formel 1 kommen will, dann will er seine ersten Punkte holen, dann kämpft er um viele Punkte, Podien und Siege", so Latifi.
"Man könnte also sagen, dass ich nur den ersten Teil davon erreicht habe, nämlich mitzumachen und ein paar Punkte zu holen. Letztendlich hatten wir aber nie ein Paket, mit dem wir konstant um Punkte kämpfen konnten", hält der Kanadier fest.
"Es geht vor allem darum, überhaupt in einem Kampf zu sein. Wir haben also nicht erreicht, was wir uns erhofft hatten, aber das gilt für das gesamte Team, nicht nur mich persönlich."
Latifi als Charakter im Paddock geschätzt
"Niemand ist damit zufrieden, wo wir als Team stehen. Es befand sich in einer noch schlechteren Position, bevor ich dazukam, wobei 2019 wohl ein noch schwierigeres Jahr war, mit einem noch schlechteren Auto. Im Jahr davor hatten sie auch zu kämpfen. Und ja, die letzten drei Jahre waren für alle eine Herausforderung."
Von den sportlichen Rückschlägen abgesehen, wurde Latifi als Person von seinen Kollegen im Paddock aber immer geschätzt. Eine Tatsache, auf die er stolz ist. "Vielleicht klingt es nicht gerade bescheiden, aber ich kenne die Person, die ich bin, ich kenne die Werte, die ich habe, die Art, wie ich erzogen wurde", sagt er.
"Ich behandle die Leute immer so, wie ich behandelt werden möchte, egal wer es ist, egal in welcher Position innerhalb des Teams oder Leute außerhalb. Ich habe immer versucht, auch den Medien gegenüber respektvoll zu sein, auch wenn es in unserer Situation offensichtlich manchmal viel Frustration gab."
"Daher ist es natürlich schön, das zu hören. In beruflicher Hinsicht habe ich nicht das erreicht, was ich mir erhofft hatte, aber ich versuche immer, mich davon nicht beeinflussen zu lassen, wer ich als Mensch bin. Es ist also schön, das das wertgeschätzt wird."
Was seine Zukunft im Rennsport angeht, ist derzeit noch alles offen. "Ich habe keinen Zeitplan, wann ich mich entscheiden werde. Im Moment ist es so, dass ich mir eine Auszeit gönne. Ich habe jetzt den Winter, um zu sehen, wie es weitergeht", so Latifi.
Möglichkeiten gibt es einige: IndyCar, Formel E oder auch Langstreckenrennen. "Das ist eine Option, ganz sicher. Ich habe mit verschiedenen Teams in verschiedenen Kategorien gesprochen", verrät der Ex-Formel-1-Pilot. "Im Moment gibt es noch keine klare Richtung. Ich werde mir die Zeit nehmen, die ich brauche."