Spa 1985: Der Formel-1-Grand-Prix an zwei Wochenenden
Nur einmal in der Geschichte der Formel 1 wurde ein laufendes Rennwochenende abgebrochen: So kam es 1985 in Spa zu dieser merkwürdigen Situation!
(Motorsport-Total.com) - Hätte man den Belgien-Grand-Prix 2021 in Spa-Franchorchamps nicht einfach verschieben können? Auch nur um einen Tag? Das war eine Frage, die nach dem "Rennen" viele Beobachter beschäftigt hat. FIA-Rennleiter Michael Masi aber machte sofort klar: Eine Verschiebung kam nicht in Frage. Es gibt jedoch einen Präzedenzfall aus der Formel-1-Geschichte.
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Nichts geht mehr: Der Asphalt bricht auf, das Wochenende 1985 wird abgebrochen Zoom Download
Es ist der Samstagabend vor dem Belgien-Grand-Prix 1985 in Spa: Der internationale Motorsport-Verband FISA erklärt, die Strecke sei "nicht geeignet" für Formel-1-Autos und der Belgien-Grand-Prix werde "aus Sicherheitsgründen" verschoben. So entstand eine für die Formel 1 einmalige Situation: Die Rennserie startete Monate später ein zweites Mal an der gleichen Rennstrecke.
Doch der Reihe nach: Die Streckenbetreiber in Spa-Francorchamps wollten aufrüsten. Schon 1984 fassten sie den Entschluss, ihren Kurs neu zu asphaltieren, sodass dieser vor allem im Nassen mehr Grip bieten würde.
Die Aussichten waren gut, denn die belgische Firma Hydrocar hatte einen speziellen Belag entwickelt, der mit einem hohen Gummianteil aufwartete. Auch die FISA war eingeweiht in die Pläne und hatte ihr Wohlwollen bekundet, solange die Arbeiten - wie per Reglement vorgeschrieben - bis 60 Tage vor dem Grand Prix abgeschlossen sein würden.
Der Plan war gut, aber ...
Zum Zeitpunkt der Entscheidung im Oktober 1984 schien das ein Kinderspiel zu werden, schließlich war das Formel-1-Rennen erst für den 2. Juni 1985 anberaumt.
Doch es traten diverse Stolpersteine auf, mit denen die Verantwortlichen vor Ort nicht gerechnet hatten: Genehmigungen ließen auf sich warten, dann folgte auch noch ein besonders harter Winter und am 1. Mai lag noch immer Schnee in den Ardennen. Trotzdem hielt man am ursprünglichen Vorhaben der Neuasphaltierung fest.
Aufgrund der Arbeiten sagten die Streckenbetreiber einen vor dem Rennen angesetzten Formel-1-Test in Spa ab, weil "Modifizierungen" am Kurs vorgenommen würden. Die FISA schöpfte keinen Verdacht. Und der neue Belag war schließlich exakt zehn Tage vor Trainingsbeginn zum Belgien-Grand-Prix aufgetragen.
Zunächst ist alles normal
FISA-Streckeninspekteur Derek Ongaro hatte keinen Schimmer davon, was in den zurückliegenden Wochen in Spa-Francorchamps vorgegangen war. Und hätte es am Rennwochenende geregnet, wahrscheinlich wäre alles gut ausgegangen. So aber traten alsbald Probleme auf, weil es durchgehend sonnig blieb und sehr heiß war.
Fotostrecke: Spa 1985: Ein Formel-1-Rennen, zwei Wochenenden
Spa-Francorchamps im Juni 1985: Nichts geht mehr, weil der neu aufgetragene Asphalt den Belastungen nicht standhält. Was dann passiert, geht in die Formel-1-Geschichte ein. Wir blicken zurück! Fotostrecke
Zunächst wähnte man sich in falscher Sicherheit: Ferrari-Fahrer Michele Alboreto brannte im Freitagstraining eine herausragende Bestzeit auf die Strecke, der neue Asphalt schien sich zu bewähren.
Wenig später aber zeigten sich erste Schäden: Der Streckenbelag brach an mehreren Stellen auf. Da wurden Erinnerungen wach an das Hitzerennen in Dallas 1984, wo ebenfalls aufbrechender Asphalt für zahlreiche schwere Unfälle gesorgt hatte. Und nun eine mögliche Neuauflage davon auf einer der schnellsten Strecken im Formel-1-Rennkalender?
Ausbesserung soll's richten
Die Situation hatte ihre ersten Spuren an den Beteiligten hinterlassen: Nigel Mansell im Williams fing sich einen Reifenschaden ein, Nelson Piquet im Brabham brauchte nach Steinschlag ein neues Visier an seinem Helm.
Auf einmal hatte Bernie Ecclestone ein Problem. Er, der zu dieser Zeit nicht nur Formel-1-Chef war, sondern auch Teamboss bei Brabham, trat als Promoter in Belgien auf - und stand damit in der Gesamtverantwortung für die Veranstaltung. Und er versuchte alles, um die Situation zu retten.
Über Nacht rückten Bautrupps an und führten Instandsetzungsarbeiten durch. Am Samstagmorgen ging die Formel 1 dann erneut auf die Strecke. Schon nach wenigen Minuten aber wurde deutlich: So würde es nicht gehen. Die Rundenzeiten waren im Vergleich zum Vortag um 23 Sekunden (!) angestiegen.
Widersprüchliche Botschaften nach außen
Krisenstäbe wurden einberufen, alle möglichen Ideen diskutiert, um das Wochenende doch noch zu einem Abschluss zu bringen. Eine Variante war, alle weiteren Einheiten aller Serien bis zum Formel-1-Rennen am Sonntag auszusetzen. Doch dieser Vorschlag setzte sich nicht durch.
Kurios: Obwohl die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen weiter andauerten, erhielten die Zuschauer am Samstagabend gegen 18 Uhr die Information, das Rennen würde wie geplant gestartet.
Ecclestone bastelte indes an einem Ersatzprogramm und versprach der Nachwuchsserie Formel 3000 ein Rennen am Sonntag, entweder im Anschluss an die Formel 1 oder, falls diese nicht fahren würde, als Headliner in Spa.
Es gibt ein Rennen, aber nicht von der Formel 1
Knapp 90 Minuten später kamen die Teammanager aus ihrer finalen Besprechung und die Wahrheit begann durchzusickern. Kurz darauf machte ein FISA-Statement klar: Es würde an diesem Wochenende kein Formel-1-Rennen geben - ein Novum in der Formel-1-Historie, die bis dahin allen Widrigkeiten zum Trotz immer einen Grand Prix absolviert hatte.
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Doch Ecclestone bekam seinen Willen: Die Formel 3000 fuhr am Sonntag, mit im Vergleich zum Qualifying über 15 Sekunden langsameren Zeiten und etlichen Zwischenfällen.
FISA-Präsident Jean-Marie Balestre, in Spa nicht vor Ort, aber per Telefon zugeschaltet, tobte. Er berief drei Wochen später eine Sondersitzung mit den Verantwortlichen ein, die "ihren ernsthaften Fehler" erklären sollten. Balestre drohte auch mit "drakonischen Strafen".
Die FISA verhängt Strafen
Am Ende kam alles ganz anders: Der belgische Motorsport-Verband kam mit einer Sanktion in Höhe von 10.000 US-Dollar betont glimpflich davon. Begründung: Man hatte den Sport in Misskredit gebracht.
Apropos: Für den Fall von weiteren Zwischenfällen beim nun anberaumten Ersatztermin ließ sich die FISA eine Sicherheit in Höhe von 100.000 Dollar überweisen.
Ecclestone spielte derweil mit den Terminen und entschied sich für den 15. September, um den Belgien-Grand-Prix nachzuholen - eine Woche nach Monza, eine Woche vor Brands Hatch.
Belgien-Grand-Prix 1985, die Zweite
Die Entrüstung im Fahrerlager war groß, bei der Aussicht auf fünf Rennen binnen sechs Wochen. Und Ecclestone knickte ein: Er verschob Brands Hatch noch um eine Woche, die Wogen waren geglättet.
Als die Formel 1 schließlich ein zweites Mal nach Spa-Francorchamps reiste, waren die Asphaltarbeiten endgültig abgeschlossen. Das Rennwochenende begann komplett von vorne und verlief ohne Probleme. Den Grand Prix gewann Lotus-Fahrer Ayrton Senna - und absolvierte im Jubel eine für Spa unübliche Ehrenrunde über die gesamte Strecke.
Die Formel 1, Ecclestone, die FISA, Balestre und die Streckenbetreiber, sie alle waren mit einem blauen Auge davongekommen. Und man reagierte umgehend: Die Regeln für Modifizierungen einer Rennstrecke und die Vorgaben für die Streckenabnahme wurden verschärft. Den Fehler von 1985 wiederholte niemand mehr.
Erst 2020 fiel wieder ein Rennen aus, nachdem Fahrer und Teams bereits angereist waren: der Australien-Grand-Prix in Melbourne. Schuld daran waren aber weder verpasste Timings noch aufbrechender Asphalt: Die Coronavirus-Krise hatte die Formel 1 bei ihrem geplanten Saisonauftakt eingeholt, noch ehe sich dort ein Rad gedreht hatte.