Wie Helmut Marko die Red-Bull-Junioren aussucht
Killerinstinkt, Geschwindigkeit und mentale Härte: Helmut Marko und Pierre Gasly verraten, warum das Red-Bull-Förderprogramm bisweilen unfair, aber erfolgreich ist
(Motorsport-Total.com) - Was haben Sebastian Vettel, Max Verstappen und Pierre Gasly gemeinsam? Richtig - alle durchliefen neben zahlreichen anderen Talenten das Red-Bull-Juniorprogramm und sind damit Zöglinge von Helmut Marko. Der Doktor aus der Steiermark gilt als "harter Hund", der mit strenger Hand führt und klare Entscheidungen trifft. Etliche junge Fahrer fielen dabei schon durchs Raster, gleichsam brachte der 75-Jährige aber auch einige Topfahrer bis an die Spitze der Königsklasse. Über allen thront Vettel, der bis heute mit vier Formel-1-Weltmeistertiteln erfolgreichster Pilot aus dem Red-Bull-Kader ist.
Ähnlich Großes hat Marko mittelfristig aber auch mit Supertalent Verstappen und seinem künftigen Teamkollegen Gasly vor. Der Österreicher lässt keinen Zweifel daran: Um es bis ins Nummer-eins-Team von Red Bull zu schaffen, muss ein Fahrer ganz besondere Fähigkeiten mitbringen. Bei der Auswahl seiner Youngster schaut er deshalb schon in sehr jungen Jahren auf eine Fähigkeit: "Er muss sofort schnell sein, wenn er in eine neue Serie kommt. Wir glauben nicht daran, dass einfach alles mit Kilometern und Erfahrung kommt. Er muss diesen intuitiven Speed haben - oder nennen wir es den angeborenen Killerinstinkt."
Als Vorbild hebt der ehemalige Grand-Prix-Pilot dabei immer wieder Verstappen hervor, der auf und neben der Strecke sprichwörtlich keine Gefangenen macht. Ebenso wie Vettel dürfte er der Idealvorstellung Markos von einem Formel-1-Siegfahrer am nächsten kommen. Den Grundspeed muss der Kerl mitbringen, eine gewisse Härte kann man ihm anerziehen, so könnte man Erfolgscredo des strengen Mentors deuten. "Am wichtigsten sind Wettbewerbsfähigkeit und Leistung. Wenn unsere Kandidaten keine Leistung bringen und es auch keine Anzeichen gibt, dass sie sich verbessern, dann können wir unsere Unterstützung jederzeit beenden", stellt der Steirer unmissverständlich klar.
Ein schmaler Grat: Karrieren zerstören oder machen
Diese Erfahrung mussten unter anderem bereits Red-Bull-Junioren wie Philipp Eng, Neel Jani, Robert Wickens oder 2017 Niko Kari machen. Formel-2-Pilot Artjom Markelow schoss deshalb öffentlich gegen den Red-Bull-Motorsportkonsulenten: "Marko zerstört die Karrieren junger Fahrer." Wahr ist aber auch: Der äußerst erfahrene Österreicher hat ein Auge und ein Händchen für die größten Talente, die es in der Königsklasse bis nach ganz oben schaffen können. Bei der Auswahl legt er dabei inzwischen immer früher los, wie er gesteht. "Unser jüngster Kerl ist noch ein OK-Junior (11 bis 15 Jahre; Anm. d. Red.), wir haben da unseren Ansatz verändert."
Fotostrecke: Red-Bull-Junioren in der Formel 1
Christian Klien (2004-2010): Mit Unterstützung von Red Bull debütiert der Österreicher 2004 bei Jaguar in der Formel 1. Nach der Übernahme des Rennstalls durch den Engergy-Drink-Hersteller fährt Klien auch 2005 und 2006 bei den meisten Grands Prix für das nun Red-Bull-Racing genannte Team an der Seite von David Coulthard. Ende 2006 scheidet Klien nach Streitigkeiten über einen Wechsel in die ChampCar-Serie aus dem Red-Bull-Kader aus. Später ist der Österreicher Testfahrer für Honda und BMW-Sauber und fährt 2010 drei Rennen für HRT. Fotostrecke
"Gewöhnlich haben wir uns erst näher mit Fahrern befasst, wenn sie im Formelsport unterwegs waren. Aber heutzutage gibt es nicht mehr so viele junge Piloten und der Wettbewerb ist sehr hart, also schauen wir jetzt ebenso wie Mercedes, Ferrari oder Renault schon auf Talente, die noch im Kartbereich unterwegs sind", so Marko. Kandidaten, die es in die nähere Auswahl geschafft haben, werden dann ganz genau abgeklopft. "In erster Linie schauen wir natürlich auf seine Geschwindigkeit. Wenn die passt, dann führe ich ein persönliches Gespräch mit dem Jungen. Ist er hart genug? Verschreibt er sich voll und ganz seiner Sache", erläutert der 75-Jährige seine Auswahlkriterien.
Aber: "Es gibt natürlich immer ein gewisses Risiko. Mit 14 oder 15 verlieben sie sich das erste Mal, viele andere Sachen kommen dazwischen und schon ändert sich alles." Deshalb habe man die anfängliche Strategie, eine breite Anzahl von Talenten zu fördern, im Hause Red Bull geändert. "Rennsport ist sehr, sehr teuer. Und wir haben zwei Formel-1-Teams zu unterhalten. Unser Ansatz muss deshalb lauten, dass wir nur Fahrer finden, die auch einen Grand Prix gewinnen können."
Check im Leistungsdiagnostik-Zentrum bei Salzburg
Wer Markos strenge Auswahlmaßstäbe und das Vier-Augen-Gespräch überstanden hat, wird im Leistungsdiagnostik- und Trainingszentrum von Red Bull in Thalgau bei Salzburg auf seine körperliche und mentale Eignung überprüft. Hier durchliefen schon viele der rund 650 von Red Bull geförderten Athleten - darunter etwa Ski-Superstar Lindsey Vonn - ihre Leistungsanalysen. Thalgau wird deshalb als das geheime Herz der Red-Bull-Sportwelt beschrieben. Je nach Körpergröße, -maße und -eigenschaften können die Athleten dann ihr spezielles Trainingsprogramm verfolgen.
Marko bringe junge Sportler bewusst aus ihrer Komfortzone heraus, um zu sehen, wie sie unter enormem Druck und Stress reagieren. "Manchmal denkst du dir: 'Was zum Teufel passiert hier?" - vor allem, wenn du noch so jung bist", schildert Gasly. "Es ist hart, manchmal auch unfair - aber wenn du da durchkommst, macht es dich als Mensch und als Athlet nur stärker. Sie wollen dich im Kopf stark machen. Mental fühle ich mich jetzt viel besser und erkenne all diese Fortschritte, die ich bei ihnen erzielt habe."
365 Tage Formel 1 im Jahr
Dass er deshalb nicht der Liebling oder gar Freund der Fahrer sein kann, gibt Marko offen zu: "Wir haben eine gute Arbeitsbeziehung. Mit dem einen etwas mehr als mit dem anderen, aber ich habe keine Favoriten oder ähnliches. Es geht um Respekt. Ich gehe nicht zu ihren Geburtstagspartys - außer sie sind zufällig mal an der Strecke. Aber wenn sie in einer Krise stecken oder einige Probleme bekommen, dann arbeite ich auch mal ganz individuell mit ihnen."
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Wer es dank Markos Ausbildung in die Formel 1 und zum Red-Bull-JuniorteamToro Rosso geschafft hat, bekommt es dort mit Teamchef Franz Tost zu tun. Der Tiroler genießt einen ebenso exzellenten wie strengen Ruf, was das Führen junger Talente angeht. Der 62-Jährige fordert nicht weniger als 365 Tage Formel 1 im Jahr von seinen Fahrern. Dank der Arbeit der Österreicher steht nach Vettel, Daniel Ricciardo, Daniil Kwjat, Verstappen nun mit Gasly die nächste Beförderung vom B- ins A-Team ins Haus.
"Pierre habe ich seit dem Montreal-Rennen in diesem Jahr genau beobachtet, als es erste Anzeichen gab, dass Ricciardo gehen könnte", verrät Marko. "Ich habe ihm nicht gesagt, dass er eine Chance bekommen könnte. Aber wenn du in der Formel 1 an die Spitze kommen willst, musst du immer besser werden. Du musst deinen Teamkollegen schlagen und du darfst dir keine Fehler leisten."
Gasly habe sich nur im Qualifying zum Auftaktrennen in Australien einen Lapsus geleistet, sich dann aber Schritt für Schritt gesteigert. "Er hatte gute Rennen, denn er versteht es, auf seine Reifen aufzupassen. Wir legen Wert darauf, Fahrer aus unserem eigenen Programm auszuwählen. Wenn sie Leistung zeigen, bekommen sie ihre Chance. Wir sind eines der führenden Formel-1-Teams und unser Topfahrer ist 21 und Pierre ist 22 Jahre alt", bringt Marko die Vorzüge der hauseigenen Talentförderung auf den Punkt.