Tragische Figur Esteban Ocon: Zwei Angebote, kein Cockpit?
Bei McLaren war er zur Sitzanpassung, bei Renault lag der Vertrag so gut wie vor - und jetzt steht Esteban Ocon plötzlich ohne Cockpit in der Formel 1 da ...
(Motorsport-Total.com) - Esteban Ocon könnte zur tragischen Figur der "Silly Season" in der Formel 1 werden. Beim Grand Prix von Belgien in Spa-Francorchamps sensationell Qualifying-Dritter (und Sechster im Rennen), droht er sein Cockpit bei Racing Point (Force India) noch während der laufenden Saison an Lance Stroll zu verlieren. Und auch sonst sind für ihn in den vergangenen Wochen Türen zugefallen.
Laut Informationen von 'Motorsport-Total.com' war sich Ocon mit dem McLaren-Team schon so gut wie einig - so weit, dass er sogar zu einer Sitzanpassung in Woking war. Hinter den Kulissen wurde aber gleichzeitig die Variante Renault sondiert, und die schien dem Ocon-Management attraktiver als McLaren.
"Es gab einen nahezu fertigen Deal mit Renault", erklärt Mercedes-Teamchef Toto Wolff, in dessen Verantwortlichkeit die Zukunft von Mercedes-Junior Ocon fällt. "In Budapest dachten wir, seine Zukunft sei geklärt." Doch dann hat überraschend Daniel Ricciardo bei Renault unterschrieben, und weil auch Nico Hülkenberg für 2019 gesetzt ist, war dieser Wechsel plötzlich kein Thema mehr.
"Es ist wirklich schade, wie sich das entwickelt hat", bedauert Wolff. "Genauso, wie Red Bull überrascht war, sind auch wir überrascht worden von der Situation." An Renault übt er leise Kritik: "Man kann das nachvollziehen, wenn Renault die Möglichkeit hat, einen Ricciardo zu kriegen, dass man das macht. Aber es war vielleicht nicht ganz so, wie man es im ordentlichen Geschäftsleben tut."
Renault-Cockpit wäre perfekt gewesen
Dazu muss man wissen: Erstens wäre Ocon als Franzose ein perfekter Kandidat für ein französisches Werksteam gewesen. Zweitens wäre auch seine Mercedes-Kaderzugehörigkeit kein Problem gewesen - ganz im Gegenteil: Renault und Mercedes verbindet auf Konzernebene eine strategische Allianz.
Irgendwann kristallisierte sich heraus, dass Lawrence Stroll das Force-India-Team aus der Insolvenzmasse herauskaufen würde, und weil Sergio Perez smart genug war, seinen Vertrag frühzeitig zu verlängern, könnte das bedeuten, dass Ocon bald auf der Straße steht. Die Möglichkeit, noch 2018 zu McLaren zu wechseln, ist eher dünn: Bei der Sitzanpassung hat sich herausgestellt, dass er mit seinen 1,86 Metern für den MCL33 zu groß ist.
Racing Point und Renault sind also keine Möglichkeiten mehr, und McLaren erscheint zumindest für den Rest der Saison 2018 unrealistisch. Bliebe noch Williams, aber dort gilt Robert Kubica für das Stroll-Cockpit als gesetzt. Der Pole hat einen Vertrag, der ihm Renneinsätze garantiert, sollte einer der Stammfahrer ausfallen. Darf er nicht fahren, muss er um teures Geld entschädigt werden.
Aber: "Aber Esteban ist so gut, der wird seinen Platz finden, bei irgendeinem anderen Team", ist Wolff überzeugt. "Und wenn nicht, dann parken wir ihn und bereiten ihn für Größeres vor." Als Testfahrer bei Mercedes. Für Wolff wäre das "der absolute Worst Case". Er hofft daher: "Vielleicht finden wir irgendein anderes Engagement." Zum Beispiel - interimsmäßig - in der Formel E?
Dabei sind sich alle einig, dass Ocon als eines der aufstrebenden Talente der Zukunft in die Königsklasse gehört. Wolff unterstreicht: "Ich bin überzeugt, dass er mit der Leistung, die er in den letzten Jahren gezeigt hat, seinen Platz in einem Topteam der Formel 1 finden, Rennen gewinnen und vielleicht eines Tages um eine Meisterschaft fahren wird."
Sollte Stroll wirklich schon in Monza im Force India sitzen, ist es an Wolff und Ocons Management, "einige Schachfiguren" richtig zu ziehen. Wie die Plan-B-Szenarien aussehen könnten, sei "momentan aber noch nicht klar".
Vandoorne: Die Luft wird dünner
Klar ist hingegen: Wenn Ocon verfügbar ist, wird im Hinblick auf 2019 für Stoffel Vandoorne die Luft bei McLaren ziemlich dünn. Auch wenn McLaren-Rennleiter Gil de Ferran versichert: "Ich kann bestätigen, dass wir momentan keine anderen Pläne haben und Stoffel für den Rest des Jahres im Auto sitzen wird." Wobei dem geschulten Beobachter in diesem Zitat sofort das Wort "momentan" ins Auge sticht ...
Selbst wenn Ocon nicht kommen sollte, hat Vandoorne noch einen starken Gegner um das zweite McLaren-Cockpit, nämlich Lando Norris. Norris hat sich am Freitagmorgen im direkten Shootout gegen Vandoorne um knapp eine Zehntelsekunde durchgesetzt, obwohl er im Formel-1-Auto viel weniger Erfahrung vorweisen kann.
Das Team ist vom Formel-2-Fahrer begeistert: "Er stellt sich sehr schnell auf neue Situationen ein", sagt de Ferran. "Das haben wir bei den Tests gesehen und jetzt auch in Spa. Norris habe "keine Fehler gemacht und seine Arbeit fein erledigt". Und wird in Monza im ersten Training wieder zum Einsatz kommen - diesmal nicht neben, sondern statt Vandoorne.
Kleine Randnotiz: Wenn es stimmt, was Helmut Marko sagt, muss McLaren Norris bis September ein Formel-1-Cockpit besorgen - sonst wäre er frei. Zum Beispiel für Toro Rosso. Gut möglich also, dass McLaren Ocon absagen wird, um das hauseigene Zukunftstalent Norris nicht zu verlieren. Dann stünde Ocon wieder ohne Team da.
Vandoornes Management, angeführt von Alessandro Alunni Bravi, streckt indes schon die Fühler aus. Naheliegend wäre etwa Sauber: Alunni Bravi sitzt bei der Islero Investments AG, die das Sauber-Team kontrolliert, im Vorstand. Neben Frederic Vasseur, unter dessen Regie Vandoorne 2015 bei ART GP2-Champion geworden ist. Man kennt sich also.
Auch bei McLaren gibt es eine persönliche Connection für den Belgier: Seine Freundin Anna (als DJane und Musikerin bekannt) ist die Tochter von Rennleiter de Ferran. Aber das spricht im Zweifel eher gegen Vandoorne. Schließlich wird man sich als McLaren-Manager ungern nachsagen lassen, den Schwiegersohn in spe nur des Vitamin B wegen nicht entlassen zu haben ...