Horner droht Renault: Budkowski könnte zum Problem werden
Der Fall Marcin Budkowski sorgt in der Formel 1 weiterhin für Aufruhr: Warum Red Bull für Vernunft plädiert und was Renault zu den Spekulationen sagt
(Motorsport-Total.com) - Der mutmaßliche Wechsel von FIA-Formel-1-Technikchef Marcin Budkowski zum Renault-Team sorgt hinter den Kulissen der Königsklasse weiterhin für Diskussionen. Red-Bull-Teamchef Christian Horner lässt zum Beispiel keinen Zweifel daran, dass er sein politisches Gewicht in die Waagschale werfen wird, um den Überraschungstransfer des hochrangigen Geheimnisträgers zu verhindern.
"Marcin", sagt Horner gegenüber 'Sky Sports F1', "ist ein toller Kerl, aber er ist in die intimsten Geheimnisse aller Teams eingeweiht, sowohl vergangene als auch zukünftige. Gerade vor zwei Wochen erst haben wir mit ihm über unsere Radaufhängungs-Systeme gesprochen! Er war auch in unserem Windkanal. All dieses Wissen hat er in seinem Kopf. Zu erwarten, dass er das nicht verwenden wird, ist ziemlich naiv."
Die Krux an der Sache ist nämlich: Laut Schweizer Arbeitsrecht - und Budkowski hat einen FIA-Vertrag mit Gerichtsstand Genf - darf dem ehemaligen Ferrari- und McLaren-Ingenieur nur drei Monate lang untersagt werden, für einen anderen Arbeitgeber tätig zu werden. Horner kritisiert die FIA: "Wir hätten nie damit gerechnet, dass ein professioneller Mitarbeiter in seiner Position nur drei Monate Arbeitssperre hat!"
Auch für Toro-Rosso-Teamchef Franz Tost ist es "ein No-Go, dass Mitarbeiter der FIA mit so kurzer Vorwarnzeit zu einem Team wechseln können. Normalerweise muss in so einem Vertrag eine Arbeitssperre von mindestens sechs Monaten vereinbart sein." Andere Teamchefs haben am Malaysia-Wochenende sogar zwölf Monate "gardening leave", wie es im Englischen heißt (bezahlte Freistellung), gefordert.
Designierter Nachfolger von Charlie Whiting
Budkowski hatte erst im März die Leitung der Formel-1-Technikabteilung der FIA von Charlie Whiting übernommen. Whiting bleibt zwar vorerst noch offizieller Rennleiter (eine Funktion, die er mittelfristig an Laurent Mekies übergeben wird), soll sich aber schrittweise aus dem Geschäft zurückziehen. Budkowski ist derzeit Vorgesetzter von FIA-Inspektor Jo Bauer und derjenige, dem die Teams zum Beispiel technische Innovationen schicken, um deren Legalität prüfen zu lassen.
"Nehmen wir an, er geht zu Renault. Und wenn dann in den ersten sechs Monaten der nächsten Saison irgendetwas auf dem Renault auftaucht, was aussieht wie eine Lösung von Ferrari oder Mercedes oder Red Bull, haben sie ein Problem. Denn dann geht es um geistiges Eigentum. Wo kommt das her? Wir alle wissen, dass es nicht sein kann, dass geistiges Eigentum so einfach übertragen wird. Das könnte für das Team, das ihn engagiert, zu einem Problem werden."
Für Horner ist klar: Budkowski geht zu Renault
Dass Budkowski mit Renault verhandelt, steht für Horner übrigens fest: Es werde "ein Problem" geben, "wo auch immer er hingeht. Und es wird Renault sein", verrät der Red-Bull-Teamchef augenzwinkernd. Hört man die Kommentare von Renault-Seite zu dem Thema, erscheint das plausibel: "Ich kann das im Moment nicht kommentieren. Es ist Spekulation. Die Formel 1 ist voller Spekulationen", weicht Teamchef Cyril Abiteboul gegenüber 'Sky Sports F1' aus.
Er könne eine Verpflichtung von Budkowski "weder bestätigen noch dementieren. Aber sobald wir etwas zu sagen haben, werden wir es sagen." Und er nimmt die Aufregung der Konkurrenz relativ gelassen, wenn er sagt: "Du gehst nicht in die Formel 1, um Freunde zu gewinnen."
Horner plädiert indes für eine "vernünftige Lösung mit dem Team, das ihn haben möchte. Wir könnten sagen: 'Schau, um uns eine Riesendiskussion zu ersparen, lass uns diesen Tag als frühestmöglichen Arbeitsbeginn festlegen.' Das würde die ganze Emotion rausnehmen."
Wahrscheinliche Lösung: Arbeitssperre wird verlängert
Abiteboul signalisiert Gesprächsbereitschaft: "Ich möchte eins klarstellen: Renault war immer fair und loyal. Wenn auch immer wir etwas tun sollten, werden wir sicherstellen, dass es gegenüber unseren Gegner passiert auf loyale und faire Art und Weise." Denn sollten die drei Monate "gardening leave" auf ein Jahr ausgedehnt werden, würde Budkowski zumindest keine brandaktuellen technischen Geheimnisse von Mercedes & Co. zu Renault mitbringen.
Schließlich hätte Budkowski Whiting als Chefverantwortlichen für die Technik der Formel 1 ablösen sollen. Dass Whiting nun doch länger im Amt bleibt als ursprünglich geplant, soll übrigens laut Informationen von 'Motorsport-Total.com' der Grund für seinen Weggang von der FIA sein. Budkowski wollte nicht länger zweite Geige spielen.
Renault plant aggressive Expansionsstrategie
Abiteboul kümmert sich darum weniger. Für ihn hat etwas anderes oberste Priorität: "Enstone muss wachsen. Wir haben die Fabrik mit 475 Mitarbeitern übernommen. Jetzt sind es 620. Es ist kein Geheimnis, dass diese Leute von irgendwo herkommen müssen. Natürlich müssen wir sie teilweise von anderen Teams abwerben." Renault müsse in Personalfragen "aggressiv vorgehen, um unsere Ziele für 2020 zu erreichen".
Die da sind: "Wir haben immer gesagt, dass wir 2020 zu den Topteams gehören wollen. Das scheint noch weit weg zu sein, gleichzeitig wissen wir aber, wie groß der Schritt noch ist. Zwischen den Topteams und dem Mittelfeld liegen eineinhalb Sekunden. Das ist eine Riesenaufgabe." Derzeit liegt Renault mit 42 Punkten an siebter Stelle der Konstrukteurs-WM. Spitzenreiter Mercedes steht nach 15 von 20 Rennen bei 503 Zählern.
Ein Problem bei der Personalrekrutierung sind laut Abiteboul die üblicherweise langen Arbeitssperren für Ingenieure in der Formel 1. Diese sind ihm ein Dorn im Auge: "Jeder will doch einen interessanten Sport und ein ausgeglichenes Kräfteverhältnis. Was viele unterschätzen, sind die langen Fristen bei den Verträgen von Top-Ingenieuren."
So gesehen war Budkowski mit gerade mal drei Monaten ein echtes "Schnäppchen" ...