1961: Ein Singapur-Grand-Prix für die Ewigkeit
Die vergessene Historie des Singapur-Grand-Prix: Was für ein Höllenritt das Rennen zwischen 1961 und 1973 war und wie ein Teilnehmer das Rennen 2008 zurückholte
(Motorsport-Total.com) - Der Grand Prix von Singapur, der seit 2008 im Kalender ist, wird oft als das härteste aller Formel-1-Rennen beschrieben. Kein Wunder, denn der Kurs lässt die Formel-1-Stars mit seinen 23 Kurven nie zur Ruhe kommen, dazu kommen die enorme Luftfeuchtigkeit und die hohen Temperaturen. Und wem das noch nicht reicht: Es handelt sich mit beinahe zwei Stunden auch um das längste Rennen der Saison.
Doch viele Fahrer und Fans wissen gar nicht, dass das Nachtrennen auf dem Singapore Street Circuit gar nicht der erste Grand Prix im Stadtstaat war: Denn was sich vor 56 Jahren rund zehn Kilometer Luftlinie von der heutigen Formel-1-Strecke abgespielt hat, war ein atemberaubender Ritt auf der Rasierklinge, der sogar über zwei Stunden lang dauerte. Damals wurde der erste Grand Prix von Singapur, der damals keinen Formel-1-Status hatte, auf dem Thompson-Road-Grand-Prix-Circuit ausgetragen.
Die Akteure waren damals nicht die europäischen Rennhelden, sondern die Stars der Szene. Immer wieder wagten sich aber auch Exoten vom alten Kontinent und aus den USA an das Abenteuer heran.
Wie es 1961 zum Grand Prix von Singapur kam
Doch wie kam es überhaupt dazu, dass in Singapur von 1961 bis 1973 elf Grands Prix ausgetragen wurden? Die Regierung wollte schon damals den Tourismus ankurbeln. Unter dem Motto "Visit Singapore - the Oriental Year" machte das Kulturministerium 1961 Gelder locker, um Großveranstaltungen zu fördern.
Und schon damals gab es in Singapur durch den britischen Einfluss eine Motorsporttradition. Der Automobilklub des Landes organisierte im Monatsrhythmus Autorennen und hatte die Idee, einen Grand Prix auszutragen.
Den Zeitpunkt legte man bewusst auf das Wochenende von 15. bis 17. September, da die Teams somit genug Zeit hatten, zwei Monate später beim Klassiker in Macao anzutreten. Und der Zuspruch war enorm: Man fand genügend Teams für neun Rennen - vier davon wurden mit Motorrädern ausgetragen. Insgesamt 200 Piloten gaben für die Bewerbe eine Nennung ab.
Erster Singapur-Grand-Prix als Zuschauer-Hit
Als Austragungsort hatte man keinen Stadtkurs, sondern einen spektakulären Rundkurs am Stadtrand auserkoren. Und die Zuschauer kamen in Massen: 60.000 bis 100.000 Menschen sorgten bei der Premiere für hervorragende Stimmung, was auch an den niedrigen Ticketpreisen lag: Eine Tribünenkarte war für neun Dollar zu haben, für ein Stehplatz-Ticket musste man gar nur einen Dollar hinlegen. Der Andrang war so groß, dass die Maschendrahtzäune niedergerissen wurden. Bereits nach dem zweiten Rennen musste die Polizei in zwei Zuschauerbereichen bereits einen Ticket-Verkaufsstopp erwirken, weil das Gedränge zu groß war.
Das Publikum kam allerdings auf seine Kosten: Die Strecke war "einmalig", beschreibt der aus Singapur stammende Autor Eli Solomon, der in seinem Buch "Snakes & Devils" die Geschichte des von 1961 bis 1973 ausgetragenen Rennens aufarbeitet, den 4,865 Kilometer langen Kurs. "Diese von Straßengräben und Laternenmasten gezeichnete, enge Strecke, auf der es oft das schlechtestmögliche Wetter gab, war definitiv nichts für schwache Nerven."
Und während der aktuelle Kurs eine Aneinanderreihung von 90-Grad-Kurven ist, besticht die alte Strecke, die ausgehend von der Bundesstraße Thompson Road großteils durch den dichten tropischen Wald führte, durch insgesamt neun Kurven und viele Bergauf- und Bergab-Passagen. Auch ein Sprunghügel bei einem leichten Knick auf der Start-Ziel-Gerade, der an die Flugplatzpassage auf der Nürburgring-Nordschleife erinnert, und eine durch Sandsäcke errichte Schikane waren Teil des Spektakels.
Tödliche Gefahr: Von der "Murder Mile" bis zur "Devil's Bend"
Da das Boxengebäude und die damaligen Tribünen jedes Jahr für das Rennen neu aufgebaut wurden, erinnert heute nur wenig an das Rennen, das von 1962 bis 1965 durch die Eingliederung in die Föderation Malaysia vorübergehend als Grand Prix von Malaysia ausgetragen wurde. Dennoch ist der Rundkurs, auf dem unter Formula-Libre-Reglement - also offenen technischen Regeln - gefahren wurde, noch gänzlich erhalten. Und die Namen der Streckenpassagen wie "Snakes" (Schlangen) oder "Devil's Bend" (Kurve des Teufels) deutet an, wie es damals zur Sache ging.
Nach der Haarnadel nach Start und Ziel ging es auf die "Murder Mile" (Mord-Meile), eine Highspeed-Passage, die zum Gasgeben einlädt. "Viele Rennfahrer waren der Ansicht, dass es sich um einen einfachen Knick handelte und haben beschleunigt", erinnert sich der heute 71-jährige Lee Chiu San, der an den letzten drei Ausgaben des Rennens teilnahm, gegenüber 'Asia One'. "Aber manche kamen dadurch von der Linie ab. So konnte einen die 'Murder Mile' umbringen." Was nach Übertreibung klingt, hat sich immer wieder auf tragische Art und Weise bewahrheitet.
Tödlicher Rennunfall sorgt für Gurtpflicht in Singapur
Insgesamt kostete das Rennen in seiner elfjährigen Geschichte sieben Piloten das Leben. 1972 erwischte es Lionel Chan, Neffe des Lokalhelden Chan Lye Choon. Der Autohändler flog beim zweiten Antreten mit seinem Brabham BT 16 in der schnellsten Streckenpassage, die den Namen Long Loop trug, ab und krachte in ein parkendes Auto. Er wurde aus dem Boliden geschleudert, weil dieser keine Sicherheitsgurte hatte, und zog sich schwere Kopfverletzungen zu. Selbst der Rettungshubschrauber konnte ihn nicht retten.
Die schwarze Serie hielt dennoch an: Ein Jahr später verunglückte der Schweizer Joe Huber tödlich. Er donnerte in einen Leitungsmasten. "Das sind traurige Geschichten", blickt Ex-Teilnehmer Lee Chiu San zurück. "Aber das liegt in der Natur der Sache. Niemand hat uns gezwungen, an diesem Rennen teilzunehmen."
Dass die Unfälle zunahmen, war kein Wunder, denn auch die Boliden wurden immer schneller: Während der von Chan Lye Choon in einem Lola-Climax aufgestellte Rundenrekord bei der Premierenausgabe noch 2:47 Minuten betrug, was einem Schnitt von knapp über 100 km/h entspricht, gelang bei der Letztausgabe ein Rundenrekord von 1:54,9 Minuten mit einem Schnitt von 152 km/h. Am Steuer des Birrana-Formel-2-Boliden saß damals der australische Rennfahrer Leo Gheoghegan.
Wie ein damaliger Teilnehmer 2008 den Grand Prix zurückholte
Er stellte eine Bestmarke für die Ewigkeit auf, denn nach den tragischen Unglücksfällen wurde das Rennen nach 1973 nicht mehr ausgetragen. Und so mussten sich die Singapurer lange in Geduld üben, ehe der Grand-Prix-Zirkus im Jahr 2008 wieder in den Stadtstaat zurückkehrte.
Interessant ist, dass es tatsächlich eine Verbindung zwischen dem damaligen Rennen und dem Glamour-Grand-Prix der Neuzeit gibt - denn der aktulle Promoter des Nachtrennes, Colin Syn, trat 1970 und 1973 selbst am Grand-Prix-Wochenende auf dem Thompson-Road-Grand-Prix-Circuit in einem BMW-Tourenwagen an.
Der Mann aus Singapur, der seine Studienzeit in Großbritannien verbrachte und dort zum Jim-Clark-Fan wurde, versuchte bereits Ende der 1980er-Jahre, Ex-Formel-1-Boss Bernie Ecclestone zu überreden, den Grand-Prix-Sport nach Singapur zurückzubringen. Kein Wunder, dass für ihn 2008 nach mehr als einem halben Jahrhundert ein Traum in Erfüllung ging.