Alonsos Vorbild: Der Tag, als Ayrton Senna ein IndyCar testete
Wie Alonsos Idol Ayrton Senna Ende 1992 bei seinem geheimen IndyCar-Test in den USA alle verzauberte, wie schnell er wirklich war und warum daraus nicht mehr wurde
(Motorsport-Total.com) - Fernando Alonsos Indy-500-Gastspiel fasziniert die Motorsport-Welt. Als der Spanier enthüllte, dass er dieses Jahr den Klassiker im Nudeltopf dem Grand Prix von Monaco vorzieht, obwohl er einen Vertrag bei McLaren hat, konnten dies viele Experten kaum glauben. Doch Alonso ist nicht der erste McLaren-Pilot, den es zu den IndyCars zieht. Ausgerechnet Ayrton Senna - das große Vorbild Alonsos - sorgte 1992 beinahe für ein Weihnachtswunder, als er am 23. Dezember unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit auf dem 1,8 Kilometer langen Firebird Raceway West in der Wüste von Arizona testete und mit einem Indy-Start liebäugelte.
Und auch der Grund war ein ähnlicher: Der Brasilianer fürchtete, dass McLaren durch den Ausstieg von Motorenpartner Honda magere Jahre drohen. Daher folgte er dem Ruf seines Freundes Emerson Fittipaldi, den ebenfalls von Marlboro gesponserten Penske-Chevrolet PC21 auszuprobieren. Doch wie erging es der Formel-1-Legende beim einzigen IndyCar-Auftritt?
"Er war einfach unglaublich schnell", sagt ein Mann, der es wissen muss: Penske-Crewchief Nigel Beresford, der den Superstar betreute. Die Erinnerung ist nach wie vor frisch: Senna war an der spartanisch ausgestatten Strecke nur in Begleitung von Marlboro-Manager John Hogan aufgetaucht, der später in der Formel 1 Jaguar-Sportdirektor werden sollte. Das Team hatte sowohl das 1992er-Auto, als auch das Modell für die bevorstehende Saison vor Ort. Zuerst übernahm Fittipaldi das Steuer des alten Autos, doch der Routinier kämpfte mit den Umständen.
Schwierige Bedingungen, große Emotionen
Schon nach wenigen Runden drehte sich der Formel-1-Weltmeister der Jahre 1972 und 1974 wegen der niedrigen Temperaturen auf dem schmalen "Mickey-Mouse-Kurs", der elf Kurven aufweist. "Der Grund waren die kalten Reifen", erinnert sich der damalige Crewchief Beresford gegenüber 'Auto123.com' an die ersten zwölf Runden Fittipaldis. "Die Balance des Autos fand er gut, aber er bemängelte, dass allgemein der Grip fehlt." Aus diesem Grund verstellte man die Bremsbalance etwas nach hinten und und stattete Fittipaldi mit neuen Reifen aus, ehe er weitere zwölf Runden drehte. "Er fuhr zwei Mal eine Bestzeit von 49,7 Sekunden", so Beresford.
Senna verfolgte das Geschehen vom Streckenrand - und mit jeder Runde des Landsmannes wurde seine Faszination größer. "Als das Auto gestartet wurde, wurde mein Rennvirus geweckt", schilderte er im Interview mit dem brasilianischen TV-Sender 'Bandeirantes TV'. "Ich hatte starke Gefühle, als ich Emerson zusah."
Kein Wunder, denn die IndyCars boten den Piloten damals ein puristisches Erlebnis: Während in der Formel 1 die aktive Radaufhängung und das Automatikgetriebe die Fertigkeiten der Piloten ersetzten, fuhr man in den USA noch mit Schalthebel und Stahlbremsen. Und auch die Politik spielte bei weitem nicht so eine große Rolle wie im Grand-Prix-Sport.
Umstellung fordert Senna
Als Senna ins Cockpit kletterte, stand zunächst ein 14-Runden-Stint auf dem Programm. "Normalerweise kommen Formel-1-Fahrer ziemlich rasch auf Tempo", so Beresford, "aber Ayrton fuhr am Anfang ein paar ziemliche langsame Runden, was eine Überraschung darstellte." Grund dafür war die Umstellung auf das Getriebe: "Dieses Auto hatte eine sequentielles Getriebe, und Senna musste sich daran gewöhnen, den Schalthebel zu bedienen, da der McLaren ja schon eine Wippschaltung hatte. Einige Mal kam er daher beim Schalten durcheinander. Dann blieb er komplett stehen, legte den ersten Gang ein und fuhr wieder weiter."
Nach seinem ersten Stint berichtete der dreimalige Weltmeister, dass ihm die Fahrbarkeit des Ilmor-Turbomotors behage, der Bolide aber durch das höhere Gewicht vor allem in der einzigen schnelleren Kurve bei weitem nicht so wendig wie ein Formel-1-Auto sei. Auch der Sound des Turbomotors, der sich grundlegend vom gewohnten Honda-Sauger unterschied, sorgte für eine Herausforderung: "Deswegen hatte er bei der Drehzahl Schwierigkeiten bei der Orientierung."
Senna zaubert: Schneller als Fittipaldi
Senna ging diesmal mit einem weicher abgestimmten Heck auf die Strecke, um ein besseres Gefühl zu bekommen, der Reifensatz blieb aber der selbe. Doch dann verblüffte er die Zaungäste, darunter auch Fittipaldis Crewchief Rick Rinaman: "Nach nur drei Runden war er schneller als Emerson - und das auf einer Strecke, auf der er nie gefahren war, und in einem Auto, das er nicht kannte. Alle erstarrten vor Ehrfurcht."
Tatsächlich gelang Senna eine persönliche Bestzeit von 49,09 Sekunden. Er war damit um 61 Hundertstelsekunden schneller als Fittipaldi, was für Begeisterung sorgte. Auch bei Legenden wie dem eben zurückgetretenen Penske-Fahrer Rick Mears oder dem angehende IndyCar-Ass Paul Tracy, die sofort wissen wollten, wie Senna das Fahrverhalten des Penske-Boliden analysierte.
Und erneut wurden sie Zeugen seiner Extraklasse. "Es war unglaublich, ihm zuzuhören", bestätigt Fittipaldis Crewchief in Christopher Hiltons Senna-Biographie 'The Legend grows'. "Dieser Kerl konnte einem Dinge über das Fahrverhalten sagen, von denen unsere Fahrer noch nie gesprochen hatten. Er sagte uns, wann der Ground Effect abriss, wann die Aufhängung funktioniert und wann der Abtrieb passte. In nur fünf Minuten gab er uns geballte Informationen. Und er beeindruckte damit alle. Wir alle fragten uns: Wann wechselt er zu uns?"
Senna prognostiziert Siege im IndyCar
Sennas Bestzeit sollte den Tag nicht überstehen. Fittipaldi klemmte sich einmal mehr hinter das Steuer - allerdings diesmal im neuen Auto für die Saison 1993, und fuhr in 48,5 Sekunden die Tagesbestzeit. Dennoch war Senna für alle Beteiligten die wahre Sensation. "Emerson war um nur 0,6 Sekunden schneller, und Senna fuhr ein ein Jahr altes Auto auf alten Reifen", erklärt Beresford. "Das war schon sehr gut, und für mich hat es gezeigt, wie außergewöhnlich rasch er sich einstellen und konkurrenzfähige Zeiten fahren konnte, wenn er es mit einer bekannten Größe wie Emerson Fittipaldi zu tun hat."
Doch wie erlebte Senna selbst den Test? "Es ist zwar eine langsame Strecke, und das Auto verhält sich auf eine gewisse Art und Weise, aber es fühlt sich sehr gut an", sagte der damals 32-Jährige. Vor allem die Tatsache, dass der Fahrer das ausschlaggebende Element sei, faszinierte Senna, wie er gegenüber dem Magazin 'Road and Track' offenbarte: "Der Penske hat mich an die alten Zeiten erinnert, als der Mensch das wichtigste war. Heute ist die Formel 1 so hochgestochen, dass die Computer den Großteil der Fahrarbeit verrichten."
"Wenn du also einen cleveren Computer hast, dann bist du in guter Form. Wenn nicht, dann hast du ein Problem. Im IndyCar hat der menschliche Einfluss eine enorme Bedeutung - und das hat mich wirklich begeistert." Ob er in Zukunft IndyCar-Rennen fahren werde, wie von Fittipaldi bereits prognostiziert? "Eines Tages werde ich in einem solchen Auto gewinnen", legte Senna sogar noch eins drauf. "Es ist nur eine Frage der Zeit."
Warum Sennas Indy-Traum nie wahr wurde
Am Ende wurde trotzdem nichts aus der vielversprechenden Ankündigung: Senna blieb 1993 bei McLaren und ließ sich pro Rennen eine Million US-Dollar auszahlen. 1994 erfüllte er sich seinen Williams-Traum, ehe er in Imola unter tragischen Umständen verunglückte. Ob er jemals in die IndyCar-Serie gewechselte wäre und eventuell sogar das Indy 500 gewonnen hätte, werden wir nie erfahren.
Unmöglich ist dies keineswegs: Das beweist ein Gespräch zwischen Fittipaldi und Senna nach dem Test. Auf Fittipaldis Vision, er und Senna würden in Indianapolis aus der ersten Reihe ins Rennen gehen, entgegnete der McLaren-Pilot: "Stell dir vor, Nigel Mansell steht auch in dieser Reihe." Was sich zunächst wie ein Scherz anhört, lag damals tatsächlich im Bereich des Möglichen, denn der amtierende Formel-1-Weltmeister Mansell hatte soeben den Sprung in die USA gewagt und sollte 1993 in Indy lange in Führung liegen, ehe am Ende Fittipaldi zum zweiten Mal gewann und die legendäre Milch trinken durfte.
Bekannt ist aber, dass Senna großen Respekt vor den Gefahren der Ovalrennen hatte. Denn als man einen Tag nach der sensationellen Testpremiere auf dem Fireway Raceway West auf den Phoenix International Raceway wechselte, ließ es der Formel-1-Superstar nach ein paar Runden im Oval gut sein - trotz der Bemühungen Fittipaldis, ihn zum Weiterfahren zu bewegen. Lieber beobachtete er Fittipaldi und Tracy bei ihren Versuchsfahrten.
Wie enorm die Unterschiede zwischen den Ovalrennen und der Formel 1 wirklich sind, zeigte sich nur wenige Monate später ausgerechnet in der Box neben Ayrton Senna: Dort hatte Oval-Profi Michael Andretti enorme Mühe, sich auf die selbsternannte Königsklasse des Motorsports einzustellen, und flüchtete schon vor Saisonende wieder zurück in die USA. Interessant: Ausgerechnet jener Michael Andretti leitet nun McLarens IndyCar-Team, für das Alonso in Indianapolis startet. Er kann nachfühlen, worauf sich der Spanier einlässt.