Formel-1-Technik 2017: Mercedes F1 W08 wird noch hässlicher
Die Silberpfeile wollen noch eine große Rückenflosse testen, weshalb der T-Flügel eingemottet werden könnte - Radaufhängung und Radstand sorgen für Staunen
(Motorsport-Total.com) - Der Mercedes F1 W08 ist das Auto, das es in der Formel-1-Saison 2017 zu schlagen gilt. Die Silberpfeile haben sich im Winter nicht auf den Lorbeeren von sechs WM-Titeln in drei Jahren ausgeruht - sondern ein radikales Konzept entwickelt, um auch unter dem neuen Technikreglement noch der Platzhirsch zu sein. Wir haben uns angesehen, welche Tricks und Kniffe im neuen Machwerk aus Brackley stecken - und wissen, dass Neo-Technikchef James Allison noch alles umschmeißen könnte.
Einen erstaunlich einfachen Ansatz wählt Mercedes bei der Nase. Ein Daumen und Stützstreben, die aerodynamisch wirken, fehlen. Stattdessen will man den Luftstrom möglichst gerade unter das Auto leiten und keine Gefahr laufen, dass er sich durch solche Spielereien von der Karosserie löst. Zumindest vorerst. Denn: Ob noch komplexere Teile kommen ist offen. Chefingenieur Aldo Costa sagt: "Das Auto wird sich von jetzt bis Melbourne bei allen Aeroteilen grundsätzlich verändern."
Das mag auch für den V-förmigen Frontflügel gelten. Er ist bereits kompliziert und verschachtelt - so wie bei sämtlichen Konkurrenten. Keine Überraschung ist es auch, dass Mercedes auf einen (sogar vergrößerten) S-Schacht setzt, der Luft von der Unterseite der Nase auf die Oberseite des Chassis' führt und so für zusätzlichen Anpressdruck sowie für weniger Verwirbelungen sorgt. Mehr Innovation, aber auch mehr Risiko verspricht die neue, fragil wirkende Vorderradaufhängung.
Zwei Querlenker mit Druckstrebensystem sind noch konventionell. Allerdings ist einer von ihnen extrem hoch angebracht, was es nötig macht, ihn nicht direkt mit dem Radträger zu verbinden, sondern ein zusätzliches Teil zu gebrauchen. So knickt der obere Querlenker kurz vor der Reifenwand ab und führt über eine Art Bogen parallel zum Rad in den Radträger. Das hat den Vorteil, dass aerodynamisch nichts stört, mehr Luft unter das Auto kommt und die Konstruktion verwindungssteifer wird..
Die mysteriöse "Wunderaufhängung", die aerodynamisch mitspielen soll, ist auf den Fotos von der Präsentation nicht zu erkennen. Hier liegen die interessanten Teile zwischen den Querlenkern, was das Chassis aber verdeckt. "Am schwierigsten ist es, es hinzubekommen, mit den Reifen zu haushalten. Und herauszufinden, wie sich die neuen Pneus überhaupt verhalten", erklärt Costa, wieso die Silberpfeile so viel Mühe in diesen schon im Vorjahr sondierten Bereich gesteckt haben.
Fruchten die Experimente, könnte der F1 W08 weniger Verschleiß und Abbau verzeichnen sowie in der Lage sein, die Randsteine härter zu nehmen. "Wir brauchten ein Layout, das beide Aspekte erfüllt, aber gleichzeitig flexibel ist - wenn sich an den Reifen etwas ändert oder sich bei der Aerodynamik etwas tut", so Costa weiter. Ergo wählten er und die Designer eine Geometrie, in die sich relativ zügig eingreifen lässt, ohne dafür neue Baustellen am Gesamtkonzept zu eröffnen.
Nicht zu übersehen sind die Bargeboards und Leitbleche seitlich des Cockpits, die in viele Elemente aufgeteilt sind und sich hinter den Vorderrädern wie ein Fächer aufspannen. Am vorderen Ende der Seitenkästen sind die bügelförmigen Zusatzflügel so groß, dass sogar der Sponsorenschriftzug teilweise abgetragen werden musste - deshalb sind sie nur schwer zu erkennen. Die Seitenkästen verpacken die Kühler extrem eng und laufen auf ein extremes Cola-Flaschen-Design am Heck zu.
Offenbar treibt es Mercedes mit der Schlankheitskurs so weit, dass eine Delle im Seitenkasten entsteht, um die inneren Organe möglichst eng zu verpacken. Das hat zur Folge, dass weite Teile des Unterbodens (dessen Mindestbreite die FIA vorgibt) überstehen. Die Designer nutzen selbst diese Fläche für kleine Zacken vor den Hinterrädern, die ebenfalls den Luftstrom beruhigen sollen.
Was Ästheten frohlocken ließ: Der F1 W08 hat keine große Rückenflosse wie seine Konkurrenten - nur mit Ausnahme des Williams. Stattdessen zieht sich entlang der Motorabdeckung eine kleine Finne hin zum Auspuff. Doch die hässliche "Schrankwand" könnte noch kommen. "Wir haben zumindest heute keine", lässt Costa am Rande der Präsentation durchblicken. "Wir werden sie definitiv in Barcelona ausprobieren, wenn wir verschiedene Flügelvarianten im Gepäck haben werden."
Beim Shakedown in Silverstone setzte Mercedes auf einen T-Flügel zwischen der Motorabdeckung und dem Heckflügel. Er funktioniert exakt wie die Haifischflosse und sorgt nicht selbst für Abtrieb, sondern führt den Luftstrom nur in Richtung des Heckflügels, der bei Mercedes deutlich geschwungen ist und viele Schlitze aufweist. Ob der T-Flügel eleganter aussieht als das sperrige Segel, liegt allerdings im Auge des Betrachters. Dezenter ist die schwarze Palme allerdings allemal.
Sonst noch charakteristisch für den W08: der lange Radstand. Laut 'auto motor und sport' soll der Bolide gegenüber seinem Vorgängermodell um 25 Zentimeter gewachsen sein. Das verschafft mehr Spielraum für Experimente mit der Aerodynamik, die Mercedes in Barcelona auskosten wird.