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Gary Anderson antwortet: Werden die 2017er-Autos originell?
Erleben 2017 originelle Designlösungen ein Comeback? Und wer kriegt schneller die Kurve, Renault oder Ferrari? Technikexperte Gary Anderson antwortet Lesern
(Motorsport-Total.com) - Wie kam es zu innovativen Designlösungen? Und könnte es 2017 im Jahr der großen Reglement-Revolution ein Comeback geben? Wer löst seine Probleme schneller - Ferrari oder Renault? Und welche konkreten Herausforderungen stellt das 2017er-Reglement? Diese und viele weitere Fragen über die neue Formel 1 beantwortet Technikexperte und Ex-Jordan-Technikchef Gary Anderson in der neuesten Ausgabe unserer Serie. Der Nordire bringt damit etwas Licht in einen Bereich, der dem normalen Fan meist unerschlossen bleibt: die Technik der Frormel 1.
Mohammad Khajah (E-Mail): "Der Jordan 196 und der Ferrari F310 zählen zu meinen Lieblings-Formel-1-Autos, denn beide hatten unverwechselbare Seitenkästen-Formen. Welche Designüberlegungen haben beim Jordan zu diesem doppelten Lufteinlass geführt?"
"Und könnten so ungewöhnliche Designs in den kommenden Jahren ein Comeback erleben, so wie der McLaren MP4-26 Seitenkästen im Stil des F310 hatte?"
Anderson: "Keines dieser Autos zählten zu den besten im Feld, sie waren aber zumindest anders. Zur zweiten Frage Frage: Ich glaube nicht, dass wir derartige Designs wiedersehen werden. Das Reglment ist inzwischen so engmaschig, dass solche Dinge einfach nicht mehr möglich sind."
"Was zu diesen Designs geführt hat, ist ein bisschen schwieriger zu erklären, aber ich versuche es mal. Die Kühlung eines Formel-1-Autos ist stets ein Kompromiss. Zwar ein sehr wichtiger, aber es bleibt ein Kompromiss. Ganz grob erklärt, muss der Einlass rund 18 Prozent des Kühler-Kernbereichs betragen, der Auslass rund 25 Prozent. Wenn man das gewährleisten kann, und die interne Kühlluftabführung effizient ist, dann wird der Kühler gut durchströmt. Diese Bereiche müssen beim Designprozess sehr früh festgelegt werden."
"Dafür schaut sich das Team die Durchschnittsgeschwindigkeit des Autos auf allen Kursen an und erhält somit einen Saison-Durchschnittsgeschwindigkeit. Bei dieser Geschwindigkeit sollte das Verhältnis Design vs. Kühlungs-Luftstrom optimal sein."
"Auf langsameren Kursen öffnet das Team den Kühlungs-Auslass, wodurch das Auto aber weniger effizient funktioniert. Auf schnelleren Kursen wird der Auslass geschlossen, wodurch das Auto effizienter wird. Wenn das Auto schneller wird, dann kann der Kühler nicht mehr die gesamte zugeführte Luft verarbeiten. Dadurch gibt es an der Vorderkante des Lufteinlasses einen Luftüberlauf. Einlass- und Seitenkastendesign müssen dafür sorgen, dass dadurch die Abtrieb erzeugenden Elemente nicht gestört werden."
"Wenn der Einlass zu klein ist, dann wird das Auto bei niedrigen Geschwindigkeiten nicht ausreichend gekühlt. Wenn er zu groß ist, gibt es mehr Überlauf. Das gleiche gilt für den Auslass: Ist er zu klein, wird nicht ausreichend gekühlt und der Überlauf beim Einlass ist größer, ist er zu groß, erzeugt das zu viel Luftwiderstand. Das hat mich dazu veranlasst, den Doppel-Kühleinlass zu entwickeln. Ich bin sicher, dass Ferrari ähnliche Beweggründe hatte."
Ferrari oder Renault: Wer schafft zuerst den Durchbruch?
Tim Ceuppens (Twitter): "Wer wird zuerst Erfolg haben: Ferrari oder Renault? Bei beiden scheint es ein Durcheinander zu geben..."
Anderson: "Tim, du hast recht. Bei beiden gibt es ein Durcheinander, aber Ferrari hat die beste Basis, um früher zum Erfolg zu gelangen. Mit Erfolg meine ich, konkurrenzfähig zu sein, wer auch immer das Feld anführt. Wenn es aber um eine Dominanz wie zuletzt von Red Bull oder Mercedes geht, dann wird das bei Ferrari noch lange dauern."
"Renault ist trotz all der Stärken aus den goldenen Zeiten der Truppe aus Enstone derzeit kein ordentlich Rennteam. Dort muss man noch herausfinden, wie alles zusammenpasst, außerdem scheint es Machtkämpfe zu geben. Das gesamte Management besteht aus Angestellten, und sie kämpfen um Anerkennung. Dieser Prozess wird Zeit und ein paar harte Entscheidung benötigen. Ich sehe aber niemanden, der diese Entscheidungen treffen wird, denn diejenigen, die das tun sollten, würden selbst darunter leiden."
Marty P (Twitter): "Formel-1-Motoren müssen inzwischen vier Rennen lang halten. Wäre es auch möglich, dass sie diese Distanz am Stück absolvieren, wie bei den 1.000 Kilometern von Bathurst?"
Anderson: "Ich wüsste nicht, was dagegen spricht. Sie müssten vielleicht mit einem geringfügig anderen Öl betrieben werden, da das Schmiermittel eine höhere Viskosität und Konstanz aufweisen und/oder eine etwas bessere Kontrolle der Öl- und Wassertemperaturen gewährleisten muss. Abgesehen davon bin ich mir sicher, dass die Antriebseinheit ziemlich kugelsicher sein sollte. Also die gängigen Antriebseinheiten natürlich, nicht die in Lewis Hamiltons Auto (Das ist ein Witz - für die Leute, die an Verschwörungstheorien glauben)."
Stephen McEvoy (Twitter): "Werden die breiteren Reifen die Boxenstopps ab 2017 wegen der Veränderungen bei Größe und Gewicht erschweren?"
Anderson: "Stephan, das wird einen Unterschied machen, da die Reifen viel klobiger sein werden. Da 20 Leute an einem Auto arbeiten, steht kaum Platz zur Verfügung, also werden alle ein bisschen weiter von ihrer gewünschten Position wegstehen."
"Was das Gewicht angeht: Die Boxenstopp-Jungs sind gut trainiert, also sollte das keinen großen Unterschied machen. Es wird aber sicher nicht einfacher. In der Anfangsphase des Jahres werden wir sicher mehr Fehler sehen, aber die werden ziemlich schnell wettgemacht werden."
David Curtis (E-Mail): "Welche Herausforderung beim Luftstrom, bei der Aufhängung, bei der Auflagefläche und der Balance werden durch die breiteren Reifen entstehen?"
Anderson: "Die Autos werden auch breiter. Der Frontflügel wird breiter - es wird also keinen dramatischen Unterschied geben, was die Luftführung um die Vorderreifen herum angeht. Grundsätzlich ist es, als würde man ein aktuelles Auto vertikal in der Mitte des Vorderreifens und des Hinterreifens teilen und den erlaubten Wert breiter machen."
"Die vergrößerte Reifenbreite wird den gesamten Luftwiderstand vergrößern. Die Reifen machen schließlich 35 Prozent des gesamten Luftwiderstands eines Autos aus - das wird also ansteigen. Was noch wichtiger ist: Mit größeren Reifen, die vermutlich mehr Grip bieten, stellt sich die Frage, wie die Teams mit dem aerodynamischen Nachteil umgehen, der sich nicht vermeiden lassen wird, damit die Radaufstandsfläche optimiert wird.
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Reifen mit mehr Grip würden nichts bringen, wenn man in diesem Bereich zu viele Kompromisse eingeht, um aerodynamische Vorteile herauszuholen. Das erinnert mich ein bisschen an die Zeit der V8- oder V10-Motoren. Die Aerodynamik hat alles dominiert, und die Kühlungssystem wurden aus aerodynamischen Gründen immer kleiner. In Zeiten des Reglements der Antriebseinheiten haben sich die Prioritäten verschoben und man will das beste herausholen. Daher haben die Kühlungssysteme mehr Ein- und Ausläss als ein Oktopus Fangarme hat."
105 statt 100 Kilogramm: Wird 2017 weniger Sprit gespart?
Jes G Knudsen (Twitter): "Gilt das Spritlimit von 100 Kilogramm nur für das Rennen, oder zählt auch die Aufwärmrunde? Wird die Steigerung auf 105 Kilogramm nächstes Jahr dafür sorgen, dass weniger Sprit gespart wird?"
Anderson: "Die 100 Kilogramm gelten vom Ausgehen der Lichter bis zur Zielflagge. Das Auto darf in der Aufwärmrunde oder in den Runden zur Startaufstellung mehr Sprit nutzen, aber im Rennen gelten die 100 Kilogramm."
"Die 105 Kilogramm werden im nächsten Jahr nicht viel ändern, weil - wie ich oben erklärt habe - der Luftwiderstand höher sein wird. Das ist auf die breiteren Autos und Reifen zurückzuführen. Die zusätzlichen fünf Kilogramm werden darin aufgehen."
Roland D Wiltschnegg (E-Mail): Es ist immer wieder Thema, welchen Einfluss das Gewicht auf die Rundenzeit hat. Welchen Einfluss hatte das Gewicht bei einem einen Formel-3-Auto ohne Flügel zu Zeiten deines Anson SA2 (1977)? Was würden 20 Kilogramm ausmachen?"
Anderson: "Roland, das Gewicht hat und wird sich immer auf die Performance von jedem Objekt auswirken, das von einer gewissen Energiemenge betrieben wird."
"Ein typisches Formel-1-Auto, dessen Balance im Verhältnis zum Gewicht konstant bleibt, verliert mit jeden zusätzlichen zehn Kilogramm 0,3 Sekunden pro Runde. Daher sollte das Auto vom Qualifying zum Rennen, wenn 100 Kilogramm dazukommen, drei Sekunden verlieren."
"Normalerweise verliert man sogar noch mehr Zeit, weil mit Autos und Reifen etwas vorsichtiger umgegangen wird. Wegen der geringeren Leistung und der schwächeren Bremsen sollte der Unterschied bei einem Formel-3-Auto noch größer sein, aber um repäsentative Zahlen zu erhalten, muss das Auto konstant am Limit gefahren werden. Mich würde es nicht überraschen, wenn der Unterschied bei zehn Kilogramm eine halbe Sekunde ausmachen würde, und rückblickend war das wohl der Grund, warum ich ein Ingenieur und kein Fahrer geworden bin."
Spitz zulaufende oder breiter ausgelegte Aero-Einstellung?
Peter Bukovca (E-Mail): "Kannst du den Unterschied zwischen einer spitz zulaufenden und einer breiter ausgelegten Aerodynamik-Einstellung erklären? Bedeutet ein spitz zulaufender Abtriebsbereich immer ein schmäleres Arbeitsfenster und ein empfindlicheres Fahrverhalten und verleiht einem eine breiter ausgelegte Einstellung mehr Abtrieb in einem breiteren Bereich."
"Wenn ja, um wie viel? Kann eine spitz zulaufende Aero-Einstellung ageflacht werden, ohne zu viel Abtrieb zu opfern, oder ergibt dies automatisch einen proportionalen Abtriebsverlust?"
Anderson: "Pete, das stimmt. Ein spitz zulaufender Abtrieb bedeutet eine schmaleres Arbeitsfenster, speziell, was den Bodenabstand angeht. Wenn der Abtrieb spitz zuläuft, muss man das Auto besser kontrollieren, auf steifere Federn setzen und dafür sorgen, dass sich das Auto weniger bewegt. Das wirkt sich negativ auf das Räubern über die Randsteine und den mechanischen Grip bei niedriger Geschwindigkeit aus."
"Der durchschnittliche Abtrieb ist entscheidend, nicht die Spitzen. Wenn man seine ersten Simulationen mit einer künstlichen, linearen Aero-Einstellung durchführt und die Federn-Steifigkeit vorne und hinten auf einen Wert bringt, der für Bremsen und Traktion am besten passt, dann erhält man für eine Runde unterschiedliche Bodenabstände. Dann macht sich die Aerodynamikgruppe an die Arbeit, um den optimalen durchschnittlichen Abtrieb für diese Bodenabstände zu finden. Gelingt das, dann wird man am Ende ein gutes Auto haben. Verbessert man das allgemeine Niveau des durchschnittlichen Abtriebs, dann erhält man ein besseres Auto."