Manor-Boss Steven Fitzpatrick: Heilsbringer ohne Gesicht
Der scheue Manor-Besitzer Steven Fitzpatrick bricht sein Schweigen: Wie er Manor zum am meisten verbesserten Team 2016 machte und wieso Irvine daran schuld ist
(Motorsport-Total.com) - Er hat es geschafft, das Manor-Team vor dem Aus zu retten. Und er hat mit Pascal Wehrlein, Ex-Ferrari-Technikchef Pat Fry, Ex-Ferrari-Chefdesigner Nikolas Tombazis sowie Ex-McLaren-Sportdirektor Dave Ryan eine schlagkäftige Truppe geformt. Kein Team hat sich im Vergleich zu 2015 so stark verbessert. Doch während es Teambesitzer wie Vijay Mallya lieben, sich im Scheinwerferlicht der Formel 1 zu sonnen, scheut Manor-Besitzer Steven Fitzpatrick die Medien.
© xpbimages.com
Schattenmann: Steven Fitzpatrick überlässt Leuten wie Dave Ryan (re.) das Licht Zoom Download
Der aus Belfast stammende Nordire, der mit seinem Startup-Unternehmen OVO Energy in Großbritannien die etablierten Energieanbieter aufmischt, traf 2014 als Zuschauer in Singapur eine Entscheidung: Ich will in die Formel 1. "Ich habe nach dem Rennen gemerkt, dass es nicht mehr ausreicht, nur zuzusehen", sagt der 38-Jährige, der sich gegenüber 'Motorsport-Total.com' erstmals in einem ausführlichen Interview der Öffentlichkeit stellt. "Ich habe also einen Weg gesucht, bei den kleineren Teams einzusteigen."
Ein Rennen später verunglückte Jules Bianchi, und der damalige Marussia-Rennstall rutschte in die Insolvenz. "Ich dachte mir: Was ist da los?", erzählt Fitzpatrick. "Ich hätte es damals nicht für möglich gehalten, eines der Teams zu kaufen, aber ich nahm mit dem Insolvenzverwalter Kontakt auf, und wir haben uns unterhalten. Drei oder vier Monate später war alles unter Dach und Fach."
Eddie Irvine als Auslöser
Fitzpatrick hatte sich davor mit dem Gedanken gespielt, sich mit seinem Energieunternehmen in der Formel E zu engagieren. "Ich habe mir das angeschaut, aber dann wurde mir bewusst, dass ich eigentlich die Formel 1 liebe. Meine Idee war es also, mit OVO Formel-1-Teams mit erneuerbaren Energien auszustatten." Er outet sich als Romantiker: "Ich hatte dieses schöne Bild vor mir: Man benutzt Windenergie, um Windkanäle anzutreiben. Da gibt es schöne Synergien."
Doch kurz darauf war er Formel-1-Teambesitzer, und ein Kindheitstraum ging in Erfüllung. Auslöser war sein Vater, der bei den Rennen am Sonntagnachmittag stets vor dem TV-Gerät mitfieberte. Und ein gewisser Eddie Irvine. "Er stammt aus meiner Heimatgemeinde Bangor", verrät Fitzpatrick.
Als junger Student konnte Fitzpatrick nicht mehr widerstehen und kaufte sich ein Tickets für den Grand Prix von Großbritannien in Silverstone - sein erster Rennbesuch. "Ein paar Freunde und ich fuhren dann jedes Jahr zum Rennen und haben am Golfplatz in Whittlebury kampiert. Dann spazierten wir zur Stowe-Kurve, wo wir zugeschaut haben."
Wie Fitzpatrick Manor 2015 doch noch an den Start brachte
Zu einer aktiven Rennkarriere hat es nicht gereicht: "Ich wollte immer fahren, aber mir hat das Talent gefehlt." Dennoch testete er kürzlich einen Formel-Ford-Boliden. Ähnlich schwierig muss sich für Fitzpatrick auch der Formel-1-Einstieg als Teamboss angefühlt haben. Da das Team die letzten zwei Saisonrennen 2014 ausließ, drohte Formel-1-Boss Bernie Ecclestone bereits mit Lizenzverweigerung. Außerdem hatte man die FIA-Anmeldefrist verpasst. Und die Gläubiger machten Druck.
"Wir hatten keinen Masterplan", verweist er auf die Gespräche mit den beiden Teamgründern Graeme Lowdon und John Booth. "Dafür war keine Zeit. Die einzige Frage war: Ist es möglich? Und wenn ja, was müssen wir dafür tun?" Ausgerechnet als das Team auf wundersame Weise die Kurve kriegte und im März 2015 nach Australien reiste, erwartete Fitzpatricks Frau Sophie das dritte gemeinsame Kind - und der Unternehmer verpasste seine Rennpremiere als Manor-Boss.
Bald hatte sich Fitzpatrick an das Leben im Zeitraffer gewöhnt: "Man kann gar nicht schnell genug schauen, und man ist schon in Monaco. Und dann in Silverstone - und man bereitet schon das nächste Jahr vor." So kam es zur Trennung mit den Manor-Urgesteinen Booth und Lowdon, die nun in der Langstrecken-WM ebenfalls unter dem Namen Manor an den Start gehen.
Star-Auflauf: Fitzpatrick baut Manor erfolgreich um
Da alles so schnell gehen musste, wurde ihm erst später bewusst, dass die Differenzen zu groß waren: "Ich hatte mit ihnen zuvor nicht gearbeitet, also konnte ich unmöglich sagen, ob es eine gute Partnerschaft werden würde." Doch was für viele bereits wie das sichere Aus klang, war erst der Anfang: Fitzpatrick hatte den ehemaligen Mercedes-Technikchef Bob Bell überzeugt, als Berater an Bord zu kommen.
Der ebenfalls aus Belfast stammende Routinier krempelte die Struktur um, leitete eine technische Partnerschaft mit Mercedes ein und lotste Ex-McLaren- und -Ferrari-Mann Pat Fry sowie Ferrari-Designer Tombazis zum Hinterbänkler-Team, ehe er sich wieder zurückzog. Mit dem Neuseeländer Dave Ryan stand aber der nächste Hochkaräter vor der Tür: Das McLaren-Urgestein hatte in Woking als Renningenieur und Sportdirektor fungiert, war aber gemeinsam mit Lewis Hamilton über die Lügenaffäre gestolpert und musste als Bauernopfer herhalten.
Über die Mercedes-Partnerschaft kamen die aktuellen Piloten Wehrlein und Esteban Ocon an Bord. Der zehnte Platz des amtierenden DTM-Champions in Spielberg könnten dem Rennstall einen Anteil von 13,5 Millionen Dollar an Ecclestones TV-Geldern bringen - ein Riesenerfolg für die kleine Mannschaft, die mit einem Minibudget auskommen muss.
Thomas Mayer: Ex-Lotus-Betriebsleiter als neuer starker Mann
Doch lange hielt man in Banbury, wo das Team sitzt, nicht inne. Fitzpatrick stellte die Weichen für die Zukunft und holte mit dem Züricher Thomas Mayer den ehemaligen Lotus-Betriebsleiter an Bord. Mayer, der vor der Formel 1 bei Bombardier in der Luftfahrtindustrie tätig war und nun seit August als Geschäftsführer fungiert, ist der neue starke Mann in Banbury.
Das gesamte Team, darunter auch Sportdirektor Ryan, berichtet an ihn. "Es gibt keine Ausnahmen", bestätigt Mayer gegenüber 'Motorsport-Total.com'. "Und ich bin da sehr streng. Man muss nur manche Leute über meinen Ruf befragen..." Mayer will seine technische Expertise einsetzen, um weitere Spezialisten anzulocken.
Ein Coup ist bereits gelungen: Mit dem ehemaligen Amazon-Softwareentwickler Alfonso Ferrandez, der als Technologieleiter an Bord gekommen ist. Der 43-Jährige soll seine Erfahrung vom Online-Versandhaus nutzen, um Cloud-basierte Software-Lösungen beim Formel-1-Rennstall salonfähig zu machen.
Auf Force Indias Spuren: Manor will bestes Privatteam werden
Die Ziele für die Zukunft sind bereits gesetzt. Während viele Topteams auf einen Fünfjahresplan setzen, an dessen Ende der WM-Titel steht, hängen die Trauben bei Manor etwas niedriger. "Der Fünfjahresplan, den wir im Vorjahr erstellt haben, zielt darauf ab, jedes Jahr einen Platz in der Konstrukteurs-WM gutzumachen. Und wir sind im Plan, denn ein Team liegt hinter uns." 2017 will man von der Reglementrevolution profitieren: "Da alle bei Null anfangen, haben wir die Chance, einen großen Sprung zu machen, wenn wir alles hinkriegen."
Und 2020 wäre man nach diesem Plan Sechster in der Konstrukteurs-WM. "Wir wollen das beste unabhängige Team werden", stellt Fitzpatrick klar. "Und Force India zeigt mit seinem Modell, dass es möglich ist." Das Wichtigste ist für den Formel-1-Enthusiasten aber, dass sein Team weiter wächst. Um das zu gewährleisten, würde er sich im Extremfall sogar zurückziehen: "Ich werde tun, was auch immer im Interesse des Teams steht", zeigt er sich demütig. Klingt nicht gerade so, als würde seine Präsenz in der Öffentlichkeit in Zukunft deutlich zunehmen.