Drink mit Eddie Irvine: "Formel 1 wurde zu perfekt gemacht"
Warum die Formel 1 so langweilig ist: Eddie Irvine kritisiert, dass Kerbs keine Autos mehr kaputt machen, und schimpft über die kleinlichen Rennkommissare der FIA
(Motorsport-Total.com) - Dass der ehemalige Ferrari-Star kein großer Fan der modernen Formel 1 ist, wissen unsere Leser schon seit der allerersten Folge unserer Video-Interviewserie "Ein Drink mit Eddie Irvine". In der neuen Sommerpausen-Folge (#12) nehmen wir uns das Thema anlässlich der jüngsten Diskussionen über Track-Limits und Co. noch einmal zur Brust, während Irvine mit seinem Boot entspannt vor Santa Margherita dümpelt, einem seiner liebsten Plätze auf der Welt.
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Kultig: Eddie Irvine lässt an der modernen Formel 1 kaum ein gutes Haar Zoom Download
Seiner Meinung nach gibt es vor allem ein "grundlegendes" Problem: "Die Formel 1 wurde zu perfekt gemacht. Jetzt ist sie langweilig." Das fange "bei den Kerbs an, geht über die Regeln und das Qualifying. Alles muss genau so sein, wie es sein soll, und das ist langweilig. Die Formel 1 war schon immer durch das Ungewöhnliche interessant. Das ist doch bei allem so! Ich finde, dass die Schönheit in den Fehlern liegt." So wie bei schönen Frauen, die im Streben nach der absoluten Perfektion vom Schönheitschirurgen verpfuscht wurden.
Über Diskussionen wie über die Track-Limits kann sich Irvine, der sich heute nur noch aus der Ferne mit dem Thema Formel 1 auseinandersetzt, bestenfalls amüsieren: "Kerbs sollten das Auto kaputt machen. Und wenn sie das Auto kaputt machen, dann solltest du halt nicht drüberfahren. Fahrer, die dann nicht den Fehler machen, über die Kerbs zu fahren, werden am Ende belohnt", ärgert er sich über den Wahn, alle Auslaufzonen im Streben nach mehr Sicherheit asphaltieren zu lassen.
Lieber Pizza statt Hockenheim schauen
Beim Grand Prix von Deutschland in Hockenheim hat Irvine wieder einmal versucht, sich ein Formel-1-Rennen im TV anzusehen. Das ging aber nicht lange gut: "Ich habe Hockenheim vielleicht fünf Minuten geschaut, dann habe ich mir eine Pizza bestellt. Und die Pizza war ehrlich gesagt viel interessanter!" Weil der Formel 1 trotz der gut gemeinten Regelreform für 2017 ein Masterplan für das große Ganze fehlt, wie Irvine kritisiert.
"Sie müssen sich erst mal hinsetzen und einen Plan machen. Denn sie treffen immer wieder kurzsichtige Entscheidungen, machen sie wieder rückgängig und finden etwas anderes. Stattdessen sollten sie einmal Abstand gewinnen und das eigentliche Problem wirklich verstehen", fordert der 50-Jährige. Ein "großes Problem" sei zum Beispiel, dass in der Formel 1 diejenigen entscheiden, die selbst das Tagesgeschäft machen - nämlich zum größten Teil die Teamchefs selbst.
Warum entscheiden in der Formel 1 die CEOs?
In großen Konzernen sei es hingegen üblich, dass der CEO nur das Tagesgeschäft macht, die strategischen Entscheidungen aber vom übergeordneten Vorstand getroffen werden, der mehr Distanz und Weitblick hat. Irvine: "Bei den Entscheidungen mischen zu viele Leute mit. Ferrari will dies, Mercedes will jenes. Die kleinen Teams wollen wieder etwas anderes. Und Bernie - ich liebe ihn heiß - ist zu alt. Und dann sind da ja noch einige andere..."
Konkrete Kritik an der modernen Formel 1: "Die Autos gehen nicht mehr kaputt. Früher haben die kleinen Teams nur Punkte geholt, weil die großen Teams ausgeschieden sind. Das war aufregend für alle, denn so war immer ein Überraschungsergebnis möglich", erinnert sich Irvine. "Du kannst natürlich nicht erzwingen, dass die Autos kaputt gehen, aber du kannst dafür sorgen, dass ein Auto kaputt geht, wenn ein Fahrer zu hart über einen Kerb fährt. Fahrer, die Fehler machen, müssen bestraft werden."
"Wenn Fahrer heute Fehler machen und von der Strecke abkommen, verlieren sie in 50 Prozent der Fälle nicht einmal mehr eine Position. Fehler müssen bestraft werden. Wenn die Fahrer in den 60ern Fehler gemacht haben, konnten sie dafür sterben. Das ist nicht erstrebenswert. Aber heute verlieren sie nicht einmal mehr eine Position. Das ist lächerlich", schüttelt er den Kopf.
Irvine: Früher wurden Fehler viel härter bestraft
Irvine findet zudem - wie viele puristisch veranlagte Fans -, dass DRS der Formel 1 enorm geschadet hat: "Und dann ist da dieser Knopf, mit dem du überholen kannst. Heute ist es egal, ob du im Qualifying Sechster oder Siebter wirst, denn die schnelleren Autos drücken den Knopf und überholen. Der Druck im Qualifying ist nicht mehr der gleiche. Wenn du heute im Qualifying einen Fehler machst, ist das nicht mehr so entscheidend", meint er und betont erneut: "Fehleinschätzungen müssen viel härter bestraft werden."
Dass das anno 2016 nicht mehr der Fall ist, gleichzeitig aber Nico Rosbergs harte Manöver gegen Lewis Hamilton in Spielberg und gegen Max Verstappen in Hockenheim von der FIA sanktioniert werden, ist in seinen Augen Sinnbild für den verfahrenen Zustand einer Formel 1, in der es keinen Masterplan gibt. "Riskante Überholmanöver sollten ermutigt werden", findet er. "Ja, daraus entsteht Ärger, Leidenschaft: 'Er hat mich rausgeschoben!' Aber wäre das nicht gut? Wäre es nicht schön, ein bisschen Leidenschaft und ein paar Streitereien zu haben?"
Einen Sündenbock sieht Irvine in diesem Kontext auch, und der heißt nicht Charlie Whiting: "Das mit den Rennkommissaren ist das gleiche Problem wie mit Regierungsvertretern: Die werden engagiert, um Regeln durchzusetzen", kritisiert er. "Wenn sie keine Regeln mehr durchsetzen, haben sie keinen Job mehr. Sie wollen irgendetwas tun, um nicht einfach nur dazusitzen und das Gefühl zu haben, das sie überflüssig sind." Er selbst möchte aber kein Rennkommissar sein. "Nur wenn ich hundertprozentige Kontrolle hätte und dafür mein Boot nicht verlassen müsste", lacht der letzte Playboy der Formel 1...