1997: Ein Ungarn-Grand-Prix für die Ewigkeit
Nah dran: Ein Pfennigteil verhindert 1997 in Ungarn den großen Coup von Damon Hill, der im damals unterlegenen Arrows kurz vor dem Sieg steht
(Motorsport-Total.com) - Beinahe wäre es 1997 zu einer der größten Sensationen in der Formel-1-Geschichte gekommen, doch der Große Preis von Ungarn hinterließ einen tragischen Helden, der bis eine halbe Runde vor Schluss vom großen Coup träumen durfte. Auf dem Hungaroring von Budapest war Damon Hill in diesem Jahr die alles überstrahlende Figur, und wohl selten hat sich eine so positive Überraschung am Ende als Enttäuschung dargestellt.
Natürlich darf man eigentlich nicht von Sensation sprechen, wenn der amtierende Weltmeister in einem Rennen, das er zuvor dominiert hat, Zweiter wird, doch die Geschichte von Damon Hill ist eine Besondere. Als frischgebackener Champion musste er zu einem Team wechseln, das in der Vorsaison gerade einmal ein einziges Pünktchen einfahren konnte und für die neue Saison einen deutlichen Umbruch erlebte.
Bei Williams wurde der Vertrag des Briten nach vier gemeinsamen Saisons, 21 Siegen, 20 Pole-Positions, 40 Podestplätzen und einem Weltmeistertitel nicht verlängert. Stattdessen holte sich der erfolgreichste Rennstall der 90er-Jahre mit Heinz-Harald Frentzen einen talentierten Nachfolger an die Seite von Shootingstar Jacques Villeneuve. Hill musste gehen, doch die Optionen für die kommende Saison waren rar gesät: Alle Topteams waren schon besetzt.
Arrows-Bolide wie ausgewechselt
Notgedrungen kam Hill bei Arrows unter, die zuvor noch unter dem Namen Footwork erfolglos durch die Formel 1 gondelten. "Es war ein Risiko, aber das Potenzial war definitiv da", erinnert sich der Brite laut 'Autosport' später. Das Potenzial sollte sich allerdings bis zu jenem Ungarn-Grand-Prix nur selten zeigen. Einzig beim Heimspiel in Silverstone fuhr der amtierende Champion einen Zähler ein, als nur zehn Autos ins Ziel kamen (damals gab es aber nur bis Platz sechs Punkte).
Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Ungarn
Erstmals wird ein Grand Prix von Ungarn bereits 1936 ausgetragen. Am 21. Juni verfolgen rund 100.000 Zuschauer das Rennen auf einer engen, verwinkelten Strecke im Nepliget-Park in Budapest. Alle Mercedes-Fahrzeuge fallen aus und Alfa-Romeo-Pilot Nuvolari gewinnt souverän vor den Fahrern der Auto Union. Der Lauf zählte damals allerdings noch nicht zur ausgetragenen Europameisterschaft. Erst 50 Jahre später wurde es ein offizieller Lauf der Formel-1-Weltmeisterschaft. Fotostrecke
Doch als die Königsklasse ihre Zelte zum zwölften Mal auf dem Hungaroring aufschlug, war plötzlich alles anders. Es war, als sei der Arrows A18 plötzlich gegen ein Spitzenauto ausgetauscht worden. Der Bolide lief von Anfang an hervorragend, was Hill mit Platz fünf im Freitagstraining bei nur einer einzigen fliegenden Runde unterstrich. Zuvor stand sein Fahrzeug 55 Minuten lang an der Box, weil das Team nach einem Elektroniksensorproblem Ausschau hielt.
Warum der Arrows an diesem Wochenende wie verwandelt war, ist auch heute noch ein Rätsel für Hill. Vermutlich haben die Bridgestone-Reifen und der A18 in Ungarn einfach perfekt zur Strecke gepasst. "Vermutlich hatte ich nie ein Auto, das besser ausbalanciert war, als in diesem Jahr in Ungarn", erinnert sich Hill. "Es war fantastisch." Der fünfte Platz im Training sollte zumindest kein Strohfeuer gewesen sein.
Michael Schumacher überrumpelt
In der Qualifikation überraschte Hill erneut und schob sich auf Rang drei hinter den Titelkandidaten Michael Schumacher (Ferrari) und Jacques Villeneuve (Williams), den er ein Jahr zuvor im teaminternen Duell um den Titel noch geschlagen hatte. Doch wer dachte, dass der Mann aus Hampstead in den 77 anstehenden Runden des Rennens keine Chance haben würde, der wurde am Sonntag schnell eines Besseren belehrt.
Bereits am Start schnappte sich Hill seinen ehemaligen Teamkollegen Villeneuve und machte sich fortan auf die Jagd nach WM-Leader Schumacher. Der Ferrari konnte dem Arrows nicht davonziehen, stattdessen musste sich der Kerpener in Runde 11 seinem einstigen Widersacher beugen. In der ersten Kurve bremste sich Hill innen am damals zweimaligen Weltmeister vorbei und ging sensationell in Führung.
Der Brite baute seinen Vorsprung im weiteren Rennverlauf auf mehr als 35 Sekunden auf Villeneuve aus und sah bereits wie der sichere Sieger aus, als ihm in Runde 74 die Hydraulikpumpe einen Strich durch die Rechnung machte und dafür sorgte, dass er nur noch im dritten Gang fahren konnte. Hill verlor massiv Zeit und schleppte sich nur noch über die letzten drei Runden, während Villeneuve im Williams von hinten immer näher kam.
Pfennigdefekt verwehrt Arrows einzigen Sieg
Mit minimalem Vorsprung - aber noch als Führender - ging er in die letzte Runde, konnte die große Sensation aber nicht halten. Zwischen Kurve vier und fünf ging Villeneuve auf dem Gras an Hill vorbei in Führung und schnappte sich letztlich mit neun Sekunden Vorsprung den Sieg - es war gleichzeitig der 100. für Williams. Johnny Herbert holte mit Rang drei im Sauber seinen einzigen Podestplatz der Saison.
Arrows konnte sich zumindest damit trösten, dass man mit Rang zwei das beste Ergebnis der Teamgeschichte eingestellt hatte und sechs wichtige Zähler für die Konstrukteurs-WM sammeln konnte - von insgesamt neun. Während Damon Hill ein Jahr später in Spa zumindest noch einmal für Jordan siegen konnte, sollte Ungarn 1997 das letzte Podest für Arrows in der Formel 1 sein - auch waren es Hills letzte Punkte für das Team.
Das Problem verhinderte eine der größten Sensationen in der Formel-1-Geschichte, auch wenn der zweite Platz schon als solche zu bezeichnen ist. Arrows, Bridgestone und Motorenlieferant Yamaha wurde so der erste Sieg verwehrt, was im Falle von Arrows und Yamaha der einzige gewesen wäre. Nach dem Rennen heißt es, eine kaputte Dichtung habe den großen Coup verhindert - Wert: wenige Pfennige.