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1986: Ein Australien-Grand-Prix für die Ewigkeit
Wie die Reifen aus dem Grand Prix von Australien 1986 den vielleicht aufregendsten Titelkrimi der Formel-1-Historie machten - Und Nigel Mansell zum tragischen Helden
(Motorsport-Total.com) - Drei charismatische Titelrivalen, gefährliche Reifenexplosionen, ein Drehbuch wie in einem Hitchcock-Film - die Titelentscheidung 1986 hatte alles, was man sich als Formel-1-Fan wünschen kann, und gilt als eine der dramatischsten der Formel-1-Geschichte. Und einmal mehr ist Nigel Mansell der tragische Held eines Rennens, das dem Franzosen Alain Prost seinen zweiten von vier WM-Titeln bescherte.
Mansell ist vor dem letzten Saisonrennen der klare Favorit: Ein dritter Platz reicht ihm zum Triumph, während Williams-Stallrivale Nelson Piquet und McLaren-Pilot Prost unbedingt gewinnen müssen, um den Briten noch abzufangen - ein Dreierstechen um die WM-Krone.
Und von Beginn an läuft alles für den 33-Jährigen mit der legendären roten Nummer fünf auf seinem Williams: Mansell ist schon im ersten Qualifying am Freitag bei Regen der Schnellste und sichert sich am Samstag mit der erneut Bestzeit die Pole-Position. Dahinter: Titelrivale Piquet, in der zweiten Reihe lauern Ayrton Senna im Lotus und Prost.
Wie Prosts Pech zum großen Glück wird
Beim Start verteidigt Mansell zwar seine Führung bis zur ersten Kurve, wird dann aber von seinen Gegnern bis auf Platz vier durchgereicht. Vor allem Prosts Teamkollege Keke Rosberg, der seinen letzten Grand Prix bestreitet, sorgt am Anfang für Furore.
Der Finne arbeitet sich auf Platz zwei nach vorne und knöpft Piquet, der im Williams zunächst auf Titelkurs liegt, mit einem Überholmanöver auf der Start-Ziel-Gerade die Führung ab. Mansell, der sich aus allen Schwierigkeiten heraushält und ein eher unauffälliges Rennen fährt, sieht, wie seine Titelrivalen in Probleme geraten.
Piquet dreht sich in Runde 23 und fällt zurück, ohne dabei allerdings sein Auto zu beschädigen, während Prost kurz darauf einen schleichenden Plattfuß verzeichnet. Was zu diesem Zeitpunkt keiner weiß: Prosts Pech wird der Schlüssel zu seinem späteren Titelgewinn sein. Der Titelverteidiger muss einen Boxenstopp einlegen.
Mansell: Reifenexplosion bei über 300 km/h
Mit frischen Reifen arbeitet er sich an die beiden Williams-Piloten Mansell und Piquet heran, wodurch ein Dreikampf der Titelrivalen um Platz zwei entsteht. Der Brite, der nicht gewinnen muss, befindet sich dabei in der angenehmsten Situation.
In Runde 63 überschlagen sich dann die Ereignisse: Beim klar führenden Rosberg zerfetzt es nach einer Galavorstellung den rechten Hinterreifen. Der Finne, der "ein sonderbares Geräusch" hörte, glaubt zunächst an einen Motorschaden und stellt seinen McLaren ab.
Mansell liegt inzwischen hinter Piquet und Prost, darf sich aber immer noch in Sicherheit wiegen, da ihm ein dritter Platz zum Titel reicht. Und Philippe Streiff im Tyrrell liegt mit riesigem Abstand hinter ihm auf Platz vier. Doch plötzlich macht es auch bei ihm auf der langen Geraden einen Knall.
Wie Mansell das Drama erlebt
"Ich fuhr im sechsten Gang voll, mit höchster Drehzahl", schildert Mansell den Zwischenfall. "Das waren genau 315 km/h, denn ich hatte mich im Windschatten von Philippe Alliot angesaugt und ihn mit leichter Überdrehzahl gerade überholt, als es passierte." Der linke Hinterreifen explodiert, Mansell fängt den Williams auf drei Rädern irgendwie ab und schlittert in den Notausgang.
"Der Anprall geschah mit etwa 30 bis 40 km/h", erzählt er. Sein Bolide ist demoliert - alle WM-Träume damit zerplatzt. Mansell realisiert sofort: "Der Titel ist weg. Ich war fassungslos, ich konnte es nicht glauben." Der Mann mit dem Schnauzbart bleibt in den bitteren Sekunden nach dem Unfall reglos im Cockpit sitzen - so groß ist die Enttäuschung.
Was er erst später erfährt: Die Williams-Box hatte nach dem Rosberg-Drama bereits reagiert und wollte Mansell eine Runde danach mit neuen Pneus ausstatten. "Meine Leute an der Box haben es am TV-Schirm mitbekommen und sofort das Signal 'Komm rein' auf die Anzeigentafel gesteckt, doch ich bin nicht mehr gekommen."
Prost: Bangen bis zur Zielflagge
Somit führt Piquet vor Prost und ist damit kurzzeitig wieder auf WM-Kurs, doch Williams ordert den Brasilianer rasch zum Reifenwechsel an die Box, um eine Wiederholung des Dramas auszuschließen. Prost, durch sein Reifenpech in der Anfangsphase mit haltbaren Gummis ausgestattet, fährt daraufhin zum Sieg und zum WM-Titel.
Ein Kinderspiel? Weit gefehlt, denn der Franzose muss ebenfalls darum bangen, aus dem Rennen gerissen zu werden. "Ich machte mir große Sorgen wegen des Spritverbrauchs", sagt der damals 31-Jährige nach der Zieldurchfahrt. "Seit der Hälfte des Rennens zeigte mir die Verbrauchsanzeige ein '- 5l' an, aber ich hoffte einfach, der Computer zeige einen falschen Wert an und gab weiter kräftig Gas. Ich dachte: Entweder ich komme an, oder ich bleibe stehen."
Am Ende lässt Prost, der nach Piquets Boxenstopp rund 20 Sekunden Vorsprung hatte, den Williams-Piloten bis auf wenige Sekunden herankommen - nach der Zieldurchfahrt stellt er seinen McLaren sofort ab. Den Titel kann ihm da keiner mehr nehmen: Er ist somit bis dahin der erste Pilot nach Jack Brabham, der seinen WM-Triumph im darauffolgenden Jahr verteidigen kann.
Warum Goodyear auf Risiko setzte
Der große Verlierer Mansell trägt die Niederlage mit Fassung: "Ich freue mich wirklich, dass es Alain zum zweiten Mal geschafft hat, denn er ist für mich der Beste, aber ich bin auch herb enttäuscht." Gleichzeitig ist er froh, noch mit den Reportern sprechen zu können: "Wenn der Reifenplatzer in der Kurve passiert wäre, dann wäre ich jetzt tot."
Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Australien
1985 ist es endlich soweit, in Adelaide heulen zum ersten Mal auf australischem Boden die Formel-1-Motoren. Keke Rosberg darf sich als Erster von den australischen Fans feiern lassen, und das zum letzten Mal in seiner aktiven Formel-1-Karriere. Fotostrecke
Im Nachhinein wird auch klar, warum sich Reifenhersteller Goodyear in Adelaide dermaßen verpokerte: Beim vorangegangenen Grand Prix von Mexiko hatte Gerhard Berger im Benetton die Konkurrenz geschockt und feierte auf Pirelli-Pneus seinen ersten Sieg - ohne Reifenwechsel. Daraufhin entschied auch der US-amerikanische Reifenkonzern, in Australien ohne Stopp durchfahren zu wollen - eine folgenschwere Fehlentscheidung.