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Gary Paffett: Was sich in zehn Jahren Formel 1 veränderte
Vom V10-950-PS-Monster bis hin zum komplexen Hybridantrieben: Ex-Testfahrer Gary Paffett erläutert, welche Entwicklung die Königsklasse aus Fahrersicht genommen hat
(Motorsport-Total.com) - Zehn Jahre lang war Gary Paffett gesetzter Testfahrer für McLaren. Der Brite erhoffte sich über die jahrelange Verbindung zwischen McLaren und Mercedes den großen Durchbruch, doch letztlich bekam der DTM-Star nie eine Chance, sich im Grand-Prix-Einsatz zu beweisen. Aber nur wenige hatten das Glück, in einem solch langen Zeitraum immer wieder in Formel-1-Boliden zu sitzen - abgesehen von Veteranen wie Jenson Button oder Fernando Alonso. Und so kann der Brite erzählen, was sich in dieser Zeit aus Fahrersicht geändert hat.
Alles fing für ihn im Jahr 2000 an. "Als ich bei McLaren getestet habe, hatte das fortschrittlichste Auto, das ich gefahren habe eine voll automatische Schaltung und eine Fliehkraftkupplung - ein V10-Formel-1-Wagen, das war irre", erzählt Paffett gegenüber 'Autocar': "Du hast in der Garage gesessen, einen Gang eingelegt, das Pedal kommen lassen und es fuhr aus der Garage, als wäre es ein Go-Kart."
"Auf der Geraden hat es selbst nach oben geschaltet. Runterschalten ging nicht automatisch, da es die Fahrzeugbalance gestört hätte. Man hatte ein Vorwahlprogramm, durch das man auf der Geraden fünf Gänge herunterschalten konnte und wenn man auf die Bremse stieg, schaltete es vor der Kurve fünf Gänge nach unten. Es war etwa wie in einem Computerspiel, aber es war ein unglaubliches Auto."
"Ich fuhr 14 Runden und mein Hals war dahin"
Umso verstörender der Moment für den DTM-Champion, als sich das Kupplungspedal ans Lenkrad bewegte. Das Team informierte ihn erst, als er irritiert nachfragte: "Ich schrie am Funk: 'Es gibt hier kein Kupplungspedal' und das Team antwortete: 'Oh, ja, Entschuldigung! Das ist jetzt ein Knopf.'" Doch spannender sollte die Frage danach sein, wie sehr die alten V10-Boliden auf die Physis des Fahrers gingen. Um die hohen PS-Zahlen kontrolliert auf die Straße zu bringen, brauchte es eine Menge Abtrieb.
"Die V10er waren recht extreme Autos. Die Fliehkraft in diesen Tagen war unglaublich. Ich erinnere mich an meinen ersten Formel-1-Test im Dezember 2000 in Jerez. Ich fuhr ungefähr 14 Runden, stieg aus dem Auto und mein Hals war dahin - er hing herunter", bestätigt Paffett wohl all jene Kritiker, die behaupten, die moderne Formel 1 sei zu einfach zu fahren: "Also holten sie Schaumpolster heraus , brachten sie an den Cockpitwänden an und es ging weiter." Als die V8-Motoren kamen, sei die Formel 1 zwar etwas langsamer geworden, aber nicht signifikant.
Zudem habe man zu dieser Zeit bei einer Testfahrt um die drei Motoren zerstört, was damals völlig normal gewesen sei: "Man lernte den Klang eines Motors kennen, der sich gerade verabschiedet. Auf der Geraden war man sehr nah am Drehzahbegrenzer dran und zog an den Kupplungspedalen, bevor alles hopsging - auf diese Weise landete man nicht in der Streckenbegrenzung." Wohl auch wegen dieser Auswüchser schlugen die Formel-1-Regelhüter letztlich die Richtung ein, Testfahrten zu begrenzen und vor allem an Rennwochenenden die Anzahl der erlaubten Motoren pro Saison zumindest bei Renneinsätzen zu limitieren.
Kopfarbeit KERS
"2009 fingen wir mit KERS und diesem ganzen Kopfzerbrechen an. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Test mit diesem Auto. Das Team sagte: 'Okay, KERS ist auf diesem Knopf und mit diesem Knopf kannst du das machen... .' Ich dachte mir: 'So kann ich nicht fahren, da gibt es viel zu viele Dinge zu tun.' Das Problem zu dieser Zeit war, dass man versucht hatte KERS zu aktivieren, sobald man voll aufs Gas stieg - und man schaute auf die Anzeige, denn das Team wollte, dass du am Ausgang dieser Kurve zehn Prozent benutzt, sieben Prozent am Ausgang der anderen."
Fotostrecke: Die zehn denkwürdigsten F1-Regeländerungen
#10: Fahren dürfen nur die Hinterbänkler - Sie ist der große Trumpf der Williams-Mannschaft. Doch nicht nur deshalb will die FIA der aktiven Radaufhängung beim Kanada-Grand-Prix 1993 einen Riegel vorschieben. Die fortschrittliche, aber unglaublich kostenintensive Technik wird von den Kommissaren bei der technische Abnahme als Fahrhilfe eingestuft und bei allen Teams für nicht-regelkonform befunden worden. Gleiches gilt für die Autos, die auf eine Traktionskontrolle setzten. Hintergrund: Die Systeme beeinflussen hydraulisch die Aerodynamik respektive entziehen dem Piloten teilweise die Kontrolle über den Vortrieb. Es entsteht die Drohkulisse, dass die Scuderia-Italia-Hinterbänkler Michele Alboreto und Luca Badoer die einzigen Starter in Montreal sind. Das Verbot wird bis Anfang 1994 aufgeschoben, dann aber durchgesetzt. Fotostrecke
"Und dann hast du vergessen, den nächsten Gang einzulegen", schildert der DTM-Champion von 2005 seinen anfänglichen Frust mit der neuen Materie: "Wie auch immer: Als du dich an all diese Abläufe gewöhnt hast, kam DRS dazu. Auch gab es dieses tolle F-Duct-System, bei dem du deinen Ellenbogen in ein Loch in der Cockpitwand geschoben hast, um den Luftwiderstand des Wagens zu reduzieren. Das waren großartige Innovationen, doch einiges davon war richtig fordernd."
Angeblasener Diffusor: Fahrspaß pur
Bei den Formel-1-Wagen der jüngeren Generation ist Paffett besonders angetan von den Jahren 2011 und 2012. Die Ingenieure entdeckten die Abgase am Auspuff als aerodynamisches Hilfsmittel, bliesen damit den Diffusor des Wagens an. Vor allem bei Red Bull trieb Adrian Newey dieses Spiel bis zum Exzess. Die Folge: Vor allem in der Qualifikation machte es nun Sinn, möglichst viel Sprit zu verbrauchen. In den Rennen galt dies nur bedingt, vor allem da durch das Nachtankverbot mehr Treibstoff im Auto nur überflüssiges Gewicht bedeutete. Nach 2013 schob die FIA dem einen Riegel vor.
"Der Anpressdruck, den sie (die Autos; Anm. d. Red.) hatten, war phänomenal. Im Quali-Modus waren die Drosselklappen durch die gesamte Kurve zu 90 Prozent offen", schildert der heute 34-Jährige die Auswüchse und stellt heraus, dass das Fahren komplett anders wurde: "Denn je mehr Gas man gab, umso mehr Anpressdruck hatte man. In anderen Formel-1-Autos stieg man aufs Gas und bekam ein wenig durchdrehende Räder, also musste man warten. Mit diesen Autos bekam man ein wenig durchdrehende Räder und stieg mehr aufs Gas, um mehr Haftung zu bekommen und um die durchdrehenden Räder loszuwerden."
Den Kopf "umprogrammieren"
"Das ist ein Fall, in dem man versucht, sich umzustellen und im Kopf umzuschalten, wie man diese Wagen fährt", beschreibt Gary Paffett die Herausforderung für einen modernen Formel-1-Piloten. Auch die Hybrid-Generation, die seit 2014 im Einsatz ist, hat für Paffett ihren Reiz: "Wir waren den 'normalen' Motor gewohnt. Dann kam ein KERS-Paket hinzu, das die Batterien auflud. Man drückte einen Knopf, um es zu benutzen. Aber heutzutage ist das alles in ein System intergriert. Im Wesentlichen füllt dein KERS jetzt die Löcher im Drehmoment des Motors. Also hat man eine perfekte Drehmomentkurve und die Elektronik steuert es."
Den Ingenieuren in der Königsklasse stellt Paffett Bestnoten aus: "Es ist interessant, dass die FIA dir immer wieder Anpressdruck und Haftung wegnimmt, aber die Ingenieure finden das wieder. Innerhalb von sechs Monaten kommst du von einem Auto, das schrecklich zu fahren war zu einem, das überragend ist."