Gary Anderson: Mercedes muss unter Druck besser werden
Nach dem schwachen Ungarn-Grand-Prix hat Mercedes nach Einschätzung von Gary Anderson in der Sommerpause der Formel 1 einige Hausaufgaben zu erledigen
(Motorsport-Total.com) - Was war das für ein Rennen beim Ungarn-Grand-Prix! Wenn man versucht zu verstehen, warum die vergangenen beiden Rennen so interessant waren, dann war der entscheidende Faktor sicherlich der, dass in Silverstone Williams vorne war und auf dem Hungaroring Ferrari. Dadurch kam Leben in die Bude. Hätten die Mercedes-Fahrer die erste Runde auf den Plätzen eins und zwei beendet, wäre es möglicherweise ein weiteres, unkompliziertes Rennen geworden.
Dieser Punkt spricht für die Idee einer, wie auch immer gearteten, umgekehrten Startaufstellung, denn wenn die schnellsten Autos nach dem Start vorne wegfahren, ist es gelaufen. Wenn die schnellsten Autos vorne fahren, wie sollen die langsameren Autos dann vorbeikommen?
Überholmanöver kommen nur dann zustande, wenn ein schnelleres oder mindestens genau so schnelles Auto hinter einem anderen fährt. Wenn sich aber die Fahrer durch den Verkehr kämpfen müssen, wird alles viel schwieriger. Einige mögen diesen meinen Vorschlag für verrückt halten, aber man sollte ernsthaft darüber nachdenken.
Überholen auch für Mercedes kein Leichtes
Bis die Ampeln ausgingen, sah es am Sonntagnachmittag für das Mercedes-Team nach einem Rennen wie jedes andere aus. Lewis Hamilton war besser als Nico Rosberg, und der Rest des Feldes hätte um den letzten Platz auf dem Podium kämpfen können. Dann kam aber alles ganz anders. Dank eines fantastischen Starts der Ferraris und einer etwas chaotischen Fahrweise, vor allem von Hamilton, lagen nach der ersten Runde zwei Ferrari an der Spitze und der Meisterschaftsführende im Mittelfeld.
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Von da an sah es so aus, als wären Vettel und Räikkönen in ihren Ferraris die einzigen Fahrer gewesen, die das Rennen gewinnen wollten. Alle anderen haben es weggeworfen, und Rosberg war einfach nicht schnell genug, um angreifen zu können.
Schon in Silverstone, wo die Mercedes-Fahrer nach schlechten Starts hinter die Williams zurückgefallen waren, sahen wir, das Überholen für sie keine einfache Sache war. Dabei hätte man erwarten können, dass ein Auto mit der Pace eines Mercedes mit Leichtigkeit vorbei fahren kann, aber das war nicht der Fall. Und in Ungarn war es genau so.
Mercedes-Strategie ist ein Rätsel
Die Mercedes hatten jedoch nicht nur Probleme, mit den Ferraris mitzuhalten, auch die Boxenstoppstrategie war durchaus fragwürdig. Das Team scheint immer bei beiden Autos die selbe Strategie anzuwenden anstatt einem Fahrer eine andere Strategie zuzuweisen. Ich verstehe nicht, warum sie das machen, denn oft kommen zwei unterschiedliche Strategien zu dem selben Ergebnis. Warum lässt man die Autos also nicht unterschiedlich fahren und sieht dann, was dabei herauskommt?
Sollte es daran liegen, dass die Fahrer zu egoistisch sind und nicht zulassen wollen, dass die jeweils bessere Strategie zum Sieg führt - und nach allem, was wir in der Vergangenheit gesehen haben, scheint das der Fall zu sein, dann haben die Fahrer das Team wirklich im Griff. Und das ist eine gefährliche Situation. Dann sollten die großen Bosse den Fahrern schleunigst klarmachen, was ihre Rolle ist. Aber falls es die Entscheidung des Teams ist, beide Fahrer auf die gleiche Strategie zu setzen, warum bekam dann Rosberg bei seinem ersten Stopp die langsameren Reifen und Hamilton die schnelleren?
Dass Mercedes Rosberg bei seinem zweiten Boxenstopp während der Safety-Car-Phase erneut die langsameren Reifen gab, hat mich wirklich überrascht. Durch das Safety-Car rückte das Feld zusammen, und hätte ihm Mercedes die schnelleren Reifen gegeben, hätte er den Führenden Vettel auf den härteren Reifen angreifen und um den Sieg kämpfen können.
Mercedes macht unter Druck Fehler
Mercedes ist ein Siegerteam, aber noch keines, das weiß, wie man gewinnt wenn die Dinge schiefgehen. Beide Fahrer sind zu egoistisch und selbstbezogen, ihnen muss klargemacht werden, dass das Team an erster Stelle kommt. Und wenn ich Rosberg wäre, würde ich einige Fragen stellen, denn nachdem was ich am Sonntag gesehen habe, scheint das Team genau zu wissen, wer die Fahrermeisterschaft gewinnen soll.
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Drei Helmut-Marko-Schützlinge auf dem Podium: Daniil Kwjat (Red Bull), Sebastian Vettel (Ferrari) und Daniel Ricciardo (Red Bull) widmen ihren Erfolg auf dem Hungaroring dem verstorbenen Kollegen Jules Bianchi. Fotostrecke
Wenn wir schon von Mercedes reden, was ist mit ihren Starts passiert? Bei den vergangenen beiden Rennen haben wir gesehen, dass die Pole eine Sache ist, aber wenn du am Sonntagnachmittag nicht vom Fleck kommst, kannst du leicht alles verlieren. Seit den Diskussionen vor dem britischen Grand Prix wissen wir, dass sich ab Spa bei den Starts einiges ändern wird. Ist es Zufall, dass die Starts von Mercedes seitdem schlechter sind? Vielleicht haben sie sich etwas zurückgenommen, nachdem die FIA herumschnüffelte.
So oder so sollte die zweite Saisonhälfte interessant werden. Mercedes hat einen Vorsprung, aber Ferrari liegt nicht zu weit zurück. Daher muss das in der Meisterschaft führende Team seine Arbeitsweise optimieren. Wenn die Verfolger näher kommen, gerät man unter Druck und macht mehr Fehler. Und auch wenn Ferrari bei normalen Bedingungen noch eine halbe Sekunde zurückliegt, muss Mercedes während der Pause einige Hausaufgaben erledigen.
Formel 1 ist kein Kontaktsport
Was mich am Sonntag in Ungarn ebenfalls überrascht hat, war die Vielzahl der Berührungen. Wollen wir wirklich, dass die Formel 1 an jedem Wochenende zu einem "Destruction Derby" wird? Viele Fahrer scheinen zu vergessen, dass man sich gegenseitig respektieren und dem anderen Platz lassen muss. Tut man das nicht, greift die FIA wie am Sonntag gesehen zu Strafen. Es ist also im Interesse der Fahrer, solche Berührungen zu vermeiden, selbst wenn sie ohne Beschädigung davonkommen.
Die Formel 1 sollte als Formelserie kein Kontaktsport sein, denn dass ist zu gefährlich. Wir haben sowohl an der Spitze als auch im Mittelfeld viele Kollisionen erlebt. Das trug wesentlich zum durcheinander gewürfelten Ergebnis bei.
Der Hungaroring war einst als Rennstrecke bekannt, auf der Überholen unmöglich ist. Zugleich war es aber immer auch eine Strecke, die für Zwischenfälle sorgte, und im Laufe der 30 Jahre haben wir dort einige legendäre Überholmanöver gesehen. Sie ist auch gut für Überraschungen. Im ersten Jahr von Jordan fuhr Bertrand Gachot dort für uns die schnellste Rennrunde.
Langweiliger Hungaroring? Von wegen!
Das Layout der Kurven 1, 2 und 3 und die Tatsache, dass vor den Kurven 1 und 2 in einer Bergabpassage gebremst wird, provoziert Fehler. Schnell kommt man von der Linie ab, sodass ein andere in diesem Abschnitt neben einen fahren kann. Durch die Abfolge der Kurven kann man aber kontern. So sorgte diese Strecke in den vergangenen Jahren immer wieder für Aktion.
Außerdem spielten die Reifen eine Rolle. In Silverstone war die Reifenwahl sehr konservativ, und für Ungarn galt das im Grunde auch. Das deutet darauf hin, dass die Rennen besser sind, wenn die Reifen nicht so stark abbauen, wie es so oft in der Pirelli-Ära der Fall war.