Williams Heritage: Die abenteuerliche Rente eines Rennautos
Gestohlen vor einem sizilianischen Supermarkt? Gecrasht, weil der Besitzer einen Herzinfarkt hatte? Was Williams-Boliden widerfährt, nachdem sie ausrangiert werden
(Motorsport-Total.com) - Ein Jahr lang stehen sie im Scheinwerferlicht, werden geschunden, angehimmelt und manchmal sogar von ihren Lenkern gestreichelt. Doch was passiert mit Formel-1-Boliden, nachdem sie ihren Dienst verrichtet haben? Genau darum kümmert sich Williams Heritage, die größte Privatsammlung von Formel-1-Boliden der Welt. Dort wird das 36-jährige Erbe eines der geschichtsträchtigsten Rennställe gepflegt.
"Das Team war in seiner Geschichte teilweise sehr dominant, und wir besitzen jedes Jahr eine Handvoll Chassis' - und jedes hat seine eigene Geschichte", erzählt Jonathan Williams, Sohn von Teamchef-Legende Frank Williams gegenüber 'Motorsport-Total.com'. Er verwaltet das Erbe des mit 114 Siegen dritterfolgreichsten Teams der Formel 1.
Die Williams-Sammlung in Grove beinhaltet über 120 Formel-1-Boliden aus allen Epochen des Teams, das seit den 1970er-Jahren aktiv ist - 38 werden ausgestellt. Und die Geschichte mancher Boliden ist in der Rente oft aufregender als in ihrer rund einjährigen Dienstzeit.
Das Leben nach der Karriere: Demo-Fahrzeug oder Showcar?
"Wir haben da einen FW25", verweist Williams auf eines der 2003er-Chassis'. "Es handelt sich um das Launchcar, damit wurden 2003 die Präsentationsfotos gemacht. Dann wurde daraus das Auto des Testteams, dann ein Showcar für Sponsoren, und jetzt wird es wieder zu einem fahrenden Auto aus der Williams-Sammlung." Eine ruhige beschauliche Rente stellt man sich anders vor.
Grundsätzlich kann man die Formel-1-Boliden nach einer Saison in zwei Kategorien einteilen: Die einen sind voll funktionstüchtig, werden privat verkauft oder bei Demonstrationsfahrten verwendet, die anderen werden ausgeweidet und nur zu Ausstellungszwecken verwendet.
"Wir haben viele Anfragen von Sponsoren, Autos auszustellen", bestätigt Williams. "Man nimmt also das ursprüngliche Auto, entfernt aber so viel wie möglich vom Innenleben, um das Gewicht zu reduzieren." Das ist elementar, denn der Transport der Boliden ist teuer - teilweise werden sie sogar nach Übersee transportiert. Jonathan Williams grinst: "Alles was noch dran ist, ist das, was man sieht."
Die sogenannten Showcars tauchen bei Automobilmessen, in TV-Shows oder bei Sponsorenveranstaltungen auf - auch im Merchandisingbereich bei Formel-1-Rennen werden sie von den Zuschauern immer wieder bestaunt. Selbst wenn sie nicht mehr fahrtüchtig sind, erleben diese Boliden oft kuriose Schicksale, wie Williams verrät.
1982er-Williams vor Einkaufszentrum in Sizilien gestohlen
Ein Sponsor wollte einst einen FW08 aus dem Jahr 1982 vor einem Supermarkt ausstellen - allerdings in Sizilien. "Das Auto stand im Freien und wurde über Nacht gestohlen", sagt Williams. Und richtet einen späten Appell - mit etwas Augenzwinkern: "Wenn der Kerl irgendwo ist, der Chassis Nummer vier in den frühen 1980er-Jahren gestohlen hat... Wir vergeben ihm, er soll sich bei uns melden..."
"Ende der 1990er-Jahre hatte der private Besitzer, der so gerne gefahren ist, beim freien Fahren in Silverstone einen tödlichen Herzinfarkt und fuhr in die Leitplanken", erzählt der 39-Jährige, der im zweiten Namen Piers heißt und nach der tödlich verunglückten Rennfahrer-Legende Piers Courage benannt ist. "Die Witwe hat uns dann gefragt, ob wir das Auto behalten wollen, und das haben wir getan. Das Auto kam also 1999 hier an, wurde komplett neu aufgebaut und im Vorjahr von einem Verwandten übernommen."
Der Traum vom eigenen Formel-1-Boliden
Für viele Formel-1-Fans ist es ein Traum, der sich nie erfüllen wird: einmal selbst einen Grand-Prix-Boliden zu besitzen und ihn an einem schönen Sommertag auszuführen. Rund 30 Menschen weltweit leisten sich diesen Luxus mit einem privaten Williams. Doch selbst, wenn man die finanziellen Mittel dafür hat, ist dies alles andere als ein einfaches Unterfangen: Was tun, wenn der Bolide nicht startet oder etwas kaputt geht? Auch die nächste Werkstatt wäre mit derartigen Problemen überfordert.
"Die Idee war es also, daraus ein Business-Modell zu entwickeln", erzählt Williams. Dafür zeichnet nun der neue Geschäftsführer der Williams-Sammlung, Dickie Stanford, verantwortlich. Der Brite gilt als Urgestein des Rennstalls, war jahrelang als Teammanager tätig.
Er ist für das Tagesgeschäft der Williams-Sammlung zuständig und kümmert sich um Logistik und Wartung der Boliden. "In der Vergangenheit gab es kein System, den Nachbesitzern der Autos zu helfen", blickt er zurück. "Wenn wir einen Anruf bekamen, dann rückten wir aus und versuchten, an Ort und Stelle zu helfen."
Williams: Wartung als Herausforderung
Die Betreuung der privaten Besitzer soll aber nun verbessert werden: "Wenn Autos jetzt nach zehn, 20 oder sogar 35 Jahren zu uns zurückkommen, weil sie renoviert werden müssen, dann haben die teilweise schon ihren sechsten Besitzer. Das Ziel wäre es, diese alten Autos komplett neu aufzubauen und dann sogar das Auto für den Kunden zu betreiben, wenn er das wünscht." Williams sei dafür bestens ausgestattet: "Wir haben alle Ressourcen hier, um die Autos zu betreiben - egal ob FW06 oder einen modernen Formel-1-Boliden."
Komplizierter ist die Ausgangslage bei den Motoren. Da ist Williams voll auf die Kooperation der großen Automobilhersteller angewiesen. Was es noch schwieriger macht: Williams hatte in seiner Geschichte mit Cosworth, Honda, Judd, Renault, BMW, Toyota und nun Mercedes die unterschiedlichsten Antriebspartner.
Motorenknappheit bei Piquets Titelauto
Und jeder Hersteller hat eine andere Herangehensweise. "Zu Honda haben wir eine gute Beziehung, und sie wollten erst kürzlich etwas von uns über den 1986er-Motor wissen", erzählt Jonathan Williams. "Trotzdem ist es in Hinblick auf die alten Motoren schwierig, denn Honda hatte stets die gleiche Herangehensweise wie Ferrari. Sie haben sich bemüht, ihr Equipment rasch loszuwerden. Das war ihr Weg, es zu schützen."
Noch kann Nelson Piquets Weltmeisterauto aus dem Jahr 1987 aber mit einem Original-Honda-Triebwerk eingesetzt werden: "Wir haben noch zwei funktionierende Motoren, vielleicht ist McLaren diesbezüglich besser aufgestellt." Währenddessen sei Renault sehr bemüht, mit BMW habe man einen Vertrag, der eine gute Betreuung gewährleistet: "Wir haben zwei Motoren pro Jahr angefordert, also haben wir zwölf funktionierende BMW-Autos."
Ralf Schumachers feine Kollektion
Mit Toyota befinde man sich in Verhandlungen, zu Cosworth habe man mit Abstand den besten Draht. "Wir nutzen da die Kontakte von Patrick Head", verweist Williams auf den langjährigen Technikchef und Williams-Mitbesitzer.
Hin und wieder kommt es auch vor, dass die Boliden in die Hände ihrer ehemaligen Piloten zurückkehren. Laut Jonathan Williams besitzt der ehemalige Williams-Fahrer Ralf Schumacher sogar eine annähernd lückenlose Sammlung seiner ehemaligen Dienstwägen: "Ralf Schumacher hat von jedem seiner Autos eines angefordert", verrät er.
"Ich denke, dass sein Vater sogar die ursprünglichen Go-Karts behalten hat - später konnte er dann auch die Formel-Autos auftreiben, das Formel-Nippon-Auto, die zwei Jordans, die sechs Williams, wahrscheinlich sogar die Toyotas." Ein gemütlicher Ruhestand, wie er nicht allen Formel-1-Boliden vergönnt ist.