Rosberg vs. Hamilton: Bleibt es ein Duell auf Augenhöhe?
Im engen, teaminternen Mercedesduell um die WM-Krone geben die kleinsten Details den Ausschlag - Aber in welche Richtung?
(Motorsport-Total.com) - Ausfälle oder Rennduelle, der Blick fürs Detail oder das pure Talent, Glück oder Pech - die Suche nach dem entscheidenden Detail, das am Ende der Formel-1-Saison 2014 den Weltmeister ausmacht, gestaltet sich immer schwieriger. Im teaminternen Zweikampf zwischen Nico Rosberg und Lewis Hamilton bei Mercedes geht es dabei so eng zu, dass diese Suche nach dem gewissen Etwas auch ihre Berechtigung hat. Und es bleibt zu klären: werden am Ende die Fahrer oder die Zuverlässigkeit den Unterschied machen?
Nach dem Grand Prix von Singapur, dem 14. Rennen der Saison, gestaltet sich die Ausgangssituation folgendermaßen: Hamilton übernimmt zum zweiten Mal in diesem Jahr die WM-Führung mit 241 zu 238 Punkten. Dabei gewann der Brite bereits sieben Rennen, stand zusätzlich noch viermal auf dem Podium und fiel dreimal aus.
Rosberg hat hingegen erst zwei Rennausfälle vorzuweisen, gewann vier der bisher ausgetragenen Rennen, stand siebenmal zusätzlich auf dem Podium und wurde einmal Vierter. Der Deutsche verlor dabei nur einmal in Barcelona die Spitzenposition in der Gesamtwertung und eben jetzt, nach seinem technischen Ausfall in Singapur.
Singapur-Ausfall schürt Zuverlässigkeitsangst
"Ich bin da hin und her gerissen", wird Rosberg zu der Situation nach dem Nachtrennen von 'Adam Cooper's F1 Blog' zitiert. "Auf der einen Seite bin ich froh, dass das Team mit einem Auto gewinnen konnte, obwohl das andere ausgeschieden ist. Es bedeutet mir viel, wenn das Team Grund zum Feiern hat."
"Für viele im Team war es ein guter Tag, vor allem auf der einen Seite der Garage", so Rosberg weiter. "Und für die Konstrukteurswertung war es wichtig, dass Red Bull nicht allzu viele Punkte gut machen konnte, es war wichtig zu gewinnen. Auf der anderen Seite bin ich natürlich enttäuscht, dass ich ausgeschieden bin, weil ich auch meine Chance auf den Sieg haben wollte."
Nico Rosbergs Videoblog: Grand Prix von Singapur
Mercedes-Pilot Nico Rosberg spricht über seinen Frust nach dem Nachtrennen von Singapur Weitere Formel-1-Videos
Stattdessen fuhr Hamilton ein fehlerfreies Rennen und einen ungefährdeten Sieg ein, der ihm wieder die Oberhand im Titelkampf bescherte. Währenddessen wächst aber selbst bei Mercedes langsamen die Angst, dass die mangelnde Zuverlässigkeit zu einem entscheidenden Faktor der Weltmeisterschaft werden könnte - auch im Zweikampf der Teamkollegen.
Die Anti-Ausfall-Hypothese
Dabei hält sich der Eindruck, Hamilton hätte unter den sogenannten "Technik-Gremlins" in dieser Saison mehr gelitten, als sein Garagennachbar und würde diesem längst um Längen voraus sein, hätten unter anderem seine Bremsen im Hockenheim-Qualifying funktioniert oder seine Antriebseinheit in Ungarn nicht gebrannt. Was aber, wenn Rosbergs Bolide auch in Silverstone und Singapur gehalten hätte, Mercedes also ohne jegliche Probleme davon gekommen wäre?
Fakt ist, würde man die Pech-Grands-Prix der Silberpfeile, also Melbourne, Montreal, Silverstone, Hockenheim, Budapest und Singapur aus der Wertung nehmen, so würde Hamilton mit 161 zu 158 Zählern noch immer mit exakt gleichem Abstand führen. In einer hypothetischen Rechnung, in der Hamilton die Siege in Australien und Deutschland, sowie eine zweiten Platz in Ungarn zugesprochen bekommt, Rosberg dafür aber die 25 Punkte von Großbritannien und je 18 Zähler in Australien und Singapur, so würde ein Abstand von 272 zu 267 Punkten zugunsten Hamiltons zustande kommen. Das sind nur zwei Zähler mehr als in Wirklichkeit.
Fotostrecke: Hamilton: 9 Rückschläge im WM-Kampf
Rückschlag Nummer 1: Schon im ersten Lauf der neuen Formel-1-Saison wird Lewis Hamilton vom Pech verfolgt. Der Brite fährt am Samstag in Melbourne noch souverän zur ersten Pole-Position der neuen Turboära, doch im Rennen ist bereits nach drei Runden Schluss: Der Mercedes gibt mit einem Motorenproblem den Geist auf. Da Teamkollege Nico Rosberg gewinnt, hat Hamilton bereits 25 Zähler eingebüßt. Fotostrecke
Wenn also die technischen Schwierigkeiten, wie auch Mercedes' Technischer Direktor Paddy Lowe betont, auf beiden Garagenhälften bisher ausgeglichen sind, was kann zwischen den Rivalen, die in ihrer Motorsportkarriere schon lange Weggefährten sind, dann den Unterschied ausmachen?
Risiko-Lewis und Neugier-Nico
"Beide waren verflixt schnell", erinnert sich Frederic Vasseur, der sowohl Rosberg als auch Hamilton als Teamchef durch ihre GP2- und Formel-3-Zeit begleitete, gegenüber 'Auto Bild'. "Ich glaube, Lewis war noch extremer, was Risiken betrifft. Nico kalkulierte mehr. Ein Beispiel: In Monaco beim Formel-3-Rennen führte Lewis überlegen. Als Sutil, der hinter ihm auf Platz zwei lag, die schnellste Runde fuhr, wollte Lewis kontern. In der letzten Runde riskierte er alles, um Sutils Zeit zu unterbieten, weil er seinem Kollegen nicht einmal diesen kleinen Erfolg gönnte. Nico hätte so etwas in der letzten Runde nicht riskiert."
"Beide wollten bedingungslos den Erfolg", so Vasseur weiter. "Aber Nico legte noch viel mehr Wert auch auf kleinste Details. Er redete über alles, wirklich alles. Er ließ nie nach, wollte immer alles wissen. Für ihn war ein Ingenieurs-Meeting nie zu Ende. Da gab es manchmal richtig schwierige Situationen. Aber am Ende des Tages war es gut für uns alle, dass er nie lockerließ. Denn wir wollten alle den Erfolg, und den bekamen wir. Auch Dank Nicos kompromissloser Arbeitsweise. Nico war eine Art Motor des Teams."
Fotostrecke: Die 14 dramatischsten Teamduelle um den Titel
1950: Die erste Saison in der Geschichte der Formel-1-Weltmeisterschaft sieht auch gleich das erste Duell zweier Teamkollegen um den WM-Titel. Die beiden Alfa-Romeo-Piloten Juan Manuel Fangio und Giuseppe Farina gewinnen von den sieben Saisonläufen je drei. Als nach dem Finalrennen in Monza zusammengezählt wird, ist der Italiener Farina mit drei Punkten Vorsprung auf den Argentinier Fangio der erste Formel-1-Weltmeister der Geschichte. Fotostrecke
Auch nach seinem Ausfall in Singapur war diese verbissene Verbesserungssucht Rosbergs zu beobachten, als er sich, kaum aus dem Cockpit ausgestiegen, an die Boxenmauer begab, um das Rennen von dort weiter mit zu verfolgen. "Anstatt nach Hause zu gehen habe ich mich entschieden zu versuchen, irgendetwas Brauchbares mitzubekommen, was eventuell für die kommenden Rennen hilfreich für mich sein kann", erklärt er selbst. "Ich habe die anderen Autos sonst nie live fahren sehen und ich habe in diesem Jahr auch noch nicht die Arbeit an der Boxenmauer beobachten können. Ich habe viel Einblick gewinnen können."
Am Ende doch wieder auf Augenhöhe?
"Beide sind auch unglaubliche Motivationskünstler", betont Vasseur. "Sowohl Nico als auch Lewis machten immer Druck, dass das Team noch besser wird. Sie redeten ständig mit den Ingenieuren, ließen nie locker. Nico ordnet auch alles in seinem Privatleben dem Erfolg unter. Ich denke, da ist Lewis etwas lockerer im Umgang. Aber, was zählt: Beide sind erfolgreich mit der Art, wie sie Dinge angehen."
Sollte der W05 in den verbleidenden fünf Rennen also auf beiden Seiten halten, so wird es ein spannender Titelkampf bleiben, dessen Ausgang bestenfalls erst am 23. November 2014 in Abu Dhabi entschieden wird.