Stehende Restarts: Und wer hört auf die Fahrer?
Die Piloten kritisieren die stehenden Restarts nach Safety-Car-Phasen ab 2015 - Rennleiter Charlie Whiting beschwichtigt: "Diese Sorgen werden wir loswerden"
(Motorsport-Total.com) - Ab 2015 soll die Show in der Formel 1 über stehende Restarts nach Safety-Car-Phasen besser werden. Die Regelmacher versprechen sich durch die neue Lösung mehr Spannung, mehr Spektakel und überschaubares Risiko. Der Vorschlag wurde angeblich in allen Instanzen einstimmig befürwortet. Allerdings hatten die Piloten auf dem Weg zu dieser Entscheidung keinerlei Mitspracherecht, dabei hätten die Fahrer gern rechtzeitig ihre Bedenken geäußert.
"Die kommen immer mit neuen Ideen und wir haben dabei kein Mitspracherecht. So läuft es eben", meint Kimi Räikkönen. "Wir müssen dann das Beste daraus machen. Manchmal wird man einen Nachteil durch so etwas haben, manchmal kann es dir helfen. Es gibt dann eben womöglich mehrere Starts. Jene Teams, die gute Starts hinbekommen, profitieren dann gleich mehrfach. In manchen Rennen wird es vielleicht quasi keinen Longrun geben, weil das Safety-Car immer wieder kommt. Mal schauen, wie es dann wirklich wird."
"Man darf nicht vergessen, dass dieser Vorschlag von einem Team kam. Ich habe diese Idee an die anderen Teams weitergeleitet. Alle waren von dieser Idee überzeugt. Selten habe ich eine solche Zustimmung erlebt", verteidigt Formel-1-Rennleuter Charlie Whiting die neue Lösung. Der Brite versteckt sich hinter der angeblich "100-prozentigen Zustimmung aller Teams". Doch ist die Ansicht der Teams das wirklich entscheidende Kriterium, wenn man die Abläufe im Rennen dermaßen nachhaltig verändert?
Fahrer haben einige Bedenken
"Es ist etwas anderes, wenn man im Auto sitzt oder es aus Teamsicht sieht. Es ist schwierig und mit viel Risiko verbunden", kritisiert Nico Hülkenberg. "Wenn man einen tollen Job gemacht hat und dann zum Start geht, bei dem derzeit noch viele Fakten unklar sind - alte Reifen, viel Abrieb auf der Strecke, Kupplungsverschleiß - dann gibt es viel Potenzial, dass etwas schiefgeht und man sein Ergebnis verliert. Ich bin davon nicht begeistert, weil ich die Vorteile da nicht sehe."
"Ich habe gehört, dass einige Fahrer ihre Bedenken geäußert haben. Ich glaube, dass wir diese Sorgen loswerden können", beruhigt Whiting. "Zwei Dinge wurden von den Fahrern genannt. Erstens die Fairness, in dem Sinne, dass der Führende bei einem stehenden Start nun mehr in Gefahr gerät, seine Position zu verlieren, als es bei einem rollenden Start der Fall wäre. Ob dies wirklich so ist, da bin ich nicht sicher. Wenn du Zweiter bist, dann kommt dir diese mögliche Chance sehr gelegen."
"Zweitens haben die Fahrer angemerkt, dass ein stehender Start auf gebrauchten Reifen ein Problem darstellen könnte. Dazu muss ich anmerken, dass die gesamte Safety-Car-Prozedur vor dem stehenden Restart ganz genauso ablaufen wird wie zuvor", so der Rennleiter. "Jeder, der auf gebrauchten Reifen unterwegs ist, würde doch sowieso höchstwahrscheinlich zum Stopp hereinkommen. Das war bisher so, und ich sehe keinen Grund, warum das nun unter den neuen Regeln anders sein sollte."
Risiko bei stehenden Starts nicht erhöht?
"Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand einen stehenden Restart auf wirklich arg abgenutzten Reifen machen muss, halte ich für äußerst gering", meint Whiting. "Die Schwierigkeit, diese gebrauchten Reifen wieder auf Temperatur zu bringen, ist ohnehin bei einem Restart ein Problem - beim stehenden Restart umso mehr. Was den Restart selbst angeht: Dafür ist die Technik im Moment nicht ausgelegt", sagt Weltmeister Sebastian Vettel, der einer der großen Kritiker der neuen Safety-Car-Prozedur ist.
"Für mich ist der größte Kritikpunkt die Tatsache, dass es demjenigen gegenüber nicht fair ist, der sich im Rennen eine entsprechende Position erarbeitet hat. Dem nimmt man den Vorteil weg und man wirft den Zufall ins Spiel, weil man meint, es sei toll für die Show, wenn sich beim erneuten Start vielleicht ein paar gegenseitig in die Kiste fahren", so der Champion aus Heppenheim. "Natürlich ist es statistisch gesehen bei einem stehenden Start wahrscheinlicher, dass es Zwischenfälle gibt", sagt Whiting. "Ich glaube aber nicht, dass das Risiko wirklich größer wird."
"Ich denke es gibt dabei einen Sicherheits-Aspekt, worüber alle Fahrer besorgt sind", schildert Force-India-Pilot Sergio Perez. Eine Verbesserung der Show sei gut, aber nicht auf Kosten eines erhöhten Risikos. Mehr Kleinholz braucht niemand, so der Mexikaner. "Das ist das, was die Zuschauer sehen wollen? Das ist aus meiner Sicht die falsche Herangehensweise", so Vettel. "Den Zuschauern geht es doch primär um den Sport. Zumindest sehe ist das als Fahrer so. Das sollte auch weiterhin oberste Priorität bleiben."
Fahrermeinung spielt keine Rolle
"Ich hoffe, dass wir Fahrer uns da zusammenschließen. Ob das klappt, weiß ich nicht. Ich finde, es ist keine gute Idee. Es bringt viele Aspekte mit sich, die nicht durchdacht sind", stellt der deutsche Red-Bull-Star noch einmal klar. "Fahrer hatten da noch nie Mitspracherecht. Wir machen die Regeln am Ende des Tages nicht und müssen es mehr oder weniger dann schlucken", zeigt sich Hülkenberg ernüchtert. "Selbst wenn die Fahrer sich zusammentun würden, wäre es schwer, da reinzupfuschen. Ich bin mir nicht sicher, ob sich die Regelmacher da was anderes überlegen würden."
Die Piloten haben den normalen Weg zur Darstellung von zu erwartenden Problemen bereits beschritten. Über die Fahrergewerkschaft GPDA wurde die FIA über die Bedenken der Piloten informiert. "Die GPDA ist ihrem Job nachgegangen und hat diese an die FIA weitergeleitet. Sie sehen keine Gefahr für uns und werden diese Regel deshalb nächstes Jahr einführen", erklärt Sergio Perez das enttäuschende Ergebnis der GPDA-Bemühungen. Bei der FIA siegt der Showgedanke über Bedenken der Stars.
"Grundsätzlich war der Ansatz, dass die meisten Menschen den Start als das spannendste am Rennen empfinden. Wenn man nun einen weiteren Start im Rennen hat, dann ist das Spektakel umso größer", nennt Whiting den Hintergrund der umstrittenen Lösung. Die Prozedur wird im Vorlauf zum stehenden Restart nicht verändert. Das Safety-Car setzt sich vor den Führenden, anschließend dürfen sich Nachzügler zurückrunden. "Die letzte Runde hinter dem Safety-Car ist so etwas wie die Einführungsrunde zu Beginn des Rennens", so der FIA-Rennleiter.
Die Frage von Ex-Formel-1-Pilot Marc Surer, warum man beim Einsatz des Safety-Cars nicht generell einen Rennabbruch mit roten Flaggen herbeiführe, um Streckenposten in noch größerer Sicherheit arbeiten lassen zu können, beantwortet Whiting nur wenig überzeugend mit dem Satz: "Das Safety-Car hat sich bewährt, darauf wollen wir nicht verzichten." Man werde durch die neuen Abläufe höchstens eine Minute pro Safety-Car-Phase zusätzlich verlieren, aber generell an Spannung gewinnen.