"Eine Frage, Mister Anderson!": Ein Experte erklärt die Technik
Ex-Formel-1-Designer Gary Anderson über Möglichkeiten der Kostendeckelung, die Rückkehr des Nachtankens, das "schwarze Wochenende" und Co.
(Motorsport-Total.com) - Das Thema Kostendeckelung in der Formel 1 ist derzeit in aller Munde. Zeit, dass sich auch Technik-Experte Gary Anderson der Materie annimmt. Darüber hinaus beantwortet er in dieser Woche Fan-Fragen zu den Themen Imola 1994, Nachtanken, Ingenieurskarriere in der Formel 1, Einschränkung von Innovationen und, wie sich die Hackordnung 2014 noch verändern könnte.
Mark Lovas (Twitter): "Inwiefern könnte sich die Hackordnung noch verändern, nun, da das Entwicklungsrennen so richtig Fahrt aufgenommen hat?"
Gary Anderson: "Solange es kein fundamentales Chassis-Problem gibt, was wohl niemand hat, scheint eine Chassis-bedingte Veränderung der Hackordnung sehr unwahrscheinlich, Mark - und solange keiner noch eine Grauzone im Reglement findet, wie etwa den Doppeldiffusor 2009. Die Balance zwischen den Teams wird sich von Rennen zu Rennen zwar immer ein bisschen hin- und herbewegen, aber ich denke, die grundsätzliche Reihenfolge steht."
Das "schwarze Wochenende"
Vanessa Poole (Facebook): "Hast du irgendwelche Erinnerungen an das traurige Wochenende vor 20 Jahren in Imola - speziell an den Unfall Rubens Barrichellos, aber auch an die tragischen Todesfälle?"
Anderson: "Ja, das war ein sehr trauriges Wochenende, Vanessa. Ich bin seit 1973 in diesem Sport unterwegs, und damals lauerte der Tod oftmals bereits hinter der nächsten Kurve. Roger Williamson und Tom Pryce sind nur zwei Namen derer, die ihr Leben in dieser Zeit ließen, während Carlos Pace und Tony Brise auch noch bei Flugzeugunglücken starben. Ich glaube, dass ich dadurch allmählich ein dickes Fell bekommen habe."
"Ich habe ihn die Nacht besucht, und als das Adrenalin verflogen war, hat er nur noch gelitten - keine schwerwiegenden Verletzungen, aber zahlreiche Beulen und Wunden. Samstag kam dann eine ganz neue Dimension hinzu. Roland Ratzenberger war ein wirklich netter Kerl. Ich habe oft gesagt: Die Fahrer am Ende des Feldes geben genauso viel oder sogar noch mehr Gas als die an der Spitze, die ohnehin schon mit ihren Autos schnell sind."
Fotostrecke: Die Karriere von Roland Ratzenberger
Die Karriere von Roland Ratzenberger (geboren am 4. Juli 1960 in Salzburg) beginnt 1983 in der Formel Ford. Drei Jahre später siegt der Österreicher beim Formel-Ford-Festival in Brands Hatch. Fotostrecke
"Aber der Sonntag war dann noch mal etwas ganz anderes. Zuerst war da der Startunfall, der für das Safety-Car sorgte. Und dann - aus irgendeinem Grund, den wir nie verstehen werden - verloren wir einen unserer größten Piloten aller Zeiten. Im Moment des Unfalls wussten bereits die meisten von uns in der Boxengasse, dass es schlimm war. Ich wusste es in jedem Fall."
Jemals wieder im Rennen tanken?
Adam Murray (Twitter): "Könnte das Nachtanken irgendwann in die Formel 1 zurückkehren?"
Anderson: "Ich habe ehrlich gesagt nie verstanden, was so falsch daran war, Adam. Es hat der Strategie ein echtes Team-Element verliehen, und ich denke, das vermissen wir aktuell etwas. Der Hauptgrund, warum das Nachtanken abgeschafft wurde, war der Kostenfaktor. Es hat eine Menge Geld gekostet, die Befüllungssysteme um die Welt zu schiffen."
Ingenieurskarriere im Motorsport
Jose Javier Buisan (Twitter): "Welchen Karriereweg würden sie einem angehenden Motorsportingenieur empfehlen?"
Anderson: "Jose, du kannst ein bestimmtes Maß an Maschinenbau-Qualifikation in einem der Bereiche, die für ein aktuelles Rennauto wichtig sind, nie ersetzen. Es hängt davon ab, was dich antreibt und in welcher Disziplin du dich reinhängst. Mechanik, Aerodynamik, Elektrik, Hydraulikdesign sind ebenso gefragt wie Fahrzeugdynamik und -simulation. Also geh in einen dieser Bereiche, der dich besonders reizt."
"Davon ab kannst du versuchen, dich als Wochenend-Kämpfer bei einem kleinen Team in einer der kleineren Serien zu engagieren. Solche praktischen Erfahrungen kannst du durch nichts anderes ersetzen, außerdem hilft es dir zu erkennen, womit du dich genau befassen möchtest. Nimm jede Gelegenheit an, die du kriegen kannst, mit offenen Armen an und gib immer dein Bestes."
Grenzen für die Innovation
Silviu Gora jun. (Facebook): "Wie ist deine Meinung im Bezug auf die Verwendung einer einheitlichen aktiven Radauaufhängung ab 2017? Sollte man den Teams nicht vielleicht einen gewissen Grad an Freiheit lassen, um sie zu mehr Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu ermutigen?"
"In der Formel 1 sollte es voll und ganz um Forschungs- und Entwicklungsarbeit gehen. Wenn man dort wirklich an die Grenzen geht und sie überschreitet, wird das auch neue Technologien für die Automobilindustrie hervorbringen. Ich glaube, dies kann auch erreicht werden, wenn die Kosten kontrolliert würden, wie ich es in meiner nächsten Antwort zu erklären versuche."
Kostenkontrolle wäre denkbar
Adam Smith (Twitter): "Budgetbegrenzung ist aktuell ein großes Thema. Was würdest du tun, um die Formel 1 günstiger und besser zu machen?"
Anderson: "Adam, ich würde es eher Budgetkontrolle nennen und ich würde 'besser' vor 'günstiger' stellen. Ich bin seit 42 Jahren in diesem Sport involviert, und in dieser ganzen Zeit gab es immer solche, die viel hatten, und solche, die wenig hatten. Die Wohlhabenden sind grundsätzlich zu stur, kurzsichtig und mächtig, als dass sie einem anderen helfen würden. Ein Beispiel dafür ist das Gewicht des Autos."
"Eine Veränderung wäre, dass die Antriebseinheit zu einem echten Antriebsstrang würde. Das würde den Motor, den Turbo, die MGU-K, die MGU-H, die Batterie sowie das Getriebe betreffen und ein Maximum von fünf dieser Einheiten pro Saison erlauben. Nutze sie, wie du willst, aber du hast nur fünf davon. Was wir derzeit haben, ist zu kompliziert, und niemand versteht es. Genau wie die ganzen verschiedenen Strafen."
Updates nur alle sechs Rennen
"Eine andere Veränderung wäre, dass Teile wie die Nase, der Front- und Heckflügel, der Unterboden, die Seitenkästen und die Bremsbelüftungen mindestens eine Dauer von sechs Rennen überstehen müssen, bevor sie gegen neue Upgrades ausgetauscht werden dürfen. Das würde bei 19 Rennen bedeuten, dass es zwei Veränderungen während der Saison gibt, während ein Rennen als Joker übrig bliebe. Wenn du also völlig versagt hast, könntest du beim zweiten Rennen Teile tauschen und dann so weitermachen."
"Es würde auch die Situation mit den Bremsbelüftungen dramatisch straffen. Die ist in den vergangenen Jahren nämlich etwas aus der Hand geglitten. All dies würde bedeuten, dass die Teams mehr Zeit zum Optimieren der neuen Komponenten vor ihrer Einführung haben, was zu deutlich weniger Altmetall führen würde... Nach dem sechsten und zwölften Rennen, könnte es einen zweitägigen Test geben, der den Teams erlaubt, das Setup mit den neuen Teilen zu optimieren, bevor sie in den Rennen sieben beziehungsweise 13 zum Einsatz kommen."
"Innerhalb einer gewissen Entwicklungszeit, die vor der Saison definiert wird, muss Team A also Team B beliefern. Es gibt eine Menge weiterer Teile, mit denen man so verfahren könnte, wie etwa Lenkstangen, Radträgern, Achsen, Bremssättel, Bremssysteme oder sogar Boxenstoppausrüstung. Eine derartige Art der Kostenkontrolle würde Innovationen nicht eingrenzen, sondern sie sogar noch stimulieren, weil es zu einem relevanteren Marktpreis geschehen würde."