Reifen-Diskussion: Wer muss nachbessern?
Die Reifen halten an den Autos vieler Teams nicht lang genug - Die Formel-1-Teams oder der Reifenlieferant: Wer ist in der Pflicht?
(Motorsport-Total.com) - Seit 2011 ist Pirelli exklusiver Reifenlieferant der Formel 1. Genau seit jenem Zeitpunkt wird über das "schwarze Gold" in der Königsklasse hitzig diskutiert. Die Italiener hatten offiziell den Auftrag von Promoter Bernie Ecclestone, Reifen zu produzieren, die der Show in der Formel 1 zuträglich sind. Klartext: Die Zeiten von "Holzreifen", die 50 oder mehr Runden am Stück bei nahezu gleichbleibendem Tempo erlauben, sollten endgültig vorbei sein.
Pirelli setzte diese Vorgabe um - sehr zum Leidwesen jener Teams, die sich nicht entsprechend auf die Eigenheiten der Pneus einstellen konnten. Zum Saisonstart 2011 gab es Debatten, zum Start ins das Rennjahr 2012 weiteren Streit, aktuell kocht die hitzige Diskussion fast über. Der Reifenhersteller hat zur aktuellen Saison noch einmal Veränderungen an Konstruktion und Mischungen vorgenommen. Ende 2012 konnten die Teams erste Erfahrungen mit dem Gummi sammeln - offenbar jedoch nicht genug.
Wie sich beim Grand Prix in Melbourne vor einer Woche zeigte, haben nur wenige Teams ihr Auto auf die neuen Umstände anpassen können. Adrian Sutil zeigte mit dem Force India, wie lange man mit einem Satz gute Runden drehen kann, Kimi Räikkönen setzte den entsprechenden Lotus-Vorteil sogar in einen Sieg um. Sofort wurde hinter vorgehaltener Hand getuschelt, dass Lotus einen Vorteil habe, weil Pirelli die Reifen auf einem alten Renault (Vorgängerteam von Lotus) getestet und entwickelt habe.
Helmut Marko übt deutliche Kritik
"Die Reifenproblematik ist für alle gleich. Man muss halt Strategien entwickeln, die Reifen am Leben zu halten", erklärt Lotus-Technikchef James Allison in aller Gelassenheit. So ruhig und entspannt betrachten andere Teamverantwortliche die Situation nicht. Niki Lauda kritisierte das Formel-1-Produkt von Pirelli unter der Woche scharf. Red-Bull-Berater Helmut Marko legt nach. "Tatsache ist, dass die Reifen nach wenigen Runden extrem abbauen. Da fliegen große Fetzen von der Lauffläche ab", so der Österreicher auf 'formula1.com'.
"Es liegt ein grundsätzliches Problem mit dem Reifen vor. Die Probleme treten schließlich bei hohen und niedrigen Temperaturen auf. Achtung: Die Reifen haben das Problem, nicht wir", schildert Marko, der meint, dass Pirelli mit seiner neuesten Entwicklung "ein bisschen zu weit" gegangen ist. Im Falle von Red Bull sei es so, dass man die Vorzüge des RB9 - den generellen Abtrieb des Fahrzeuges - nicht nutzen könne. "Wir müssen den Abtrieb reduzieren, um mit den Reifen klarzukommen."
"Wir müssen uns mit Pirelli zusammensetzen und eine Lösung finden. Ich dachte immer, der Beste und Schnellste soll gewinnen - und nicht, dass derjenige bestraft wird, der das beste Auto baut", meint der Red-Bull-Motorsportchef. "Bei diesen hohen Temperaturen in Malaysia und den hohen Kurvenspeeds sind die Reifen am Limit. Ich schätze, einige Teams können froh sein, wenn sie die komplette Distanz überhaupt irgendwie schaffen."
Der Fahrer spielt eine Rolle
"Die Mischungen sind sehr weich. Wenn ich sehe, dass es im Rennen vier oder sogar fünf Stopps geben könnte, dann muss ich sagen, dass die Reifen für meinen Geschmack etwas zu weich geraten sind. Ich mag Rennen mit mehr als drei Stopps nicht. Selbst bei drei Stopps ist die Boxenmannschaft aus meiner Sicht schon viel zu sehr in der Verantwortung", stellt Ferrari-Teammanager Massimo Rivola klar. Dabei gehört Ferrari noch zu den Teams, die recht gut mit dem Gummi zurechtkommen.
Aus Sicht einiger Verantwortlicher könnte der Fortschritt im Rückschritt liegen. Eine Rückkehr zur Reifenspezifikation von 2012 wird derzeit diskutiert. Pirelli spielt bei diesem Ansinnen allerdings nicht mit. "Das geht nur, wenn es eine einstimmige Entscheidung der Teams gibt", sagt Motorsportchef Paul Hembery. Diese Einigkeit ist allerdings nicht in Sicht. Zu groß ist der Vorteil, den sich beispielsweise Lotus mit dem 2013er-Auto erarbeitet hat.
"Ich habe mit Pirelli-Technikern gesprochen. Die haben mir gesagt, dass die Hinterräder von Kimi Räikkönen im gesamten Rennen in Australien nur dreimal etwas durchgedreht sind. Das ist doch fantastisch. Man muss eben den Grip optimal nutzen, den man jeweils gerade zur Verfügung hat", sieht 'BBC'-Technikexperte Gary Anderson eher die Teams in der Pflicht. Auch Pirelli-Testpilot Pedro de la Rosa sieht dies so. Der Spanier meint, dass vor allem die Piloten sich auf die neuen Reifen einstellen müssen.
Pirelli: Immer das gleiche Spiel zum Jahresstart
"Ich erkenne derzeit viele Parallelen zu den vergangenen beiden Jahren. Jeder versucht, der Situation Herr zu werden. Falls wir tatsächlich zu aggressiv oder auch zu konservativ gehandelt haben, stehen wir der Situation natürlich offen gegenüber, aber man darf nicht glauben, dass Lotus jetzt mit einer Veränderung glücklich wäre - oder Ferrari, wenn sie gut dastehen", sagt Hembery. "Wir versuchen einfach, für alle gleiche Bedingungen zu schaffen, denn sonst besteht die Gefahr, ein Team bevorzugt zu behandeln."
Aus Sicht des britischen Motorsportchefs von Pirelli wird die Diskussion um die neuen Mischungen in den kommenden Wochen abflauen, so wie es auch 2011 und 2012 der Fall war. Erste Anzeichen sendet McLaren-Pilot Jenson Button. "Ich denke schon, dass wir die Reifen recht gut verstehen. Vor allem das vergangene Rennen hat viele Erkenntnisse gebracht", meint der Ex-Champion. "Der Verschleiß ist enorm, aber nicht so schlimm wie nach den Wintertests befürchtet."
"Es liegt an uns, die Herausforderung anzunehmen und das Maximum herauszuholen", sagt Mercedes-Teamchef Ross Brawn und teilt die kritische Haltung seines Sportchefs und Aufsichtsratsbosses nicht ganz. "Es hilft nicht, zu sagen, dass wir glücklich oder unglücklich sind. Wir als Team müssen lernen, wie wir damit umgehen", meint auch Ferrari-Amtskollege Stefano Domenicali im Gespräch mit 'Sky Sports F1'. "Es sorgt für guten Rennsport. Es ist eine gute Sache", bringt Nico Rosberg seine Sicht auf den Punkt.