Die Hintergründe zum Lotus-Streit
Wie es zum Namensstreit zwischen Lotus-Rennstall und Lotus-Gruppe kam, warum sich Bahar & Co. von Colin Chapman abgrenzen und wer eine Lösung herbeiführen könnte
(Motorsport-Total.com) - Es ist ein Kampf David gegen Goliath: Auch wenn es zunächst so aussah, als würde der Einstieg der Lotus-Gruppe bei Renault nicht über ein Sponsoring und eine Anteilsübernahme von 50 Prozent hinausgehen, so ist inzwischen klar: Der Geschäftsführer der in Besitz von Proton stehenden Lotus-Gruppe, Dany Bahar, will mehr.
"Man muss verstehen, dass es für uns als Automobilhersteller wichtig ist, stark einzusteigen", bestätigt der ehemalige Red-Bull-Topmanager gegenüber 'metrof1.com'. "Wir wollen Ferrari, Red Bull, McLaren und Mercedes von Beginn an herausfordern." Doch dabei steht ihm der in Norfolk beheimatete Lotus-Rennstall des malaysischen Fluglinienbesitzer Tony Fernandes im Weg.
Ein Rückblick: 1996 kauft der malaysische Automobil-Hersteller Proton die Sportwagengruppe Lotus. Jahrelang schreibt man Verluste und wird vom malaysischen Staat subventioniert. 2009 bewirbt sich Fernandes bei der FIA-Ausschreibung für einen Platz seines Rennstalls in der Formel 1.
Er hat einen Plan: Mit Hilfe von Mahathir bin Mohamad - früher malaysischer Premierminister, heute Besitzer der Strecke in Sepang und Proton-Berater - kommt er an die Lizenz des Namens Lotus heran. Der Rennstall erhält den Zuschlag und tritt 2010 in der Formel 1 an. Gleichzeitig schmiedet Ex-Red-Bull-Manager Bahar - seit 1. Oktober 2009 Geschäftsführer der Lotus-Gruppe - Pläne, die Sportwagen-Marke Lotus, die viel von ihrem Glanz verloren hatte, wieder in Schuss zu bringen.
Fernandes ursprünglich Lizenznehmer bei der Lotus-Gruppe
Neben einer völlig neuen Produktpalette will der Marketing-Fachmann die Vermarktung über die "Königsklasse" des Motorsports ankurbeln. Ihm wird bewusst, dass dies mit Fernandes' Hinterbänkler-Truppe nur schwer möglich ist und verhandelt mit Genii-Capital-Chef Gerard López über einen Einstieg beim Renault-Rennstall, der inzwischen mehrheitlich von Genii kontrolliert wird. Da Fernandes Lizenznehmer bei Bahars Lotus-Gruppe ist, ist für ihn klar: Steigt Bahar bei Renault ein, kann sein Rennstall nicht mehr unter dem Namen Lotus antreten.
Fernandes leitet im Juli Schritte ein, seinen Rennstall von "Lotus Racing" in "Team Lotus" umzubenennen - dies gelingt, indem er die Lizenz vom Bruder des Ex-Weltmeisters James Hunt, David Hunt, kauft. Dieser hatte den Lotus-Rennstall 1994 übernommen, musste das Traditionsteam dann aber aus finanziellen Gründen zusperren. Am Monza-Wochenende wird die Namensänderung bekannt gegeben, wodurch Fernandes' Team nicht mehr Lizenznehmer der Lotus-Gruppe ist und dadurch weiterhin den Namen Lotus benutzen darf.
Lotus-Gruppe grenzt sich von Chapman ab
Doch wer hatte nun zuerst die Idee, in den klassischen John-Player-Special-Farben zu fahren? Genii-Chef López stellt gegenüber dem 'Telegraph' klar: "Seit wir darüber diskutieren, hatten wir die Idee, in Schwarz und Gold zu fahren. Dann sickerte es über die Presse irgendwie durch und war im Fahrerlager bekannt - und drei Tage später gaben sie bekannt, dass sie in Schwarz und Gold fahren. Am Ende ist es aber egal, denn durch die Position auf der Strecke wird klar sein, wer welches Team ist."
Auch den Vorwurf Gascoynes, wonach sich die Lotus-Gruppe nur als Sponsor engagiere, während sein Rennstall das Erbe des legendären Lotus-Boss Colin Chapman weiterführe, will Bahar nicht gelten lassen. Seiner Meinung nach ist es eine Anmaßung, sich der Identität von Chapmans "Team Lotus" zu bemächtigen: "Wir sind nicht Team Lotus und wir werden es niemals sein. Wir haben es auch nie behauptet und wollen es auch nicht sein. Das war eine erfolgreiche, historische Ära der Firma, als Herr Chapman sie führte. Wir sollten diese Ära aber in der Vergangenheit lassen und sind ein Newcomer, wenn man so will."
Warum die Lotus-Gruppe kein Team übernimmt
Warum man nicht mit dem Lotus-Rennstall, sondern mit Renault zusammenarbeitet ist klar: Die Franzosen sind ein Topteam, Lotus einer der Hinterbänkler. Dafür akzeptiert man aber, dass das Chassis weiterhin den Namen von Renault tragen wird, da man sonst den Rennstall umbenennen müsste. Und dafür wäre wiederum laut Concorde-Agreement die Zustimmung aller Teams notwendig - zumindest die Gegenstimme von Fernandes wäre der Lotus-Gruppe aber sicher. Ein weiterer Vorteil ist, dass Sponsorenverträge und auch die in diesem Jahr verbesserte Teamstruktur beibehalten werden können.
Für die Zukunft spekuliert Bahar aber durchaus mit einer stärkeren Beteiligung am Rennstall, bestätigt er gegenüber 'Autosport': "Unsere Art, solche Dinge zu erledigen, ist es, dass wir am Ende des Projektes die Kontrolle haben wollen. Wir würden nicht längerfristig hier sein wollen, um nur ein Sponsor des Teams zu sein."
Sympathien auf der Seite von Fernandes?
Dennoch haftet der Lotus-Gruppe noch etwas das Image an, sich mit viel Geld in die Formel 1 eingekauft zu haben, während sich Fernandes & Co. geschickt als Underdogs inszenieren und auf Fannähe setzen. Via 'Twitter' lassen sie die Fans über das Farbschema abstimmen, sogar einen Design-Wettbewerb für die nächstjährige Farbgebung hatte man ins Leben gerufen.
Dennoch hat Bahar keine Angst, dass sich die Sympathien der Lotus-Fans gegen sein Team richten: "Wir waren immer sehr transparent. Ich glaube, dass Herr Fernandes schon gewusst hat, was unsere Pläne sind. Er versucht vielleicht, seine Rolle in der Öffentlichkeit zu spielen, aber es ist nicht unser Stil, das zu tun. Wir werden uns weiterhin wie eine professionelle Firma verhalten. Und wenn das die Öffentlichkeit nicht mag, dann können wir nicht viel dagegen tun."
Lösung in Sicht?
Der Krieg um die Namensrechte könnte nun vor Gericht landen. Riad Asmat, Generaldirektor des Lotus-Rennstalls, meinte am Donnerstag, dass er damit gut leben könnte: "Das wäre für alle Beteiligten fair, das Gericht würde alles genau aufklären. Sie sagen, dass sie den Namen Lotus besitzen und wir besitzen den Namen Team Lotus, deshalb treten wir als Team Lotus an." Und das, obwohl Fernandes erst kürzlich behauptet hatte, dass er den Namen Lotus durch die Gerichtsmühlen nicht zerstören wolle.
Dass man nun so vehement auf dem Namen Lotus beharrt, könnte darauf hindeuten, dass man sich dadurch in eine bessere Verhandlungsposition bringen will. Fernandes ist bekannt, wie elementar das Formel-1-Engagement für das Marketingkonzept der Lotus-Gruppe ist. Es wäre ein Desaster, dürfte man den Namen nicht verwenden. Ihm ist außerdem bekannt, dass Bahar für seinen Plan, mit Lotus in die Top-Riege der Luxus-Sportwagen vorzustoßen, in Malaysia viel Geld aufgetrieben hat. Laut 'auto, motor und sport' handelt es sich dabei um eine Summe jenseits einer halben Milliarde Dollar.
Bahars Trumpf: Während Fernandes' Lotus-Rennstall in dieser Saison schon einige Male die Zielscheibe von Bernie Ecclestone war, behauptet der Geschäftsführer der Lotus-Gruppe, dass der Formel-1-Boss auf seiner Seite ist - in der Formel 1 kein unwesentlicher Faktor. "Man muss ihn natürlich selber fragen", meint Bahar. "aber er gab uns den Eindruck, dass er hinter dem Deal steht. Er will, dass Lotus in der Formel 1 ist. Er will, dass Lotus Leistung bringt. Bernie war von Anfang an involviert und alles geschah mit seinem Einverständnis."